Uwe Barschels Tod:"Es gibt Leute, die die Wahrheit kennen"

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Der frühere Genfer Chefankläger Bertossa räumt im Fall Barschel Fehler der Schweizer Justiz ein - er sieht aber vor allem Deutschland in der Pflicht.

Hans Leyendecker und Nicolas Richter

Der frühere Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa würde es begrüßen, wenn die deutsche Justiz die Ermittlungen im Todesfall Uwe Barschel wieder aufnehmen könnte. "Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun. Ich empfinde noch immer eine große Unzufriedenheit bei diesem Kriminalfall. Man hätte die Wahrheit entdecken können", sagte Bertossa der Süddeutschen Zeitung. "Es gibt Leute, die die Wahrheit kennen", vermutet der 65-Jährige, der auch Fehler der Genfer Justiz einräumt.

Polizisten tragen am 11. Oktober 1987 den toten Uwe Barschel aus dem Genfer "Hotel Beau Rivage". (Foto: Foto: AP)

Der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident war am 11. Oktober 1987 im Hotel "Beau Rivage" in Genf tot in einer Badewanne aufgefunden worden. Bis heute sind die Umstände seines Ablebens nicht geklärt. Es war Mord, Selbstmord oder Sterbehilfe. Kurz vor Barschels zwanzigstem Todestag tauchen in diversen Medien vor allem Mordthesen auf.

So kursieren vor allem Spekulationen, der damals 43 Jahre alte christdemokratische Politiker habe angeblich von Waffengeschäften gewusst und sei deshalb getötet worden. Auch Barschels Witwe Freya ist davon überzeugt, dass ihr Mann umgebracht wurde. Sie habe kein Vertrauen in die zuständige Staatsanwaltschaft, erklärte Frau Barschel.

Die Lübecker Staatsanwaltschaft hatte von 1994 bis 1998 umfangreiche Ermittlungen mit dem Anfangsverdacht Mord aufgenommen und schließlich das Verfahren eingestellt, weil es keine Ermittlungsansätze gab, die zu irgendeinem Täter hätten führen können. Die Akte ist 14 000 Seiten dick.

Der Leiter der Lübecker Strafverfolgungsbehörde, Heinrich Wille, vertritt die Ansicht, im Verlauf der damaligen Ermittlungen habe sich die Mordthese erhärtet. Die Spuren in dem Hotelzimmer deuteten auf ein gewaltsames Ende hin. Allerdings sei die Tatortarbeit der Genfer Polizei im Oktober 1987 unzureichend gewesen.

Bertossa, einst bekanntester Chefankläger der Schweiz und heute Richter am Bundesstrafgericht in Bellinzona, räumt ein, die damalige Genfer Ermittlungsrichterin sei "sehr unerfahren" gewesen. "Die möglichen Nachlässigkeiten der Genfer Justiz erklären sich damit, dass Barschel für uns ein völlig Unbekannter war. Wahrscheinlich sind die Ermittlungen deswegen zu Beginn nicht so ernst genommen worden, wie es hätte sein müssen", sagt er.

Zudem habe sein Vorgänger im Amt des Genfer Generalstaatsanwalts - Bertossa war 1990 gewählt worden - die Selbstmordthese bevorzugt: "Sie war natürlich für alle am bequemsten, weil sie es erlaubte, die Akte zu schließen. Ich habe seine Meinung nicht geteilt." Bertossa erklärt, er sei nach Studium der Akte von der Selbstmordtheorie "gar nicht überzeugt" gewesen.

Lesen Sie im zweiten Abschnitt: Warum Bertossa denkt, dass die eigentlichen Versäumnisse in Deutschland liegen.

Die "eigentlichen Versäumnisse" aber lägen in Deutschland: "Ob Mord oder Selbstmord, die Motive dafür musste man in Deutschland suchen." Die Deutschen seien zu lange untätig gewesen. "Je länger man wartet, desto dünner werden natürlich die Spuren, aber Chancen gibt es immer. Wenn ein Schweizer Politiker dieser Kategorie in Lübeck ums Leben gekommen wäre, hätte ich in Genf sofort ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um die Hintergründe auszuleuchten. Was mich frustriert, ist, dass die Deutschen zunächst nichts getan haben. Hätten sie seriös recherchiert in Deutschland, hätten sie Dinge finden können, die wir in der Schweiz nicht finden konnten", vermutet der Ex-Staatsanwalt.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) bei einer Pressekonferenz 1987. (Foto: Foto: dpa)

Zu den umlaufenden Gerüchten über eine angebliche Beteiligung von Geheimdiensten - insgesamt werden in den Akten zwölf Nachrichtendienste und Mafia-Organisationen in Verbindung mit dem angeblichen Mord gebracht - erklärt Bertossa, diese These habe er vor allem den Medien entnommen. "Deutsche Ermittler hätten diesen Spuren folgen müssen", sagt er. Allerdings weise "kein Detail konkret darauf hin, dass in den Fall Barschel Geheimdienste verwickelt waren".

Der Anwalt der Witwe Freya Barschel, die von einer Beteiligung "diverser Geheimdienste" ausgeht, hat vor Wochen die Generalbundesanwältin Monika Harms aufgefordert, strafrechtliche Ermittlungen aufzunehmen. Die Karlsruher Strafverfolgungsbehörde, die vor allem bei Verfahren in Zusammenhang mit Spionage oder Terror zuständig ist, hat die Prüfung noch nicht abgeschlossen.

Aber es gilt als äußerst unwahrscheinlich, dass sie den Fall übernimmt. Der Behörde liegen Schreiben der zuständigen schleswig-holsteinischen Ermittlungsbehörden vor. Danach gibt es keinerlei neue Erkenntnisse, die eine Neuaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würden. Diese Ansicht vertritt gegenüber Karlsruhe auch Wille, der in diesem Herbst ein Buch mit dem Titel "Der Mord an Uwe Barschel - das Verfahren" publizieren wollte und in mehreren Interviews die Mordthese vehement vertrat.

Das Buch wird - vorläufig zumindest - nicht erscheinen. Der Kieler Generalstaatsanwalt Erhard Rex hat Wille die Veröffentlichung eines Buches untersagt, weil ein Staatsanwalt seine "dienstliche Leistung nicht privat vermarkten" dürfe. Wille hatte in seiner Sache vergeblich die Gerichte bemüht.

Auch das Bundesverfassungsgericht lehnte einen Antrag Willes auf einstweilige Anordnung, das Buch dennoch erscheinen zu lassen, ab. Rex hatte Wille früh angeboten, der Lübecker Chefermittler solle seine Erkenntnisse "ohne Vorzensur" in der kostenlosen "Schriftenreihe des Generalstaatsanwalts" veröffentlichen. Das hatte Wille abgelehnt.

Dennoch soll, vermutlich im kommenden Monat, in der Gratisreihe der Justiz ein Barschel-Band erscheinen. Rex, der seit Jahren mit den Akten vertraut ist, wird selbst eine rund 50 Seiten dicke Dokumentation ("Mord oder Selbstmord?") vorlegen. Der Generalstaatsanwalt, der zwar das Ende Barschels "rätselhaft" findet, neigt nach dem Studium der Unterlagen eher der Selbstmordthese zu.

Mordtheoretiker Wille wird voraussichtlich für diese Dokumentation den rund 260 Seiten dicken Abschlussbericht seiner Behörde aus dem Jahr 1998 mit Schwärzungen und erklärenden Zusatzbemerkungen zur Verfügung stellen. Sein Buchmanuskript will er dennoch veröffentlichen. Er plant eine Verfassungsbeschwerde.

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