Süddeutsche Zeitung

Vatikan:Männer, die Franziskus will

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Beim Konsistorium in Rom erhebt der Papst am Samstag 13 Kirchenleute in den Kardinalsstand. Dabei geht es nicht nur darum, Würdenträger aufzuwerten, die für seine Ideen und für Nähe zu den Armen stehen - sondern auch um eine Weichenstellung für die Wahl des Nachfolgers.

Von Andrea Bachstein, München

An diesem Samstag zelebriert Papst Franziskus sein siebtes Konsistorium, er erhebt 13 Kirchenmänner zu Kardinälen. Aberglaube ist in diesem Kontext deplatziert - aber es scheint fast, als wäre es eine verflixte Sieben und als würde auch die 13 ihren Ruf bestätigen: Nicht alle künftigen Purpurträger können nach Rom kommen, und das Weit des Petersdoms wird recht leer bleiben. Schuld sind natürlich nicht vermeintlich magische Zahlen, es ist die Pandemie.

Sind Konsistorien sonst optische Spektakel mit Hunderten Bischöfen und Kardinälen in Violett und Purpur und anderen Würdenträgern in Chorkleidung, werden die Reihen virusbedingt reduziert sein. Auch werden nun keine Scharen von Verwandten und große Delegationen aus den Diözesen der neuen Kardinäle, keine anderen Gläubigen und Neugierigen die Basilika füllen. Gerade 100 Gäste sind zugelassen. Per Livestream können erstmals Daheimgebliebene verfolgen, wie die Ernannten ihre Urkunden, Ringe und roten Birette erhalten. Die Kardinäle dürfen einander nicht umarmen, der übliche Rummel danach fällt aus - keine Empfänge in Sälen des Apostolischen Palasts, bei denen sich Gratulanten drängen. Man darf vermuten, dass weniger Pomp Papst Franziskus kaum betrübt.

Er hat sich wieder Männer ausgesucht, die mehr von der Kirche verkörpern sollen, die Franziskus will: eine Kirche, die mehr auf Arme und Schwache schaut, auf Migranten, Entrechtete, eine, die abgelegene Christengemeinden einbezieht und nicht nur Zentren weltlicher und geistlicher Macht, eine Kirche, die Missbrauch bekämpft und sich nicht klerikale Macht anmaßt.

Ein Kandidat stammt aus Brunei, er hielt die Nachricht von der Ernennung zunächst für einen Scherz

Vier der 13 Neuen nehmen an keinem Konklave mehr teil, sie haben die Altersgrenze von 80 Jahren überschritten, sie werden Kardinäle ehrenhalber. Die anderen sind drei Italiener, ein Malteser, zwei Asiaten, einer kommt aus den USA, einer aus Südamerika, einer aus Afrika. Als der Papst am 25. Oktober die Namen nannte, waren einige Kandidaten wohl vielen unbekannt, auch manches Herkunftsland überraschte.

Brunei etwa. 70 Prozent der Bevölkerung des Sultanats sind Muslime, die katholische Kirche dort ist eine der kleinsten und jüngsten Südostasiens. Bischof Cornelius Sim, 69, Apostolischer Vikar von Brunei, war der erste Einheimische, der Priester wurde, einen Kardinal gab es dort noch nie. Sim sagte Radio Vatikan, er habe die Nachricht seiner Ernennung im ersten Moment für einen Scherz gehalten. Sim, im früheren Leben Erdölingenieur, ist ein Mann der Peripherie, die Franziskus mehr ins Zentrum holen will. So wie auf gewisse Weise der andere Asiate, Jose Fuerte Advincula, Erzbischof von Capiz.

Die Philippinen sind zwar Asiens größtes katholisches Land, aber der 68-jährige Advincula ist tätig in ländlichen Regionen, hat Missionsstationen und Schulen in abgelegenen Gegenden eingerichtet und setzt sich für die Rechte der Indigenen ein, auch dies ein Anliegen des Papsts. Zudem stärkt Franziskus mit einem neuen Kardinal die philippinische Kirche, die in Konflikt steht mit dem Regime von Präsident Rodrigo Duterte. Advincula sagte Radio Vatikan Sätze, die von Franziskus sein könnten: Die Kirche müsse dafür sorgen, dass Menschenwürde und Menschenrechte respektiert würden, das helfe, Armut zu bekämpfen.

Der Erzbischof aus Siena engagiert sich für Sinti und Roma - das gefällt dem Papst

Von Rom aus gesehen ist auch Ruanda Peripherie, es hatte noch nie einen Kardinal. Antoine Kambanda, 62, ist seit zwei Jahren Erzbischof in der Hauptstadt Kigali. In seinem Land, in dem 1994 der Völkermord der Hutu an den Tutsi geschah und Kambanda selbst viele Angehörige verlor, sei Franziskus' jüngste Sozialenzyklika "Fratelli tutti" besonders bedeutend, sagte er.

Italien ist alles andere als kirchliche Peripherie, aber Erzbischöfe im schönen Siena erhalten nicht traditionell die Kardinalswürde. Augusto Paolo Lojudice, 56, seit Mai 2019 Chef der Diözese Siena-Colle di Val d'Elsa-Montalcino und zuvor Weihbischof von Rom, ist dem Papst aber wohl schon länger aufgefallen, als Priester, dem die Armen am Herzen liegen. Lojudice war lange Pfarrer in sozial schwachen Vierteln seiner Heimatstadt Rom, setzte sich ein für Sinti und Roma und diente als Sekretär der Migrationskommission der Bischofskonferenz - alles Felder, die Franziskus wichtig sind.

Eher ungewöhnlich ist, dass ein Geistlicher als Kardinal ernannt wird, der kein Bischof ist. Bruder Mauro Gambetti hätte das aber gar nicht werden können. Der mit 55 jüngste der künftigen Kardinäle leitete bis vor drei Wochen in Assisi den Konvent der Franziskaner-Minoriten am Grab des heiligen Franziskus. Inzwischen hat Gambetti das Amt abgegeben und wurde Titularerzbischof von Thisiduo (Tunesien). Wie verbunden sich der Jesuit Jorge Bergoglio dem Heiligen aus Assisi fühlt und dessen Prinzipien einer armen Kirche, die Armen dient, hat er mit der Wahl seines Papstnamens gezeigt. Der heilige Franz ist heute auch Patron des Umweltschutzes wegen seiner Auffassung von der Schöpfung - Gambetti folgt ihm offenbar auch da. Der Franziskaner - er studierte vor der Theologie Maschinenbau - wirkte in Assisi an einem Projekt mit, das der Stadt 2019 einen Umweltpreis für Abfallwirtschaft einbrachte.

Marcello Semeraros Ernennung geht mit seinem Amt einher: Seit 15. Oktober ist 72-jährige frühere Bischof von Albano Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse. 2013 gab der Papst ihm einen wichtigen Posten in der Kurie, Sekretär des Kardinalsrates, der die Kurienreform voranbringen, Missstände und Machtmissbrauch verbannen soll. Wie nötig das ist, zeigt sich an dem Mann, den Semeraro als Präfekt ablöste: Angelo Becciu stürzte den Vatikan mit irrwitzigen Immobiliengeschäften in einen teuren Skandal und verlor alle Kardinalsrechte.

Der Malteser Grech ist vertraut mit den Dramen der Mittelmeerflüchtlinge, er fordert mehr Solidarität

Bei der Erneuerung der Kurie erwartet Franziskus gewiss auch Hilfe von Mario Grech, 63. Der Malteser war Bischof von Gozo und Vorsitzender von Maltas Bischofskonferenz. Im September holte Franziskus ihn als Generalsekretär der Bischofssynode. Diese berät den Papst und kümmert sich um die Beziehungen zwischen ihm und den Bischöfen. Grech verbindet mit dem Papst auch der Ansatz, die Kirche solle mehr auf homosexuelle Gläubige zugehen; für Maltas Kirche verfasste er Leitlinien, wie wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zugelassen werden können. Nicht zuletzt ist Grech als Malteser vertraut mit den Dramen der Mittelmeerflüchtlinge. Wie der Papst verlangt er mehr Solidarität und warnte davor, die Migrationsfrage von Populisten instrumentalisieren zu lassen. Mehr als einmal stellte Grech sich hinter private Seenotretter.

Mitten aus einem Machtzentrum der Welt kommt Wilton Gregory, 72, der dennoch einiges mitbringen dürfte, das dem Papst wichtig ist. Der Erzbischof von Washington, D. C., wird als erster Afroamerikaner Kardinal. Ehe er im April 2019 - ebenfalls als erster Afroamerikaner - Chef der Diözese Washington wurde, war er unter anderem Erzbischof von Atlanta und Vorsitzender der US-Bischofskonferenz. Als solcher war er an der Entscheidung maßgeblich beteiligt, dass die US-Kirche sich 2002 eine Charta zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gegen Missbrauch gab, andere Länder nutzten sie als Modell. Bemängelt wird an dieser "Dallas-Charta" aber, dass sie Missbrauchsvertuschung im Amt nicht regelt, eines der dunkelsten Kapitel auch in den USA. An diesem Punkt scheiterte Gregorys Vorgänger in Washington. Kardinal Donald Wuerl trat im Herbst 2018 als Erzbischof zurück, wegen Vorwürfen, zu wenig zur Aufklärung einiger Missbrauchsfälle durch Geistliche getan zu haben.

Profiliert hat Gregory sich auch, weil er sich für Akzeptanz von Homosexuellen und LGBT-Menschen in der Kirche einsetzt. Im Sommer fiel er mit ziemlich deutlicher Kritik an Präsident Donald Trump auf, als Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt die USA erschütterten und der Wahlkampf heiß lief. Da posierte der Präsident mit einer Bibel vor der St.-John's-Kirche, kurz nachdem die Polizei Demonstranten mit Tränengas verjagt hatte. Tags darauf ging er mit Bibel und Gattin zu einer Papst Johannes Paul II. gewidmeten Kapelle einer große Laienorganisation. Da wurde es Gregory zu viel, er sprach von Spektakel, sagte, es verblüffe ihn, dass sich eine katholische Einrichtung "missbrauchen und manipulieren" lasse auf eine Weise, die den religiösen Prinzipien der Kirche widerspreche. Das zielte auf Trump wie auf jene, die ihm die Bühne gaben. Er hoffe, kommentierte Gregory seine Kardinalsernennung, diese werde verstanden als "Zeichen der Liebe und des Respekts" gegenüber den afroamerikanischen Mitbürgern in den USA.

Missbrauchsfälle und deren Vertuschung belasten die Landeskirchen, die neuen Kardinäle sollen es besser machen

In Chile, Nachbarland für den Argentinier Franziskus, wirkt Celestino Aós Braco, 75, der erst Apostolischer Administrator und Ende 2019 Erzbischof von Santiago wurde. Wie sein Kollege in Washington hat der gebürtige Spanier einen Vorgänger, dem Vertuschung von Missbrauch vorgeworfen wird. Chiles Kirche ist schwerst belastet durch Missbrauch über Jahrzehnte, auch in Kumpanei mit der früheren Militärdiktatur. Fast alle Bischöfe boten 2018 dem Papst ihren Rücktritt an. Reihenweise gingen sie oder mussten gehen.

Aós Braco sicherte kürzlich Opfern seine besondere Zuwendung zu, bat Gläubige um Mithilfe zur Veränderung der Kirche. 2019 sagte er der Website Crux, "wir wollen, dass die Wahrheit herauskommt". Bei einem Rom-Aufenthalt hatte er aber auch beklagt, was der Papst von der Vertuschungskultur bei Chiles Bischöfen gesagt habe, wirke, als seien alle gleich schuldig. Das sei schmerzlich und unfair. Dass bei Aós Bracos Antrittsmesse in der Catedral Metropolitana in Chile sein Vorgänger mit einzog, Kardinal Ricardo Ezzati, gegen den wegen Missbrauchsvertuschung ermittelt wird, trug Aós Braco Kritik ein. Er wird viel zu tun haben, wenn er Chiles Kirche Glaubwürdigkeit zurückgeben will.

229 Kardinäle gibt es von Samstag an, 128 können im Konklave aus ihren Reihen den nächsten Pontifex wählen. 73 von diesen hat Franziskus bestimmt, jedes Jahr seit 2014 hielt er ein Konsistorium ab. Da geht es nicht nur darum, Leute aufzuwerten, die für seine Ideen stehen, sondern auch um den Anteil Wahlfähiger unter 80 im Kardinalskollegium. In den kommenden zwei Jahren überschreiten schon wieder 17 Purpurträger die Altersgrenze.

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