Sie haben es alle nicht geglaubt, keiner hat es geglaubt. Wahnsinn. Dass es "der Sascha" überhaupt in die Stichwahl schaffen würde, damals im April, okay, das hatten die meisten seiner Anhänger zu hoffen gewagt. Zu abgehalftert die große Koalition, zu unzufrieden die Menschen, so groß die Sehnsucht nach etwas Neuem, irgendetwas Neuem.
Aber dass es der 72-jährige Alexander Van der Bellen, den man anfangs etwas zum Jagen tragen musste, weil er es sich schon ziemlich gemütlich eingerichtet hatte in seiner Bücherstube und seinem Pensionisten-Dasein - dass es der, wider Erwarten, geschafft hat, das ist eine Sensation. Noch dazu mit einem denkbar knappen Ergebnis: Genau 31.026 Stimmen Vorsprung hat er auf Norbert Hofer, seinen Konkurrenten von der FPÖ. Dieser lag am Sonntagabend noch mit 144.006 Stimmen vorn, die Stimmen der Briefwähler brachten das Ergebnis am Montag schließlich noch zum Kippen.
Es hatte bei Van der Bellens Unterstützern im linken und liberalen Lager als ausgemacht gegolten, dass man zumindest möglichst viel herausholen müsse im Kampf gegen den Rechtspopulisten Norbert Hofer. Es war eine Frage der Ehre, den Rechten diese Republik nicht kampflos zu überlassen.
Unterstützer-Konzerte, Aufrufe, Flashmobs, Demos, Offene Briefe, Solidaritätskundgebungen, alles war geboten gewesen - und alles, was Rang und Namen hatte in der Kunst- und Kulturszene, war dabei. In den sozialen Netzwerken war getrommelt worden für "VdB"; jeder, der nicht eindeutig dem Lager der FPÖ zugerechnet wurde, hatte seinen Offenbarungseid zu leisten: Was machst du mit deiner Stimme? Gehst du verantwortlich damit um? Politiker der SPÖ und der Neos outeten sich als VdB-Wähler, ganz zuletzt, unter Schmerzen, tat das auch Irmgard Griss.
Nach dem ersten Wahlgang blieb ja nur die ungewöhnlichste aller Konstellationen
Die Juristin war im ersten Wahlgang als unabhängige Kandidatin angetreten und hatte den dritten Platz, knapp hinter Van der Bellen, belegt. Sie zierte sich lange, aber auch sie gab schließlich eine Wahlempfehlung ab. Nur in der ÖVP, wo sich die Parteispitze eine Koalitionsregierung mit der FPÖ im Falle von Neuwahlen offen hält, mochte sich kaum jemand positionieren.
Aber auch so teilte sich die Republik in die, die Alexander Van der Bellen wenn schon nicht für einen zwingend großartigen Bundespräsidenten, dann aber in jedem Fall für die bessere Wahl hielten. Schließlich galt es, Hofer zu verhindern. Nachdem die Kandidaten von SPÖ und ÖVP im ersten Wahlgang untergegangen waren, blieb nun mal nur diese ungewöhnlichste aller Konstellationen: ein Grüner, der sich unabhängig nennt, und ein Blauer, der sich als politische Mitte bezeichnet.
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Unter Optimisten im Lager von Alexander Van der Bellen hieß es bis zuletzt, es würde im besten Falle knapp. Aber Norbert Hofer, der Kandidat der Wutbürger, des Anti-Establishments, der schon im ersten Wahlgang überraschende 35 Prozent der Stimmen geholt hatte, werde wahrscheinlich als erster durchs Ziel gehen, weil die Stimmung und die Weltlage auf seiner Seite sind. Und weil diese Republik eben doch einen Hang zu starken Männern und einfachen Lösungen habe. Soweit die Theorie. Dass Van der Bellen, emeritierter Volkswirtschaftler, langjähriger Sprecher der grünen Partei, ein freundlicher Vorzeige-Intellektueller, der lieber einmal zu viel nachdenkt als einmal zu schnell antwortet - der neue Bundespräsident wird, das ist? Genau. Wahnsinn.
Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sagt, Van der Bellen habe den Sieg nur über ein "Dreiecks-Geschäft mit Nichtwählern" geschafft. Damit meint er all jene, die in den vergangenen Jahren aus Frust über die etablierten Parteien zu Hause geblieben sind; das sind, nach Filzmaiers Rechnung, allein seit 2013 mehr als eine halbe Million SPÖ- und ÖVP-Wähler. Einen Teil von ihnen konnte der Grüne offenbar jetzt mobilisieren.
Die Sozialdemokraten und Konservativen, die sich nicht durchringen konnten, den ehemaligen Chef einer Ökopartei zu wählen, die vielen Österreichern immer noch als linksextrem gilt, dürften dann, wenn man der Logik der Wahlforscher folgt, lieber "weiß" als Hofer gewählt haben. Mit weiß bezeichnet man in Österreich Menschen, die keinen Kandidaten ankreuzen. Filzmaier winkt bei der Frage, ob dies eine neue grüne Ära im Land bedeuten könne, lächelnd ab: VdB als Präsident würde höchstens den "Baden-Württemberg-Effekt" hervorrufen: Jetzt würden die Österreicher erst erkennen, wie bürgerlich die Grünen in ihrem Land eigentlich in Wahrheit seien.
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Der "Sascha" war selbst ein Flüchtlingskind
Der Wahlsieger hatte ohnehin alles getan, um möglichst viele Wähler der Mitte auf seine Seite zu ziehen, und dafür war er der ideale Kandidat: Nachfahre einer niederländischen Familie (daher der Nachname), die unter Peter dem Großen nach Russland ausgewandert und vor den Bolschewiki nach Estland geflohen war. "Sascha" kam als Flüchtlingskind nach dem Krieg nach Tirol, er studierte Volkswirtschaft und lehrte später in Wien. Er machte mehr als zehn Jahre für die Grünen Politik und galt als Integrator, als einer, der Erfolge einfahren konnte, auch an der Wahlurne. Für den Präsidentschaftswahlkampf 2016 holten die Grünen ihn zurück.
Im Wahlkampf eckte er anfangs an, als er bekundete, er wolle einen FPÖ-Kanzler nicht vereidigen; doch je lauter Norbert Hofer davon träumte, was er als starker Präsident alles nicht zulassen würde, desto stiller wurde Van der Bellen. Ja, sagte er im Magazin Profil, es gebe "eine berechtigte Angst, was passiert, wenn Hofer gewinnt. Es wäre ja auch unvernünftig, sich keine Sorgen zu machen."
Er zeigte sich als einer, der die Flüchtlingspolitik der rot-schwarzen Koalition nicht gutheißen konnte und erwärmte damit die Herzen derer, die Faymanns Volte, die Obergrenze, die Notstandsgesetzgebung, all diese mit schneidender Rhetorik durchgekämpften Gesetzesverschärfungen, nicht mitragen wollten. Er verstehe die Ängste der Bevölkerung, sagte Van der Bellen, aber in zwei Dritteln aller Gemeinden gebe es Flüchtlingsunterkünfte, und die allermeisten funktionierten doch sehr gut. Die Debatte führe Populisten zu Erfolgen, so der Professor. Er wollte so einer nicht sein.
Van der Bellen verfolgt Projekte, die dem Zeitgeist zuwiderlaufen
Als Präsident will Überraschungssieger Alexander Van der Bellen lauter Projekte verfolgen, die dem Zeitgeist zuwiderlaufen: Er will an den Vereinigten Staaten von Europa bauen, er will die Religionen versöhnen, er findet, dass Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen sollten, er plädiert für eine bedarfsorientierte Mindestsicherung für alle Österreicher.
Aber erst einmal will er sich zurückhalten und zurücknehmen nach einem Wahlkampf, der Wunden geschlagen, das Land gespalten und die Frage nach dem Amtsverständnis eines Staatsoberhaupts neu gestellt hat. Ruhe reinbringen will er ins Land, nachdem mit einem neuen Kanzler nun schon die Koalition aus der größten Krise heraus ist, fürs Erste jedenfalls. "Traditionell" wolle er sein Amt anlegen, sagt Alexander van der Bellen. Aber vorher darf er sich noch ein bisschen freuen über seinen Erfolg. Er hat dem Land womöglich lange Kämpfe und tiefe Gräben erspart.