Süddeutsche Zeitung

Vatikan:Altersweisheiten für junge Leute

Antibürgerlich und konsumkritisch, so gibt sich Papst Franziskus in seinem neuen Interviewbuch. Streitthemen wie das Frauenpriestertum fehlen, stattdessen spricht er über Haustiere, Alkohol und Raffgier.

Von Matthias Drobinski

"Vorglühen" vor Partys - also nachmittags Alkohol trinken, um abends angetrunken und ausreichend locker aufzutauchen? Der Papst hält nichts davon: "Es bedeutet, voller Illusionen anzukommen, in Begleitung eines Körpers, der einem nicht gehorcht", sagt Franziskus. Das Internet? Das hat seine guten Seiten, aber "es lässt die Jugendlichen in der Luft hängen und macht sie daher extrem flatterhaft". Schönheitsoperationen hält das Kirchenoberhaupt für eine Verwischung der eigenen Identität; die Verhätschelung von Haustieren für den schalen Ersatz fehlender Menschenliebe. Junge Leute sollten ausreichend verdienen, dürften aber nicht der Raffgier verfallen und erst recht nicht der Korruption - "als ob sich das Geld in Seelennahrung verwandeln würde".

Ein freundlicher und lebenskluger älterer Herr von 81 Jahren gibt den jungen Leuten einen Sack voller Lebensweisheiten mit auf den Weg - so lesen sich die vorab veröffentlichten Zitate des Interviews, das der 32-jährige italienische Schriftsteller und Journalist Thomas Leoncini mit Papst Franziskus geführt hat und das an diesem Dienstag in zehn Sprachen veröffentlicht wurde, auf Deutsch mit dem Titel "Gott ist jung". Und tatsächlich zieht sich durch das Buch ein locker plaudernder Ton, bei dem der Papst seinen Frager ein bisschen kumpelhaft duzt, woraufhin der auf allzu kritische Fragen zur katholischen Kirche verzichtet, weshalb sich dort nichts zu den gegenwärtigen Streitthemen wie Sexualmoral oder Frauenpriestertum findet. Doch man erfährt auf den 140 Seiten Gespräch einiges über den Papst aus Argentinien, über seinen Blick auf Junge - und darüber, wie er die Zukunft seiner Kirche sieht.

Schon das Zitat, das der Papst dem Buch voranstellt, dürfte strengen Katholiken den Atem stocken lassen - geschrieben hat es im 19. Jahrhundert Walt Whitman, der schwule amerikanische Dichter: "Jugend, groß, lustvoll, liebend - Jugend voller Anmut, Stärke, Bezauberung. Weißt du, dass nach dir das Alter kommen könnte mit gleicher Anmut, Stärke, Bezauberung?"

Jugendliche sollen hinausgehen, zu "Antikonformisten" werden, sagt das Kirchenoberhaupt

Jugendliche und junge Erwachsene sollen, so der Papst, in besonderer Weise vorwärtsdrängend sein; sie seien "vielleicht sogar die wichtigsten Propheten der Welt". Sie sollen hinausgehen, die Welt verändern, zu "Antikonformisten" werden und eine "Revolution der Zärtlichkeit" anzetteln, gegen Atomwaffen eintreten und für den Umweltschutz. Franziskus zitiert den Psychoanalytiker Erich Fromm: "Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die in großer Zahl reibungslos funktionieren" - und dabei sollen die jungen Leute nicht mitmachen. Zugleich sieht Franziskus gerade Jugendliche bedroht von der zunehmenden Verzweckung des Menschen und den Ungerechtigkeiten der Welt; gerade sie würden häufig zu "Weggeworfenen", sagt er. Der Papst kritisiert die niedrigen Geburtenraten in Europa und dass eine von Abstiegsängsten geplagte Mittelschicht ihren Zorn nicht nach oben, sondern nach unten richte, gegen die Armen, die Flüchtlinge.

Es ist ein ziemlich antibürgerlicher und kapitalismus- und konsumkritischer Papst, der in dem Buch auftritt, einer, der die Generation, die in ein paar Jahren die Welt bestimmen wird, an die Gefahren jeder Machtausübung erinnert - und seine Weihnachts-Gardinenpredigt an die Kurie von den 15 Krankheiten der allzu Ehrgeizigen wiederholt, unter anderem Narzissmus, übertriebener Arbeitseifer, Planungswahn, Geltungssucht, Griesgrämigkeit und "spirituelles Alzheimer".

Kein Zufall, dass das Interviewbuch zeitgleich zu einem großen Treffen im Vatikan herauskommt, bei dem mehrere Hundert meist junge Delegierte die Bischofssynode zum Thema Jugend vorbereiten sollen, die im Herbst stattfinden wird. Am Montag besuchte Franziskus das Treffen, plauderte und scherzte mit den Teilnehmern dieser Vorsynode. Schön und gut, dass der Papst zuhöre, sagte die deutsche Delegierte Alina Öhler der Deutschen Presse-Agentur, denn "viele Frauen entfernen sich von der Kirche, weil es für sie eine Institution alter Männer ist". Deshalb solle man auch im Herbst nicht nur die Bischöfe in Rom versammeln, sondern auch junge Menschen einladen. Nimmt man die Aussagen des Papstes in seinem Interviewbuch ernst, müsste er das genauso sehen.

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SZ vom 21.03.2018
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