Van der Bellen:Österreichs neues Staatsoberhaupt: "Ein Gefühl der Unwirklichkeit"

Österreichs Präsident vereidigt

Neues Staatsoberhaupt: Alexander Van der Bellen im historischen Sitzungssaal im Parlament in Wien

(Foto: dpa)
  • Alexander Van der Bellen ist in Wien als österreichischer Bundespräsident vereidigt worden.
  • Er ist das erste Staatsoberhaupt Österreichs, das aus den Reihen der Opposition, also nicht von SPÖ oder ÖVP, kommt.
  • Überschattet wird die feierliche Zeremonie von einer Regierungskrise.

Von Leila Al-Serori

Unwirklich fühle es sich an, sagt Alexander Van der Bellen in Wien, als er vor der Bundesversammlung zu seiner ersten Rede als Bundespräsident antritt. Wenige Minuten zuvor ist er vereidigt worden. Nun steht er in der Mitte des österreichischen Parlamentes, sichtlich gerührt nach dem vielen Applaus. Unwirklich sei es aber nicht, weil der Wahlkampf so unendlich lange gedauert habe. Der war eigentlich "sehr vergnüglich", sagt Van der Bellen und zwinkert Norbert Hofer, seinem Herausforderer von der FPÖ, zu. Sondern weil er, der als Flüchtlingskind nach Österreich gekommen ist, "jetzt als Bundespräsident vor Ihnen stehen darf".

Der 73-jährige Alexander Van der Bellen, früher Chef der Grünen, war erst im zweiten Anlauf und nach einer Wahlwiederholung Anfang Dezember zum österreichischen Staatsoberhaupt gewählt worden. Damit ist er der erste Bundespräsident, der nicht von SPÖ oder ÖVP, also einer der beiden Regierungsparteien, aufgestellt wurde. Schon das ein Novum. Dass er gegen einen Rechtspopulisten in die Stichwahl zog und der Wahlkampf sich dann auch noch fast ein Jahr hinzog, brachte der sonst eher wenig beachteten Personalie außerdem weltweite Aufmerksamkeit ein.

Van der Bellen positionierte sich im Wahlkampf als klarer EU-Freund, als Verfechter von Menschenrechten und Toleranz. Das zeigt er auch bei seiner Rede. In Anbetracht des Holocaust-Gedenktags am Freitag sagt er: "Österreicher gehörten zu den Opfern, aber auch zu den Tätern. Jenen Menschen, die gerade noch fliehen konnten, wurde ihre Heimat genommen. Wenige der Geflüchteten wurden eingeladen zurückzukommen. Viele wurden, wenn sie doch zurückkamen, in Österreich nicht willkommen geheißen. Das halte ich für die dunkelste Seite unserer österreichischen Geschichte."

Er appelliert in seiner Rede an die Einigkeit des Landes, das nicht zuletzt durch den sehr kontroversen Wahlkampf gespalten wirkte. "Österreich, das sind wir alle." Egal, woher man komme und wen man liebe. "Ob sie Mann oder Frau lieben, gleichgültig, ob sie nun Männer oder Frauen sind. Ob sie Städte lieben oder das flache Land, oder ihr Smartphone oder alles zusammen."

An die junge Generation gerichtet erklärt der neue Bundespräsident: "Ihr seid es, die die Welt neu bauen. Wir Älteren, wir brauchen euch." Überparteilich wolle er sein, sagt Van der Bellen. Eine tägliche Schlagzeile produzieren hingegen nicht (die Rede Van der Bellens im Wortlaut).

Regierung wird Rücktritt anbieten - der Tradition entsprechend

Überschattet wird die feierliche Zeremonie von einer Regierungskrise. Die rot-schwarze Koalition von SPÖ und ÖVP ist wieder einmal tief zerrüttet. Bundeskanzler Christian Kern und seine Minister überarbeiten seit Tagen das Regierungsprogramm. Von diesem Papier hängt die weitere Zusammenarbeit ab.

Der nächste Wahltermin ist für Herbst 2018 angesetzt. Österreichischen Medien zufolge sind baldige Neuwahlen aber wahrscheinlich. Auch wenn die Zeichen am Donnerstag wieder auf Versöhnung stehen.

Am Nachmittag nach der Vereidigung des Bundespräsidenten bietet die Regierung dem neuen Staatsoberhaupt den Rücktritt an - das allerdings ist ein traditioneller Formalakt. Van der Bellen fordert sie wie seine Vorgänger auf, ihre Arbeit fortzusetzen. Beim anschließenden Gespräch hinter verschlossenen Türen sind die Worte des neuen Bundespräsidenten aber vermutlich kritischer.

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