Vermutlich lässt sich der Welthandel derzeit am besten am Beispiel des iPhones erklären. Im vergangenen Wahlkampf erzählte Indiens Premierminister Narendra Modi auf Veranstaltungen immer wieder das Märchen, dass das boomende Land mit der weltweit größten Bevölkerung nun die vielen Smartphones, die es braucht, selbst baut. Es war eine dieser Unwahrheiten, die sich erst mal logisch anhören, denn es werden tatsächlich sehr viele iPhones in Indien gebaut, seitdem Apple seine Abhängigkeit von den globalen Lieferketten im Nachhall der Pandemie und des vergangenen Handelskriegs reduzieren wollte. Die Geräte bleiben nur nicht im Land.
Tatsächlich telefonieren, fotografieren, mailen und posten die Inderinnen und Inder in großer Mehrheit auf chinesischen Geräten. Auf den viel günstigeren Produkten von Vivo, Xiaomi, Realme und Oppo. Apple ist in Indien, wie im gesamten asiatischen Raum, eine Luxusmarke, die sich nur ganz wenige leisten können und wollen. Indien verfügt über hochqualifizierte Ingenieurinnen und Ingenieure, die zudem meist gutes Englisch sprechen, aber ihr entscheidender Vorteil aus Sicht der Amerikaner ist, dass sie trotz hoher Qualifikation deutlich weniger Geld verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen in den USA. Auf diesem Unterschied zwischen dem globalen Süden und Norden basiert das aktuelle Weltwirtschaftssystem.

US-Handelspolitik:Das Ende des freien Handels, wie die Welt ihn kannte
Trump unterscheidet nicht mehr zwischen Freunden und Feinden. Auf Waren aus der EU erlässt er Zölle von 20 Prozent, auf Importe aus anderen Ländern noch viel mehr. So hebelt er mal eben die Regeln des Welthandels aus.
Das Schwergewicht des Welthandels verlagert sich nach Asien
In den USA zu produzieren, das ist auf kurze und auf lange Sicht keine Option für Apple, egal wie hoch die Zölle noch steigen. Die Lohnkosten sind zu hoch, der Dollar ist zu stark. Der US-Komiker Dave Chappelle brachte das Problem bereits im Handelskrieg der ersten Trump-Ära auf den Punkt, als er sich über die Idee lustig machte, dass der Präsident Jobs aus China in die USA zurückholen will: „Wofür?“, fragte er, „damit ein iPhone 9000 Dollar kostet?“ Niemand wolle diese Jobs, so Chappelle, denn „niemand von uns will so hart arbeiten!“ Das ist einer der Gründe, warum die Zölle, die nun auf Eis gelegt wurden, nicht den gewünschten Effekt bringen werden. Der andere ist, dass der binnenasiatische Handel bereits im Jahr 2023 etwa 60 Prozent des gesamten Handelsvolumens ausmachte. Die wirtschaftlich stärksten Länder des Asean-Staatenbundes, Indonesien, Vietnam, Thailand und Malaysia, haben Freihandelszonen verabredet. China ist für fast alle asiatischen Länder der wichtigste Handelspartner.
Dass die USA und Europa noch lukrative Märkte sind, als produzierende Länder aber nicht mehr konkurrenzfähig, sieht man auch am Straßenbild vieler asiatischer Länder. Wer im dichten Stadtverkehr von Bangkok einen deutschen Neuwagen sucht, entdeckt mit sehr viel Glück einen Porsche oder BMW, weil diese Autos immer noch als Prestigeprodukte für Reiche funktionieren. US-Fahrzeuge sind keine zu finden. Dafür sieht man haufenweise neue BYDs, häufiger auch mal MGs oder Volvos, beides einst ausländische Marken, die von chinesischen Herstellern übernommen wurden.
Allesamt inzwischen also chinesische Elektroautos, die günstig sind und außerdem viel mehr Leistung für ihren Preis bieten. Da nichts so alt wirkt wie das Neue von gestern, haben diese Marken auch Tesla abgehängt. Das gilt nicht nur für Thailand, sondern genauso für Brasilien und Australien. In Europa oder den USA sieht man diese Entwicklung nur deswegen nicht, weil chinesische Fahrzeuge umgekehrt mit enormen Strafzöllen belegt werden, was sie künstlich teurer macht.
Die Trump-Regierung hat ihre Strafzölle mehr als der Hälfte der ärmsten Länder der Welt angedroht, weil deren Handelsbilanz mit den USA nicht ausgeglichen sei. Wie sollte sie auch? Man kann sich in Bangladesch keine teuren US-Flugzeuge leisten, keine Rüstungstechnik, keine Pick-up-Trucks oder teuren Treibstoff. Von Smartphones ganz zu schweigen. Dann lieber mal die Preise mit den chinesischen und russischen Anbietern vergleichen.
Im Gegensatz zu Washington hat Peking sich nach dem ersten Handelskrieg bewusst auf die am stärksten wachsenden Märkte weltweit konzentriert, die alle im sogenannten globalen Süden liegen. Diese Länder eint die Tatsache, dass die Menschen dort noch über relativ wenig Kaufkraft verfügen, aber der Mittelstand boomt und wächst. China verkauft seine massenhaft hergestellten Fahrzeuge, Batterien und Solarpaneele in diese Länder steuerfrei. Was Peking wiederum Märkte der Zukunft sichert. Denn auf diese Weise entsteht die entsprechende Infrastruktur, was Ladesäulen, Händler-Netze und Ersatzteile angeht.
Ein thailändischer Ölkonzern investiert in Elektroautos – aus China
Der thailändische Mineralöl-Konzern PTT hat beispielsweise vor zwei Jahren damit begonnen, ein Taxi-Unternehmen aufzubauen, dessen weiße Elektro-Fahrzeuge mit grüner Aufschrift aus chinesischer Fertigung bereits überall im Land unterwegs sind. Das ist smart, denn in den Ländern des globalen Südens spürt man die Erderhitzung täglich, es ist keine Frage, dass das mit den Verbrennungsmotoren nicht ewig weitergehen kann, also diversifiziert PTT und sorgt dafür, dass die Tankstellen auch Ladesäulen haben. Die Technik dafür kommt aus China. Und wer sich in Indonesien oder Laos in einen Schnellzug setzt, rast mit 350 Kilometern pro Stunde in chinesischem Hightech durchs Land – und kommt pünktlich an. Davon kann man in einem Amtrak-Waggon auf dem Weg von Washington nach New York nur träumen.
China investiert also in Wachstumsmärkte, während man in Washington nun versucht, den eigenen Markt zur Erpressung zu nutzen, obwohl in den USA nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Kaufkraft schrumpft. Apple auf jeden Fall ließ in der vergangenen Woche, kurz bevor die Strafzölle in Kraft treten sollten, noch 1,5 Millionen iPhones aus Indien in eilig gecharterten Frachtmaschinen in die USA fliegen. Sonst hätte sich die niemand mehr leisten können.