Süddeutsche Zeitung

Vakanter Posten im US-Repräsentantenhaus:Speaker - verzweifelt gesucht

  • Die US-Republikaner sind immer noch auf der Suche nach einem Nachfolger für John Boehner als Sprecher des Repräsentantenhauses.
  • Boehner war vor einem Monat von seinem Posten zurückgetreten, zermürbt durch innerparteiliche Grabenkämpfe.
  • Nun zeichnet sich ab, dass Paul Ryan das Amt übernehmen könnte. Der stellte am Dienstag allerdings konkrete Bedingungen dafür.

Von Sacha Batthyany, Washington

Um den Zwist in der Republikanischen Partei zu illustrieren, reicht ein einziger Tweet, geschrieben hat ihn die Pressestelle des Abgeordneten William McClellan Thornberry. Die bestätigte, dass dieser auf die Frage, ob er für das Amt des Speakers des Repräsentantenhauses kandidiere, für das formal höchste Amt nach dem Präsidenten und dessen Vize, dem Parlamentsvorsitz also, gesagt habe: "Eher werde ich Vegetarier."

Es ist einen Monat her, seit John Boehner, der ehemalige Speaker, seinen Rücktritt bekannt gab. Er stand unter dem Druck des "House Freedom Caucus", einer zwar kleinen, aber einflussreichen Gruppe von vier Dutzend von insgesamt 247 republikanischen Abgeordneten. Boehner gab auf, um sich nicht länger aufreiben zu müssen in den ewigen Machtkämpfen mit dieser erzkonservativen Gruppe, die dabei ist, die gesamte Partei zu spalten.

Das Wall Street Journal sprach von einem unversöhnlichen Graben: Auf der einen Seite stehen jene, die beweisen wollen, dass die Grand Old Party imstande ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Männer wie Boehner also, die mit Blick auf die Wahlen im nächsten Jahr ihre Partei als mehrheitsfähig und besonnen präsentieren.

Ihnen stehen Mitglieder der Tea Party gegenüber, die ihre konservativen Prinzipien unbeirrbar hochhalten, die Kompromisse als Schwäche betrachten und bei jeder Gelegenheit gegen das Establishment wettern. Sie sind frustriert, weil sie trotz klarer konservativer Mehrheit in beiden Kammern zusehen mussten, wie Barack Obama nicht nur die Annäherung an Kuba vorantrieb, sondern auch das Atomabkommen mit Iran durchbrachte. Den Kongress dominieren sie zwar, doch in der Gesamtrechnung des Systems der "checks and balances" reicht ihre Macht nicht aus. Also richtet sich ihre Wut nach innen.

Ein Rückzieher und ein Wunschkandidat

Boehners Tage waren endgültig gezählt, als er verkündete, er wolle keinen "governments shutdown" riskieren, eine Teilschließung der Regierung; und als er sich im Streit über staatliche Subventionen an die Abtreibungsorganisation Planned Parenthood zurückhielt.

Sein designierter Nachfolger, der Kalifornier Kevin McCarthy, machte in letzter Minute einen Rückzieher, wohl deshalb, weil er nicht in ähnliche Machtkämpfe geraten wollte. Offen ist, ob Wunschkandidat Paul Ryan das Amt antreten wird. Ryan, 45, ist ein bekanntes Gesicht, er war 2012 auf Mitt Romneys Ticket als Vizepräsident vorgesehen, ein Haushaltsexperte, von dem es heißt, er wolle eines Tages selber ins Weiße Haus hinter den Tisch im Oval Office. Ryan überlegt sich nun offenbar, ob ihm das Amt des Speakers dabei eher nützen oder schaden könnte.

Am Dienstag erklärte er sich grundsätzlich dazu bereit, den Posten zu übernehmen, allerdings nur unter der Bedingung, dass sich die unterschiedlichen Parteiflügel bis Ende der Woche geschlossen hinter ihn stellten. Ryan sagte, er kandidiere nur widerwillig. Er wolle sich aber nicht vorwerfen lassen, in diesem schwierigen Moment nicht alles versucht zu haben. "Wenn ich wirklich die einigende Gestalt sein kann, bin ich glücklich zu dienen", sagte er.

Falls Ryan sich für eine Kandidatur entscheidet, wäre ihm die Unterstützung des "House Freedom Caucus" wohl gewiss, so signalisierte es am Sonntag jedenfalls Jim Jordan, Abgeordneter aus Ohio und Vorsitzender der Gruppe.

Republikaner wirken führungslos

Die Grabenkämpfe und die schwerfällige Suche nach einem Kandidaten für das hohe Amt fallen in eine Zeit wichtiger Entscheidungen. Noch stehen im Kongress Abstimmungen über Schuldenobergrenzen und neue Haushaltsdebatten bevor, wieder dräut ein Shutdown, dieses Mal im Dezember.

Der chaotische und führungslose Eindruck, den die amerikanischen Konservativen derzeit hinterlassen, wird zusätzlich genährt durch einen Wahlkampf, den die bisherigen Nicht-Politiker Donald Trump, Ben Carson und Carly Fiorina dominieren: ein Immobilienzar, dessen Sätze die 140-Zeichen-Länge einer Twittermitteilung selten übersteigen; ein ehemaliger Top-Chirurg, der die Evolution anzweifelt; und die einstige Hewlett-Packard-Chefin, deren Amtszeit unglücklich verlief - sie alle sind stolz darauf, eben nicht dem typischen Politikerbild zu entsprechen.

Washington ist für sie beinahe ein Schimpfwort und fehlende politische Erfahrung plötzlich kein Hindernis mehr, "Amerika wieder groß zu machen", wie Trump nicht müde wird zu betonen. Auch das sagt viel über den Zustand dieser Partei aus.

Entgegen den Prognosen vieler sogenannter Experten und Meinungsmacher haben zumindest Trump und Carson nichts von ihrer Popularität eingebüßt, im Gegenteil. In der neusten Umfrage von Wall Street Journal und NBC News konnten sie ihren Vorsprung auf etablierte Mitstreiter wie Jeb Bush oder Marco Rubio gar ausbauen. Unkonventionelle Kandidaten wie Trump, die mit ihrer lauten Art die Masse der Wutbürger hinter sich scharen, gab es auch in früheren Wahlkämpfen schon, Herman Cain etwa oder Newt Gingrich, aber keiner hielt sich so lange, nämlich 93 Tage, und so erfolgreich wie "The Donald".

Trotz seines Erfolges bleibt Trump im Grunde unwählbar, wahrscheinlich weiß er das selber. Seine kriselnde Partei aber bringt er in Erklärungsnotstand, weil er ihr einen Spiegel entgegenhält.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2015/gal
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