Süddeutsche Zeitung

Papst Benedikt XVI.:Santo subito?

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Schon vor der Totenmesse für den deutschen Papst denken manche an eine Heiligsprechung im Schnelldurchlauf - wie bei Johannes Paul II. Aber ist das auch angebracht?

Von Oliver Meiler und Annette Zoch

"Santo, santo, santo subito!" Wenn nun vor der Totenmesse für Benedikt XVI. immer wieder an das Requiem für Johannes Paul II. erinnert wird, dann hat das auch mit diesem Chor zu tun, in der Kadenz eines Stadionchors, der an jenem 8. April 2005 in den römischen Himmel stieg.

Es war ein stürmischer Tag, starke Winde blähten die Gewänder der Geistlichen und zerzausten die Haare der vielen Gäste. 300 000 Gläubige waren da, sie füllten auch die Seitenstraßen der Piazza San Pietro, so etwas hatte der Vatikan noch nie erlebt. Der Pole Karol Wojtyla war nun mal ein Rockstar der Kirche gewesen. Es waren auch viele junge Menschen dabei. Man nannte sie "Papa-Boys", während des Pontifikats hatte man sie in den Stadien der Jugendtage gesehen, immer laut und bunt.

Als dann die Predigt von Joseph Ratzinger, damals Dekan des Kardinalskollegiums, zu Ende war, stimmten die Jungen diesen Chor an: "Santo, santo, santo subito!" Und klatschten dazu in die Hände. Viele stimmten mit ein. Sofort heilig sollte er also werden, Johannes Paul II., der vor seinem Tod so lange gelitten hatte: ohne langes Prozedere, am besten gleich hier und jetzt.

Georg Gänswein glaubt: "Es wird in diese Richtung gehen."

In seiner verkürzten Form, "Santo subito", sollte der Gesang zum geflügelten Begriff werden, den die Italiener seitdem für fast alles gebrauchen, oft auch ironisch und profan. Damals aber, an jenem Apriltag, war der Chor die Forderung nach einer Schnellspur für die Selig- und Heiligsprechung für "Giovanni Paolo", mehr noch: nach einer Überholspur. Soll daraus nun eine Tradition werden?

Der langjährige Privatsekretär des emeritierten Papstes, Erzbischof Georg Gänswein, hat bereits eine baldige Selig- und Heiligsprechung von Papst Benedikt XVI. ins Spiel gebracht. Auf die Frage nach dem Slogan "Santo subito" sagte er dem katholischen Privatsender EWTN: "Ich glaube, dass es in diese Richtung gehen wird."

Eine Heiligsprechung - auch Kanonisierung oder "Erhebung zur Ehre der Altäre" genannt - ist in der katholischen Kirche eigentlich mit hohen Hürden verbunden und kann Hunderte Jahre dauern. Bevor ein Mensch heilig werden kann, muss er zunächst einmal seliggesprochen werden. Die Initiative dazu geht meist von einem Orden oder einer Diözese aus, die beim Apostolischen Stuhl vorstellig wird. Ein sogenannter Postulator, ein Forderer, muss dann biografische Daten, Texte und Zeugnisse der Person sammeln und eine Art Bericht im Dikasterium für Selig- und Heiligsprechungsprozesse einreichen. Am Ende kommt noch ein "Advocatus Diaboli" zum Zug, ein Teufelsanwalt, der Gegenargumente sammelt. Über die Heiligsprechung entscheidet der Papst.

Johannes Paul II. kam in Rekordzeit zu dieser kirchlichen Würde. Das Verfahren für seine Seligsprechung begann nur 87 Tage nach seinem Tod. Benedikt XVI. selbst hatte die sonst nach dem Ableben übliche mehrjährige Wartefrist aufgehoben. Der Postulator sprach damals von einer "Lawine von Post" mit Wunderbekenntnissen, die er erhalte, von überall auf der Welt.

Schon im Mai 2011 sprach ihn Benedikt XVI. selig, im April 2014 wurde er dann von Franziskus heiliggesprochen. Voraussetzung für die Heiligsprechung ist, dass jemand entweder Märtyrer wird, also für seinen Glauben stirbt, oder zwei von Medizinern bestätigte Heilungswunder bewirkt hat.

Johannes Paul II. soll post mortem zwei Frauen geheilt haben

Johannes Paul II. wird die Heilung zweier Frauen zugeschrieben: Die schwer an Parkinson erkrankte französische Ordensfrau Marie Simon-Pierre aus Aix-en-Provence soll den Verstorbenen, der einst an der gleichen Krankheit litt, täglich um Fürsprache angerufen haben - im Juni 2005 sei das Leiden dann über Nacht verschwunden. Und im Mai 2011 soll Floribeth Mora Diaz aus Costa Rica ebenfalls nach einer Gebetsanrufung von einer lebensbedrohlichen Gefäßerweiterung im Gehirn genesen sein.

Johannes Paul II. selbst hatte zu Lebzeiten eine Art Fließband für Heiligsprechungen angeworfen: In seiner Amtszeit sprach er nicht nur 1338 Personen selig, sondern auch 482 heilig - in den 400 Jahren zuvor waren es nur halb so viele gewesen. Die Heiligsprechung von Päpsten durch Päpste ist indes nicht unumstritten. Bereits im Fall von Johannes Paul II. warnten Kirchenhistoriker vor einem Schnellschuss und davor, dass bei solchen gegenseitigen pontifikalen Ehrenbezeugungen auf Dauer die Glaubwürdigkeit leide.

So wird etwa Johannes Paul II. heute vorgeworfen, Anschuldigungen gegen Theodore McCarrick vor der Ernennung zum Erzbischof von Washington im Jahr 2000 nicht ausreichend geprüft zu haben. McCarrick wurde 2019 wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern aus dem Kardinals- und Klerikerstand entlassen. Recherchen eines niederländischen Journalisten haben zudem jüngst drängender als je zuvor die Frage aufgeworfen, ob der Heilige noch als Bischof in Polen Missbrauch vertuscht hat.

Die Heiligsprechung gerade von Päpsten ist immer mehr auch ein Mittel der Kirchenpolitik geworden. Aber auch auf andere Weise wird schon jetzt am Denkmal gemeißelt. Benedikt XVI. ist noch nicht mal beerdigt, da schießt sein langjähriger Privatsekretär Georg Gänswein bereits Giftpfeile Richtung Franziskus ab.

Im Interview berichtet der Monsignore, der Papa emeritus habe Franziskus' Erlass " Traditionis custodes", mit dem dieser im Jahr 2021 die Feier der lateinischen Messe wieder einschränkte, "mit Schmerz im Herzen gelesen". Außerdem kündigte Gänswein sein zunächst in Italien erscheinendes Buch über sein Leben an der Seite des Papstes an, mit dem Titel "Nient'altro che la verità" (Nichts als die Wahrheit).

Aber kann ein Papst selig- und heiliggesprochen werden, dem man vorgeworfen hat, in seiner Antwort auf ein Missbrauchsgutachten eine Falschaussage gemacht zu haben? Benedikt XVI. sei "erschüttert" darüber gewesen, dass er als Lügner bezeichnet wurde, sagte Gänswein. Dass in seiner Stellungnahme für das Münchner Gutachten fälschlicherweise behauptet wurde, Ratzinger sei in einer Sitzung nicht anwesend gewesen, sei der Irrtum eines Mitarbeiters gewesen, dies sei berichtigt worden. Dennoch sei das "Narrativ", das den ehemaligen Papst als Lügner darstellte, geblieben.

Santo subito? In einem Vorwort zu einem Buch mit Predigten Ratzingers schrieb Franziskus jedenfalls schon 2016, Benedikt XVI. sei einer, "der die Heiligkeit verkörpert".

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