Süddeutsche Zeitung

Verfassungsschutz:V-Leute verdienen kein Vertrauen

In den Schmuddelecken des Rechtsstaats lauern die Spitzel des Verfassungsschutzes: V-Leute handeln aus Egoismus, nicht aus Loyalität zum Staat. Das macht das Geschäft mit ihnen so anrüchig - und so riskant.

Ein Kommentar von Tanjev Schultz

Vorsicht, V-Leute! In den Schmuddelecken des Rechtsstaats lauern die Spitzel des Verfassungsschutzes. Sie kassieren Geld dafür, dass sie Gleichgesinnte verraten und den Ämtern Informationen liefern. In den meisten Fällen sind V-Leute Extremisten, die ihr Einkommen aufbessern wollen. Sie handeln aus Egoismus, nicht aus Loyalität zum Staat. Das macht das Geschäft mit ihnen so riskant und so suspekt. Das "V" steht offiziell für Vertrauen, aber trauen darf man V-Leuten nie. Was bringen sie dem Staat dann überhaupt? Jede Menge Ärger, so viel ist gewiss.

Der erste Anlauf für ein Verbot der NPD scheiterte 2003, weil die Partei bis zur Führungsspitze durchsetzt war mit V-Leuten. Der Einfluss des Staates auf die NPD war dem Bundesverfassungsgericht zu groß. Nun gibt es aus dem gleichen Grund auch beim zweiten Anlauf Probleme. Die Richter wollen ganz genau wissen, ob sich der Geheimdienst wirklich weit genug zurückgezogen hat. Es klingt absurd, ist aber so: Dass die NPD noch nicht verboten werden konnte, verdankt sie nicht zuletzt dem Verfassungsschutz.

Der Staat gestattet den Spitzeln den Hitlergruß

Es gibt weitere Beispiele dafür, dass der Einsatz von V-Leuten am Ende den Extremisten mehr nützt als dem Staat. In Thüringen baute der V-Mann Tino Brandt, Deckname "Otto", in den Neunzigerjahren eine braune Kameradschaft auf, in der sich auch die späteren NSU-Terroristen wohlfühlten. Der Verfassungsschutz päppelte die Neonazi-Szene, im Griff hatte er sie nicht (eher umgekehrt).

Betrachtet man die vielen Spitzel, die sich im Umfeld des NSU bewegten, betritt man eine Galerie des Grauens. Zu sehen ist ein stiernackiger Skinhead und Kampfhund-Liebhaber, der in Zwickau seine Geschäfte machte, als die Terroristen sich dort versteckten. Er bekam natürlich rein gar nichts mit. Auch zu sehen: ein Mann, der zur Tarnung Perücken trägt, wenn er vor Gericht erscheint. Der Verfassungsschutz hatte ihn im Gefängnis angeworben, als Freigänger durfte der V-Mann später ein Praktikum machen - in einem rechten Szene-Laden. Wie will man das dem Opfer erklären? Der Neonazi war verurteilt worden wegen versuchten Mordes. Er stand an der Spitze eines Mobs, der einen Asylbewerber fast zu Tode prügelte und in einem See ersäufen wollte.

V-Leute sind dubiose und gefährliche Typen; die einen sind unzuverlässige Schwätzer, die sich wichtigmachen, die anderen Spielernaturen, die Gefallen am Verrat finden und denen es wenig Mühe macht, ihre Kameraden auszutricksen - oder die Behörden. Es ist ein schmutziges Geschäft, auf das sich der Staat einlässt. Dem widersprechen nicht mal die Beamten beim Geheimdienst. Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, bezeichnet V-Leute als "Schmutzfüße". Dennoch hält er sie für unverzichtbar. Darf man zulassen, dass der Rechtsstaat beschmutzt wird?

Die Bundesregierung belässt es bei ein paar Reformen

Angeblich sind die Behörden auf die Spitzel angewiesen, um extremistische und terroristische Umtriebe frühzeitig erkennen zu können. Eine Bilanz, wann, wie und wofür V-Leute tatsächlich hilfreich waren, legen sie jedoch nicht vor. Als Neonazis 2003 einen Anschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in München planten, soll der entscheidende Hinweis von einem V-Mann gekommen sein. Die näheren Umstände und die Rolle des V-Manns sind allerdings nicht restlos geklärt.

Bei Linksextremisten und Islamisten tun sich die Geheimdienste sehr schwer, menschliche Quellen zu gewinnen. Vergleichsweise leicht fällt es ihnen bei Rechtsextremisten, aber der Wert dessen, was diese mitteilen, ist oft ziemlich gering. Thüringen verzichtet in Zukunft ganz auf den Einsatz von V-Leuten, und es ist gut möglich, dass dies das Land keineswegs unsicherer macht. Ehrlicher ist es auf jeden Fall. Das unwürdige Spiel aus Lüge, Verrat und Quellenschutz hat in Thüringen ein Ende.

Die Bundesregierung belässt es dagegen bei ein paar Reformen und Klarstellungen. Sie will an diesem Mittwoch ein neues Verfassungsschutz-Gesetz beschließen, das unter anderem den Einsatz der V-Leute regelt. Verurteilte Straftäter sollen vom Geheimdienst grundsätzlich nicht angeworben werden dürfen. Bestimmte Straftaten will man den V-Leuten allerdings erlauben - wenn sie begangen werden, um nicht aufzufliegen und um sich den Rückhalt in der Gruppe zu sichern. Es ist ein Fortschritt, dass es in Zukunft zumindest eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz der Spitzel geben wird (er war bisher nur durch Dienstvorschriften geregelt). An der Anrüchigkeit des V-Mann-Wesens ändert das jedoch nichts. Der Staat gestattet Neonazi-Spitzeln den Hitlergruß. So steht es nicht wörtlich im Gesetz, aber darauf läuft es hinaus. Kein schönes Gesetz ist das.

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SZ vom 25.03.2015/kjan
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