Missbrauch in der Katholischen Kirche:"Schock im Vatikan"

Missbrauch in der Katholischen Kirche: Eine Kirche, zwei Päpste: Franziskus und sein emeritierter Vorgänger Benedikt XVI.

Eine Kirche, zwei Päpste: Franziskus und sein emeritierter Vorgänger Benedikt XVI.

(Foto: -/dpa)

Der Heilige Stuhl gibt sich Zeit für eine Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten, das den emeritierten Papst Benedikt schwer belastet. Die Vorwürfe befeuern die Spannungen zwischen den zwei Lagern in Rom.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Verlegenheit ist groß, wie kann es auch anders sein? Im Vatikan leben zwei Päpste, ein herrschender und ein emeritierter, die auch für zwei ideologische Lager stehen, und einer von beiden steht in den Schlagzeilen. Georg Gänswein, der Privatsekretär von Benedikt XVI., ließ ausrichten, sein Chef habe das Gutachten, das ihn belaste, noch nicht gelesen und wolle es jetzt zunächst studieren. Auch der Sprecher von Papst Franziskus sagte, man werde dem Dokument "die gebührende Aufmerksamkeit" zukommen lassen und es "im Einzelnen prüfen". Beide Seiten vertagen ihre inhaltliche Stellungnahme, bekunden ihre Nähe zu Missbrauchsopfern und ihre Scham über die Täter aus dem Klerikerstand. Sie gewinnen damit auch etwas Zeit. Die Frage ist, wer sich dann als Erstes meldet. Avvenire, die Zeitung der italienischen Bischofskonferenz, verbannte die Berichterstattung zum Gutachten aus München auf Seite 13. Auch das ist ein Zeichen für die allgemeine Verlegenheit über diesen neuerlichen "Schock im Vatikan", wie der Corriere della Sera es nennt.

Die Vorwürfe gegen Joseph Ratzinger befeuern die Animositäten zwischen dem traditionalistischen und dem sogenannt liberalen Lager neu. Es trennt sie schon die Sicht auf die Rolle der Frau in der Kirche, auf die Homosexualität und auf den Zölibat.

Die Freunde von Benedikt XVI. finden, die Kritik an diesem sei ungerecht. Niemand habe in den vergangenen Jahrzehnten mehr unternommen gegen den Missbrauch in der katholischen Kirche als er - seit 2001, zunächst als Präfekt der Glaubenskongregation, gegen Widerstände in der römischen Kurie, später als Papst. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ein enger Vertrauter Benedikts, deutet die Erkenntnisse der Gutachter in einem Interview im Corriere als "Angriff" gegen den emeritierten Papst, der die Spannungen in der deutschen Kirche spiegle: "Es gibt eine progressive Linie, für die er ein Ärgernis ist. Sie haben ihn immer kritisiert und angegriffen, er ist eine Stimme, die man zum Schweigen bringen will."

Marx ist so zentral für Franziskus, dass er wohl nichts riskiert

Die Anhänger von Franziskus wiederum geben zu bedenken, dass in dem Gutachten nicht nur Benedikts Rolle hinterfragt werde, sondern in zwei Fällen auch jene von Kardinal Reinhard Marx, dem amtierenden Erzbischof von München und Freising. Es sei also nicht wahr, dass die Schatten nur auf Benedikt fielen. Allerdings ist nach aktuellem Kenntnisstand kaum anzunehmen, dass Franziskus seine Meinung zu Marx revidieren wird: Vor einem halben Jahr, als der seinen Rücktritt angeboten hatte, um Verantwortung zu tragen, wies der argentinische Papst das Ansinnen zurück. Marx ist eine zentrale Figur in Franziskus' Kirchenführung - als Mitglied des kleinen Kardinalrats, der die Kurie reformieren soll, und als Vorsitzender des vatikanischen Wirtschaftsrats.

Da kommen also viele Dinge zusammen, und jedes Wort wiegt schwer. Wahrscheinlich wird der Heilige Stuhl seine Einschätzung des Gutachtens zurückhalten, bis der emeritierte Papst sich dazu geäußert hat.

Benedikt lebt seit 2013 im Kloster Mater Ecclesiae, einem Bau in den Vatikanischen Gärten mit zwölf Zellen, einer Kapelle und einem Gemüsegarten. Ebenfalls dort leben Erzbischof Gänswein und vier bedienstete Schwestern. Man hört, dass der 94-jährige Deutsche nur noch sehr selten das Gelände des Klosters verlasse. Er tausche sich ständig aus mit seinem Sekretär und mit ausgewählten Gästen, die ihn besuchen.

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