Süddeutsche Zeitung

Vatikan:Entlieben auf katholisch

Der Papst vereinfacht überraschend die Annullierung der kirchlichen Ehe. Eine gute Nachricht für gläubige Geschiedene, die sich neu verheiraten wollen.

Von Matthias Drobinski, Berlin

Der Tod scheidet eine katholische Ehe, sonst niemand. Deshalb sündigt aus dieser Sichtweise heraus ein Katholik permanent, der nach einer weltlichen Scheidung wieder heiratet. Einen Ausweg aus dieser Situation gab es aber immer schon: Paare, die sich getrennt haben, können ihre Ehe annullieren lassen. Ein Kirchengericht erklärt dann, dass diese Ehe nie bestanden hat, die Ex-Partner können wieder kirchlich heiraten. Bislang ist das ein langwieriges, kompliziertes, oft seelisch belastendes Verfahren. Das soll nun nach dem Willen von Papst Franziskus deutlich einfacher werden. Überraschend hat er an diesem Dienstag ein entsprechendes Kirchengesetz veröffentlicht - noch vor der Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie, die vom 4. Oktober an auch über dieses Thema reden wollte.

Das Motu Proprio ("aus eigenem Antrieb heraus" - so heißen vom Papst persönlich veranlasste Kirchengesetze) trägt den programmatischen Titel "Mitis Iudex Dominus Iesus": "Jesus, der gütige Richter". Und es bringt tatsächlich eine weitreichende Vereinfachung der bisherigen Regelungen. Derzeit geht ein Annullierungsverfahren über mindestens zwei Instanzen. Je zwei Kirchenrichter pro Instanz müssen sich einig sein, dass die Ehe nicht kirchenrechtskonform geschlossen wurde, entweder, weil es Formfehler gab, zum Beispiel die Trauzeugen fehlten, oder den Brautleuten der Wille beziehungsweise die Fähigkeit zur Ehe fehlte, sie zum Beispiel keine Kinder wollten oder seelisch unreif waren. Gibt es keine Einigkeit, muss die letzte Instanz entscheiden, das Kirchengericht in Rom. Entsprechend lange können die Verfahren dauern.

Der Papst ist sich bewusst, dass er auch missverstanden werden könnte

Vom 8. Dezember an, dem Beginn des vom Papst ausgerufenen "Jahrs der Barmherzigkeit", wird das anders. Dann genügt nur noch ein Kirchenrichter pro Instanz. Und nur, wenn der die Annullierung ablehnt, muss die zweite oder dritte Instanz angerufen werden. In Bistümern ohne Kirchengericht kann auch der jeweilige Bischof eine Ehe für ungültig erklären; das ist vor allem für Katholiken in ärmeren Ländern wichtig, wo nicht alle Bistümer ein Ehegericht haben. Die Verfahren sollen maximal ein Jahr dauern, es soll aber auch verkürzte Verfahren geben. In denen muss dann allerdings der Bischof entscheiden.

Papst Franziskus betont, dass es ihm nicht darum geht, die Unauflöslichkeit der Ehe infrage zustellen oder die Zahl der Ehenichtigkeitsverfahren zu erhöhen. Es dürften aber Gläubige nicht mehr so lange im Ungewissen gehalten werden. Mit der Reform wolle er zudem jenen Katholiken entgegenkommen, die sich "aufgrund physischer oder moralischer Distanz zu oft von den juristischen Strukturen der Kirche abgewendet haben", wie es in dem Erlass heißt. Die Kirche müsse diesen Menschen weiterhin nahe sein.

Schon im vergangenen Jahr, auf der ersten Synode in Rom zum Thema Ehe und Familie, hatten die Bischöfe über eine mögliche Vereinfachung des Verfahrens zur Eheannullierung kontrovers diskutiert. Eine große Mehrheit hatte sich schließlich für eine Reform ausgesprochen, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Konservative Bischöfe wollen die Erleichterungen als Ersatz für die fallweise Zulassung von wieder verheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten. Ihr Argument: Katholiken können jetzt ihre Ehe leichter annullieren lassen, das genügt. Die Reformer hingegen wünschen sowohl die schnelleren Verfahren als auch die Zulassung zu den Sakramenten im Einzelfall. Überraschend ist, dass der Papst das Thema bereits vor der zweiten Synoden-Versammlung entschieden hat - als würde er daran zweifeln, dass hier die Bischöfe zu einer Lösung in seinem Sinne kommen würden. Einer Erhebung des Vatikans zufolge wurden 2013 weltweit mehr als 47 000 Ehen für nichtig erklärt, bei 71 800 abgeschlossenen Verfahren. Allein 24 600 Annullierungen entfielen auf die Vereinigten Staaten. In Deutschland machten sich 740 Ex-Paare auf den mühsamen Weg, der nun leichter werden soll.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2015
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