US-Zensus:Wie eine simple Frage die Republikaner unbesiegbar machen soll

US-Zensus: Straßenszene in Philadelphia: Die umstrittene Frage nach der Staatsangehörigkeit könnte 6,5 Millionen Menschen davon abhalten, den Zensus-Fragebogen auszufüllen.

Straßenszene in Philadelphia: Die umstrittene Frage nach der Staatsangehörigkeit könnte 6,5 Millionen Menschen davon abhalten, den Zensus-Fragebogen auszufüllen.

(Foto: AP)

Bei der Volkszählung 2020 will die Trump-Regierung nach der Staatsangehörigkeit fragen. Dies könnte drastische Auswirkungen auf kommende Wahlen haben. Nun hat das oberste Gericht den Plan gestoppt - vorerst.

Von Thorsten Denkler, New York

Wilbur Ross ist gut vorbereitet, für den Fall, dass er an diesem Märztag im Jahr 2018 auf die kommende Volkszählung angesprochen werden sollte. Ross ist Handelsminister in der Regierung Trump. In seine Zuständigkeit fällt auch der Zensus, der 2020 wieder fällig wird. Alle zehn Jahre, so gibt es die US-Verfassung vor, wird jeder in den USA lebende Mensch gezählt. Vom Ergebnis hängt einiges ab: der Zuschnitt der Wahlkreise etwa oder die Verteilung von Hunderten Millionen Dollar aus öffentliche Kassen. Der Zensus ist mithin die größte Massenmobilisierung von freiwilligen und professionellen Helfern in Friedenszeiten. Er ist eine der Grundfesten, auf denen das politische System der USA aufgebaut ist.

Ross wird an diesem 20. März 2018 vor dem Haushaltsauschuss des Repräsentantenhauses angehört. Es geht vor allem um den Haushalt für das Jahr 2019. Mitten in der ansonsten eher langweiligen Sitzung kommt tatsächlich jene Frage zum Zensus auf, auf deren Antwort Ross viel Energie aufgewendet hat. Manche sagen: kriminelle Energie.

Warum also will die Regierung im Zensus erstmals seit den 50er Jahren wieder wissen, ob die Befragten die US-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzen? Angesichts der harten Haltung der Trump-Regierung gegenüber Einwanderern kommt da bei manchen eine gewisse Skepsis auf. Ross erklärt: Das Justizministerium habe darum gebeten, die Frage aufzunehmen, um mit den Daten das Wahlrecht von Minderheiten besser durchsetzen zu können. Es habe darüber außerdem keinerlei Austausch mit dem Weißen Haus gegeben, versichert er damals. Alles nicht der Rede wert. Nur: Beide Aussagen entsprechen nicht der Wahrheit.

17 Bundesstaaten und eine Reihe von Bürgerrechtsorganisationen klagen

Die Angelegenheit ist zum Streitfall geworden. Der Bundesstaat Kalifornien war der erste, der die US-Regierung wegen der Zusatzfrage verklagt hat. Bisher haben sich 16 Bundesstaaten und eine Reihe von Bürgerrechtsorganisationen angeschlossen.

Mehr als ein Jahr nach der Anhörung hat der Supreme Court eine Entscheidung gefällt. Es war eigentlich ein klarer Sieg für die Trump-Regierung erwartet worden. Doch an diesem Donnerstag hat das oberste Gericht der USA entschieden, dass die Regierung die Frage vorerst nicht in den Zensus aufnehmen darf. Aber die Betonung liegt hier auf "vorerst". Denn das mehrheitlich konservative Gericht hat sich zur Frage selbst gar nicht geäußert. Es hat lediglich die Begründung als wenig glaubhaft zurückgewiesen, mit der Wilbur Ross im März 2018 schon versucht hat, den Kongress hinters Licht zu führen.

Das lässt der Regierung durchaus noch Raum, eine bessere Begründung zu finden. Auch wenn die Zeit drängt. Der Verfassungsexperte Eric Citron schreibt dazu, das Urteil gebe Ross "eine weitere Chance, seine Entscheidung zu begründen. Ob die Zeit dafür reicht, ist eine technische Frage, keine juristische." Ab kommenden Montag müsste eigentlich der Fragebogen für die mehr als 180 Millionen US-Haushalte in Druck gehen, um rechtzeitig zum Zensus am 1. April 2020 versandt werden zu können.

Willbur Ross wird also kreativ sein müssen, wenn er die Frage noch rechtzeitig in den Zensus bekommen will. Gerichtsdokumente zeigen aber, wie hartnäckig er da sein kann. Über Monate hat er nach einem juristisch halbwegs sauberen Weg gesucht. Zunächst haben seine Mitarbeiter im Justizministerium nachgefragt, ob es Interesse an der Staatsbürgerschafts-Frage gebe. Die Antwort: nein. Auch aus dem Heimatschutzministerium gab es eine Absage. Danach setzte sich Ross offenbar direkt mit dem damaligen Justizminister Jeff Sessions auseinander. Das wirkte. Auf Verlangen des Justizministeriums sollte die Frage aufgenommen werden. Diese Kette an Versuchen hat auch im Supreme Court die Zweifel an der offiziellen Begründung wachsen lassen.

In der Ross unterstellten Zensus-Behörde selbst ist ohnehin niemand glücklich über die Frage. Briefe gingen hin und her. Mitarbeiter warnten eindringlich, dass die Frage die Antwort-Rate massiv reduzieren würde. Und dass es gut 27,5 Millionen Dollar kosten würde, alle Haushalte anzuschreiben oder gar aufzusuchen, die nicht antworten. Der Bitte, die Zensus-Behörde im direkten Gespräch über die Beweggründe aufzuklären, kam das Justizministerium auf Betreiben des Justizministers persönlich nicht nach. Die Sache wirkt zu dubios dafür, dass angeblich nur das Wahlrecht von Minderheiten geschützt werden soll.

Auch der Kongress untersucht den Fall. Ross und der neue Justizminister William Barr weigern sich allerdings trotz rechtsverbindlicher Vorladung, dem Kongress die angeforderten Dokumente zu übergeben. Das House Oversight Committee, das weitreichende Untersuchungsvollmachten hat, wirft Ross und Barr jetzt ganz offiziell die Missachtung der verfassungsmäßigen Rechte des Ausschusses vor. In der Theorie zumindest könnte es die beiden eines Tages ins Gefängnis bringen, wenn sie nicht kooperieren.

Warum ist Ross die Frage nach der Staatsbürgerschaft so wichtig, dass er dafür sogar eine Haftstrafe riskiert? Eine Antwort könnten neu aufgetauchte Beweise liefern, die ihn als treibende Kraft innerhalb der Trump-Regierung zeigen, die die Frage in den Fragebogen pressen will.

Auf einer Festplatte des 2018 verstorbenen republikanischen Strategen Thomas Hofeller ist ein E-Mail-Austausch zwischen ihm und Mark Neumann gefunden worden. Neumann ist einer der wichtigsten Berater für Wilbur Ross, wenn es um Zensus-Fragen geht. Hofeller hatte in einer Studie von 2015 den Nachweis geführt, dass die Frage nach der Staatsangehörigkeit die Wahl-Chancen der Republikaner signifikant erhöhen kann. Neumann schien explizit an diesem Zusammenhang interessiert zu sein.

Das passt zu weiteren Gerichtsdokumenten, die zeigen, dass Ross im Weißen Haus vom damaligen Präsidentenberater Steve Bannon Hilfe in der Sache bekam. Woran sich Ross erst im Herbst 2018, ein halbes Jahr nach seiner Anhörung vor dem Kongress, erinnern konnte. Bannon brachte Ross mit Kris Kobach zusammen, dem, wie die New York Times schrieb, "übelsten unter den üblen Republikanern".

Kobach, der als früherer Secretary of State (eine Art Innenminister mit erweiterten Befugnissen) von Kansas auch Chef der dortigen Wahlbehörde war, gilt als der führende Architekt von Gesetzen, die das Wahlrecht für bestimmte Bevölkerungsgruppen einschränken, um den Republikanern Siege zu garantieren. Solche Gesetze gehören in den USA zur traurigen wie alltäglichen Praxis.

Zu seinen Ideen gehört auch, irgendwann nur noch Wahlberechtigte zu zählen, um den Zuschnitt von Wahlkreisen zu bestimmen. Unter Republikanern findet der Vorschlag viele Freunde. In Nebraska hat ein Senator Anfang 2018 ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Die Zahl demokratischer Hochburgen auf der politischen Landkarte würd sich damit auf einen Schlag deutlich verringern. Die Frage nach der Staatsbürgerschaft im Zensus wäre ein wichtiger Zwischenschritt in diese Richtung. Genau diese Frage soll Gegenstand der Diskussionen von Kobach und Ross gewesen sein.

Neue Beweise zeichnen ein "verstörendes Bild", schreibt ein Richter

Will Ross also die Frage nach der Staatsbürgerschaft im Zensus stellen, um den Republikanern dauerhaft die Mehrheit im Repräsentantenhaus und die Präsidentschaft zu sichern?

Ein Bundesrichter aus Maryland scheint das inzwischen für möglich zu halten. George J. Hazel findet die neuen Beweise so schwerwiegend, dass er vergangene Woche überraschend angekündigt hat, den Fall vor seinem Gericht noch einmal aufrollen zu wollen. Die neuen Beweise würden ein "verstörendes Bild" zeichnen, womöglich könne Rassendiskriminierung ein Leitmotiv hinter der Aktion sein, schreibt Hazel in einer am Montag veröffentlichten Stellungnahme. Die Trump-Regierung ziele womöglich darauf ab, die politischen Einflussmöglichkeiten von in den USA lebenden Lateinamerikanern zu reduzieren. Diese stellen die größte Gruppe von Nicht-US-Bürgern in den USA. Die Idee: Wer nicht gezählt wird, hat auch keine Lobby.

Im April hatte Hazel entschieden, dass die Regierung die Frage nach der Staatsangehörigkeit nicht stellen darf, dass aber eine Verschwörung aus seiner Sicht nicht nachzuweisen sei. Sein Urteil landete auf Antrag der Trump-Regierung vor einem Berufungsgericht. Das hat den Fall am Dienstag wieder an Hazel zurücküberwiesen. Noch ein Grund mehr für die US-Regierung, ihren Zeitplan zu überprüfen.

Bis 1950 war es durchaus üblich, dass im Zensus in diversen Variationen auch die Staatsangehörigkeit abgefragt wurde. Dann aber haben Sozialwissenschaftler herausgefunden, dass die Frage der Staatsangehörigkeit viele nicht in den Vereinigten Staaten geborene US-Bürger davon abhält, den Fragebogen wahrheitsgemäß oder überhaupt auszufüllen. Und zwar aus Sorge, dass sie Nachteile erleiden könnten, wenn sie ehrlich antworten. Die Frage wurde gestrichen und tauchte nur noch zu Testzwecken immer mal wieder in Fragebögen auf.

Zwei Wahlen sind anfällig für Verzerrungen, wenn der Zensus als parteiisches Machtinstrument missbraucht wird: die Wahl zum Repräsentantenhaus alle zwei Jahre. Und die Präsidentschaftswahl alle vier Jahre, hier vor allem die Zusammensetzung des Electoral College, des Wahlmännergremiums, das letztlich den Präsidenten wählt.

Der Zuschnitt der Wahlkreise für das House ist allein abhängig von der Einwohnerzahl. Werden in einem Wahlkreis weniger Menschen gezählt, muss der Wahlkreis vergrößert werden. Nicht-US-Bürger leben meist in Wahlkreisen, die demokratisch geprägt sind. Lassen die sich nicht zählen, kann das in einer Stadt wie New York City dazu führen, dass die Demokraten einen Sitz im Repräsentantenhaus verlieren.

Auch im Electoral College entscheidet die Einwohnerzahl eines Bundesstaates, wie viele Wahlleute von dort entsandt werden. Und wieder gilt: Nicht-US-Bürger leben meist in den bevölkerungsreichen Bundesstaaten an den Küsten. Müssen Staaten wie New York oder Kalifornien auf Stimmen im Electoral College verzichten, weil sich nicht alle Einwohner haben zählen lassen, hilft das im Zweifel einem republikanischen Bewerber.

Das sind keine theoretischen Debatten am Reißbrett. John Abowd, Chef der Forschungsabteilung der Zensus-Behörde, warnte seinen Chef Wilbur Ross in einem Memorandum, die Frage könnte 6,5 Millionen Menschen davon abhalten, den Fragebogen auszufüllen. So knapp, wie viele US-Wahlen inzwischen ausgehen, kann das einen gewaltigen Unterschied machen.

Normalerweise ist Abowd die erste Adresse, wenn am Fragebogen etwas geändert werden soll. Er muss darauf achten, dass jede Frage so austariert ist, dass das Kernziel, nämlich eine exakte Übersicht zu haben, wie viele Menschen wo leben, nicht gefährdet wird. Abowd aber wurde bis kurz vor Weihnachten 2017 nicht über die neue Frage unterrichtet, wie er vor Gericht aussagte. Er sollte zwar noch untersuchen, welche Folgen die Frage hätte. Die Sache war da aber längst entschieden. Seine Meinung wurde nur noch pro forma abgefragt. Als er vor Gericht darauf angesprochen wurde, was er davon halte, dass die Trump-Regierung ihn hintergangen habe, musste er mit den Tränen kämpfen.

Auf die US-Wahl 2020 wird der Zensus noch keine Auswirkung haben. Sicher aber für die Wahlen danach. Setzt sich Wilbur Ross trotz des Urteils des Supreme Courts durch und die Frage zur Staatsangehörigkeit landet doch noch im Fragebogen, dann ist dies das wohl größte Geschenk, das er den Republikanern in seiner Amtszeit machen kann.

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