Usbekistan:Die Sowjetunion lebt

Der Schlaganfall des Präsidenten-Despoten Karimow löst einen Machtkampf aus und offenbart, wie festgebacken die Strukturen aus Sowjetzeiten sind. Das lässt Böses ahnen für all die Nachbarrepubliken in Zentralasien. Russlands Süden ist ein Hort der Instabilität.

Von Julian Hans

Der Präsident stirbt, und die Sowjetunion lebt. Islam Karimow, über 26 Jahre uneingeschränkter Herrscher über Usbekistan, sei am Montagmittag den Folgen eines Schlaganfalls erlegen, den er am Samstag erlitten hatte. So berichten regimekritische Medien und Menschenrechtsvertreter und berufen sich dabei auf zuverlässige Quellen in Taschkent. Offiziell aber herrscht Schweigen, seit Karimows Tochter Lola Tiljajewa am Montag per Facebook-Nachricht mitteilte, ihr Vater liege auf der Intensivstation.

Über Krankheit und Tod politischer Führer darf in Diktaturen so lange nicht gesprochen werden, bis die Nachfolgefrage geklärt ist. Lenins Schlaganfall wurde verharmlost, Breschnews Tod erst 24 Stunden später bekannt gegeben. Das usbekische Regime bleibt auch dabei der sowjetischen Tradition treu.

Nur das Knurren lässt darauf schließen, dass die Bulldoggen unter dem Teppich einen harten Kampf austragen: Kurzzeitig hieß es, der stellvertretende Ministerpräsident Rustam Asimow sei verhaftet worden, dann wurde die Meldung wieder dementiert. Asimow gilt neben Ministerpräsident Schawkat Mirsijajew als zweiter Favorit für die Nachfolge an der Staatsspitze. Ein entscheidendes Wort wird dabei Rustam Inojatow mitreden, der Chef des Geheimdienstes. Erst wenn die Knochen unter dem Teppich hervorfliegen, wird das usbekische Volk erfahren, wer es in Zukunft beherrschen wird. Nur so viel ist sicher: Mitbestimmen darf es dabei nicht.

In Zentralasien sind die alten Machtstrukturen betoniert

An diesem Donnerstag feiert Usbekistan 25 Jahre Unabhängigkeit. Die Vorbereitungen für den Festakt wurden am Dienstag gestoppt; wer sollte die Parade abnehmen, wer die Ansprache halten? Unabhängigkeit wird leicht mit Freiheit verwechselt. Aber eine Befreiung von der Diktatur brachte die Auflösung der Sowjetunion vor einem Vierteljahrhundert letztlich nur für die baltischen Staaten. Georgien, die Ukraine und die Republik Moldau ringen bis heute um ihre volle Souveränität gegen Moskaus Einfluss. Russland und weitere Nachfolgestaaten sind auf halbem Weg stecken geblieben oder haben den Rückwärtsgang eingelegt.

Dass der ehemalige Parteibonze Islam Karimow seine Macht in die neue Zeit retten und sie über ein Vierteljahrhundert fest in Händen halten konnte, zeigt, dass die Sowjetunion in ihren Metastasen weiterlebt. Die Jubelrufe zur Wende waren verfrüht, das Problem hat sich nicht erledigt.

Despoten wie Karimow oder sein turkmenischer Nachbar Gurbanguly Berdymuchammedow, der zu Wochenbeginn in Berlin zu Besuch war, bauten auf den alten Fundamenten Machtgebäude auf, die ganz auf sie persönlich zugeschnitten sind. Nicht einmal eine Partei kontrolliert sie noch, von Parlamenten oder einer unabhängigen Justiz ganz zu schweigen. Gegner verschwinden im Gefängnis oder werden - wie Menschenrechtsorganisationen aus Usbekistan berichten - bisweilen bei lebendigem Leib gekocht.

Das hat westliche Staaten nicht davon abgehalten, Bündnisse mit den Despoten Zentralasiens zu schließen. Die USA und Deutschland brauchten Usbekistan als Stützpunkt für den Kampf gegen die Taliban im benachbarten Afghanistan.

Islam Karimow ist nun der zweite in der Reihe der ehemaligen Parteibonzen an der Spitze postsowjetischer Staaten, der im Amt aus dem Leben scheidet. Sein Tod leitet das Ende einer Ära ein. Nursultan Nasarbajew, einst Politbüro-Mitglied und seit 25 Jahren Präsident Kasachstans, ist auch schon 76. Auch in Astana ist nicht geklärt, wer oder was ihm nachfolgen soll. Die alten Kader konnten in Zeiten der Wirren den Schein von Kontinuität vermitteln. Aber Diktaturen bieten eben nur scheinbar Stabilität. Wenn der Herrscher geht, ist wieder alles offen.

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