Anfang März hat der Münchner Erzbischof sich die Schulter gebrochen. Und in der Klinik, so erzählt es Reinhard Marx selbst, sagte er den Ärzten, den todkranken Papst vor dem inneren Auge: „Also wenn jetzt ein Konklave ist, dann müsst ihr mich irgendwie zusammenzimmern. Da muss ich da sein, und wenn ich auf der Bahre hingebracht werde.“
Die Ärzte haben es geschafft. Marx auch. Seit Dienstag ist er in Rom, nur wenige Stunden nach dem Tod des Papstes hat er sich in den Flieger gesetzt. In der Ewigen Stadt ist er nun mehr gefragt denn je: Marx ist einer von 252 Kardinälen, in der katholischen Kirche die höchsten Würdenträger nach dem Papst, gut erkennbar an ihren roten Gewändern (inklusive roter Socken). Ihre Stunde schlägt mit dem Tod des Pontifex: Sie entscheiden nun alles Wichtige, nicht zuletzt wählen sie das neue Kirchenoberhaupt.
Die katholische Kirche und der mit ihr verbundene Vatikanstaat sind eine ziemlich absolutistische Monarchie. Wenn aber der Monarch stirbt (oder in Ausnahmesituationen wie 2013 zurücktritt), gibt es keinen Thronfolger, der automatisch übernimmt. Dann wird die Kirche kurzzeitig zu einer Oligarchie: Während der Sedisvakanz wird sie von den Kardinälen geleitet, die sich täglich im Vatikan treffen, beraten und entscheiden. Bis sie sich dann von der Außenwelt abschotten und ins Konklave begeben, um einen aus ihren Reihen mit Zweidrittelmehrheit zum neuen Papst zu wählen und ihm im Anschluss einzeln Gehorsam zu geloben. Eine andere Wahl wäre zwar möglich, aber eine Sensation: Dass ein Nicht-Kardinal Papst wird, gab es zuletzt im 14. Jahrhundert.

Katholische Kirche:Was nach dem Tod des Papstes passiert
Papst Franziskus ist am Ostermontag gestorben. Wie sein Begräbnis aussehen soll, wie sein Nachfolger gewählt wird.
252 Kardinäle leben derzeit, wahlberechtigt sind aber nur die unter 80-Jährigen. Das sind 135. Ungeklärt ist noch, ob der wegen eines Finanzskandals in Ungnade gefallene Italiener Angelo Becciu am Konklave teilnehmen darf – er beharrt darauf, auch wenn Franziskus ihm die Kardinalsrechte entzogen hat. Ein Kardinal hat aus gesundheitlichen Gründen abgesagt, ein anderer zunächst auch, sich dann aber von seinen Ärzten die Erlaubnis geholt, doch noch von Sarajevo nach Rom zu reisen. Er ist 79. Das Kardinalskollegium ist unübersehbar eine Versammlung alter Herren. Als Marx im Jahr 2010 dazustieß, war er der jüngste Kardinal weltweit, wiewohl schon 57 Jahre alt.
Er wurde wie alle Kardinäle vom Papst ernannt oder kreiert, wie das in der Kirchensprache heißt. Rechtlich ist der Pontifex in dieser Entscheidung frei, faktisch gibt es Konventionen, an denen auch er nicht ganz vorbeikommt. So gibt es bestimmte Bistümer, deren Bischöfe traditionell zu Kardinälen werden. Das Erzbistum von München und Freising zum Beispiel, das Marx seit 2008 leitet, gehört seit mehr als 100 Jahren dazu. Die Berliner Erzdiözese eigentlich auch, dem dortigen Oberhirten Heiner Koch bleibt diese Ehre aber seit zehn Jahren verwehrt.
Das illustriert, dass sich das Kardinalskollegium in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stark gewandelt hat: Früher saßen dort vor allem Europäer, meist Italiener. Papst Franziskus aber hat, wie auch seine beiden Vorgänger, den Kreis durch seine Ernennungen stark internationalisiert. Von den 135 Wahlberechtigten kommen inzwischen 53 aus Europa, davon 16 aus Italien. Asien stellt 23 Wähler, Lateinamerika 21, Afrika 18, Nordamerika 16 und Ozeanien vier.
Franziskus nahm auch auf die Wahl seines Nachfolgers Einfluss
Durch die Auswahl der Kardinäle kann ein Papst also durchaus bestimmen, welche Perspektiven, welche innerkirchlichen Flügel in seinem wichtigsten Beratergremium wie stark vertreten sind – und somit auch auf die Wahl seines Nachfolgers zu Lebzeiten großen Einfluss nehmen.
Kardinal ist freilich nicht Kardinal: Da gibt es zum einen die Kurienkardinäle. Das sind die Leiter der obersten Behörden des Vatikans, die in der kaum durchschaubaren, historisch gewachsenen Struktur der Kirche Räte, Sekretariate oder Dikasterien heißen. Diese Herren, die im oder nahe beim Vatikan leben müssen, sind die Mächtigen der Kirche, auch wenn der nun gestorbene Papst die Kurie schon mal als „krank“ und voller „geistlicher Demenz“ geißelte. Sie sind gut vernetzt – anders als die weit größere Zahl der zu Kardinälen erhobenen Ortsbischöfe. Diese stammen aus aller Welt, kennen sich oft kaum bis gar nicht, was Menschen wie Marx stört. Der hat zuletzt erzählt, er habe beim Papst angeregt, öfters Treffen der Kardinäle einzuberufen, um das zu ändern.

Umso wichtiger ist es, dieser Tage im Vatikan zu sein, und nicht erst zum Konklave. Denn nun, beim sogenannten Vorkonklave, wird viel über die Lage der Kirche debattiert, werden Stimmungen getestet, bilden sich Flügel heraus. Und es geht um Teambuilding, letztlich auch nicht anders als bei Führungskräftetagungen herkömmlicher Firmen: „Es gibt Kaffeepausen, man trifft sich abends zum Essen, lernt sich kennen“, berichtet Rainer Maria Kardinal Woelki. (Das Wort Kardinal steht korrekterweise zwischen Vor- und Nachnamen.) Im Vorkonklave könne es „schon mal etwas heftiger, etwas kontroverser“ zugehen, sagt Woelki – anders als im ruhigeren, weil ritualisierten Konklave selbst.
Der Kölner Erzbischof ist einer der sechs deutschen Kardinäle. Drei von ihnen sind stimmberechtigt: Woelki, Marx und der frühere Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der zeitweilig als Präfekt der Glaubenskongregation einer der mächtigsten Männer der Kirche war, von Papst Franziskus 2017 dann aber abserviert wurde. Die anderen drei sind Friedrich Wetter, 97, Marx’ Vorgänger als Münchner Erzbischof, der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper, 92, sowie der emeritierte Theologieprofessor Walter Brandmüller, 96.
Marx, Müller und Woelki sind längst in Rom. Dort wird es allmählich ernst, die Kardinäle eilen aus aller Welt herbei: Beim ersten Treffen am Dienstag saßen etwa 60 Kardinäle beisammen, am Donnerstag waren es schon doppelt so viele.