US-Senat:Kavanaugh und Ford sind nur das Kanonenfutter

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Ford ist überzeugt, dass Brett Kavanaugh sie an jenem Abend vor 36 Jahren, als sie 15 und er 17 Jahre alt war, bei einer Party vergewaltigen wollte. (Foto: AFP)

Die Anhörung des Kandidaten für den Obersten Gerichtshof und seiner Anklägerin machten den US-Senat zu einer Bühne der verhetzten Atmosphäre der Ära Trump. Ihre Politiker kennen nur Krieg.

Von Hubert Wetzel, Washington

Gott hatte sich den ganzen Tag lang aus dem Schlamassel herausgehalten, ganz am Ende wurde er aber doch noch hineingezogen. Ob er schwöre, dass er unschuldig sei, wurde Brett Kavanaugh von einem republikanischen Senator zum Abschluss seiner Aussage am Donnerstag gefragt. Ja, sagte Kavanaugh, ein gläubiger Katholik. "Ich schwöre bei Gott."

Der Allmächtige widersprach nicht öffentlich. Aber Kavanaugh ist noch nicht vom Haken. Zwar votierte am Freitag der Justizausschuss des US-Senats für den konservativen Juristen als neuen Richter am Obersten Gerichtshof. Doch der volle Senat wird voraussichtlich erst in einer Woche endgültig über die Berufung abstimmen. Bis dahin soll das FBI den Vorwürfen nachgehen, Kavanaugh habe als Schüler und Student Frauen sexuell bedrängt. Gott wäre für die Ermittler ein interessanter Zeuge. Denn vermutlich kann nur er mit abschließender Autorität sagen, was im Sommer 1982 in einem Privathaus im Washingtoner Vorort Bethesda passiert ist. Die Amerikaner jedenfalls wissen es immer noch nicht. Neun Stunden dauerte die Anhörung am Donnerstag, welche die Wahrheit über Kavanaugh und jenen Sommertag ans Licht bringen sollte. Aber sie brachte nur Streit, Schmerz und Trauer, Zorn, Wut und Empörung.

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Dem US-Supreme-Court-Kandidaten wird versuchte Vergewaltigung vorgeworfen. Nun haben die Republikaner mehr Zeit bis zur finalen Abstimmung über seine Ernennung eingeräumt.

Da saß zuerst Christine Blasey Ford vor den Senatoren, eine offensichtlich tief verletzte Frau, der vor vielen Jahren Furchtbares passiert ist, und die dieses Trauma ihr Leben lang nicht loswerden wird. Ford ist überzeugt, dass Brett Kavanaugh sie an jenem Abend vor 36 Jahren, als sie 15 und er 17 Jahre alt war, bei einer Party vergewaltigen wollte. Als sie um Hilfe schreien wollte, habe Kavanaugh, der sturzbetrunken gewesen sei, ihr den Mund zugehalten, so dass sie zu ersticken glaubte. Ford erzählte mit stockender Stimme von der Tortur, wie "Brett" sie festgehalten und an ihren Kleidern gezerrt habe. Immer wieder kamen ihr die Tränen. Aber als sie fertig war, wagten nicht einmal die härtesten republikanischen Parteisoldaten, ihre Glaubwürdigkeit zu bezweifeln.

Sogar Präsident Donald Trump, dessen Richterkandidat von Ford so schwer beschuldigt wurde, nannte sie "glaubhaft".

Doch dann saß da auch Brett Kavanaugh vor den Senatoren, kein kühler Jurist mehr, sondern ein verstörter, beschädigter Mann. Er schrie und schimpfte, auch er kämpfte mit den Tränen, aber es waren Tränen des Zorns. Nie habe er einer Frau Gewalt angetan oder versucht, jemanden zu vergewaltigen, versicherte er. Er sei das Opfer einer Rufmordkampagne der Demokraten, die sich für die Niederlage von Hillary Clinton gegen Trump rächen wollten, indem sie seine Ernennung zum Verfassungsrichter durch den Präsidenten torpedierten. Kavanaugh bestritt nicht, dass Ford einst attackiert worden ist. Aber er bestritt, der Täter gewesen zu sein: "Ich bin unschuldig."

Kavanaughs Gewüte kippte zuweilen ins Hysterische. Trump persönlich hatte zuvor seinem Richterkandidaten geraten, mit aller Wucht gegen die Vorwürfe zurückzuschlagen. Auf diese Art wehrt sich Trump selbst seit Jahren - und durchaus erfolgreich - gegen die vielen Frauen, die ihm sexuelle Übergriffe vorwerfen. Kavanaugh nahm sich daran ein Beispiel. Aber er war deswegen nicht unbedingt unglaubwürdig. Kavanaughs Selbstmitleid war zuweilen unerträglich. Und seine Versuche zu verschleiern, dass er als Jugendlicher oft schwer gesoffen hat, waren zumindest verdächtig. Welchen Wert haben seine Erinnerungen und Beteuerungen, was er getan oder nicht getan hat, wenn er damals regelmäßig so viel Alkohol trank, dass er sich übergeben musste oder wegkippte?

Dennoch gibt es außer Fords Aussage keine Beweise gegen Kavanaugh. Es gibt keine Zeugen, die Fords Vorwurf bestätigen, nichts, was Kavanaughs Schuld belegt. Und trotzdem wird er für immer mit dem Verdacht leben müssen, ein Vergewaltiger zu sein. Sein Ruf als ehrenwerter Bürger, als Familienmann, als Stütze der Gesellschaft ist dahin.

Als die Anhörung endete, stand, wie schon am Anfang, Aussage gegen Aussage. Wie sicher sie sei, dass es tatsächlich Brett Kavanaugh gewesen sei, der sie damals attackiert habe, wurde Ford gefragt. "Einhundert Prozent", antwortete sie, und ihre Stimme, die sonst oft zitterte, war fest. Wie sicher er sei, dass die Vorwürfe gegen ihn falsch seien, wurde Kavanaugh gefragt. "Einhundert Prozent", antwortete er, und auch seine Stimme war ruhig.

In früheren, weniger aufgehetzten Zeiten hätten sich die Senatoren an diesem Punkt gemeinsam beraten und einen Mittelweg gefunden. Bedächtig die Dinge abzuwägen - darauf war der Senat stets stolz. Aber so sind die Zeiten in Washington nicht mehr. In Wahrheit geht es Republikanern und Demokraten nicht um einen sexuellen Übergriff, der 36 Jahre zurückliegt. In Wahrheit geht es um die Macht am Supreme Court, dem wichtigsten Gericht im Land. Und es geht um den Sieg bei der Kongresswahl im November.

Kavanaugh hat am Donnerstag gezeigt, wo er politisch steht: an der Seite von Donald Trump

Für Trump und die Republikaner ist Kavanaughs Beförderung ans Verfassungsgericht eine einmalige Gelegenheit, dem konservativen Flügel dort auf Jahrzehnte hinaus eine solide Mehrheit zu verschaffen. Das Gericht macht mit seinen Urteilen Politik, und Kavanaugh, der noch vor wenigen Tagen versprochen hatte, ein neutraler Richter zu sein, hat am Donnerstag gezeigt, wo er politisch steht: an der Seite von Präsident Donald Trump. Auch das wird seinen Ruf - und womöglich den des Verfassungsgerichts als unpolitische Institution - für immer belasten.

Hätten die Republikaner Kavanaugh wegen Fords Vorwürfen fallengelassen, hatte sich das im November bitter rächen können. Für den harten Kern der republikanischen Anhänger ist kaum ein Thema so wichtig wie die Ernennung konservativer Richter. Kavanaugh nicht durchzusetzen, würden diese Wähler als Verrat empfinden. Deswegen wollen die Republikaner um jeden Preis eine rasch Abstimmung über Kavanaugh. Und deswegen verteidigten praktisch alle republikanischen Senatoren den Kandidaten am Donnerstag mit Klauen und Zähnen, allen voran Lindsey Graham aus South Carolina, ein Bundesstaat im Süden, der aus gutem Grund "Trumpistan" genannt wird. Für die Demokraten gilt eine spiegelbildliche Realität. Nichts bringt ihre Kernwähler so in Rage wie die Aussicht auf ein konservativ beherrschtes Verfassungsgericht, das möglicherweise das Recht auf Abtreibung beschränkt. Und nichts wollen sie mehr, als dem verhassten Trump eine Niederlage zu bereiten. Fords Vorwürfe waren daher ein willkommenes Geschenk, ein Sprengsatz, den die Demokraten nicht zufällig detonieren ließen, als Kavanaughs Bestätigungsverfahren schon fast abgeschlossen war. Dass Kavanaugh vielleicht trotzdem noch Verfassungsrichter wird, ist zweitrangig. Die Demokraten haben ihren Anhängern gezeigt, dass sie echte Grabenkämpfer sind. Und auch eine Niederlage kann nützlich sein, um im November Wähler - und vor allem Wählerinnen - zu mobilisieren. Für die nächste Schlacht. Am Freitag war es dann ein einzelner republikanischer Senator, der eine kleine Rebellion wagte. Jeff Flake aus Arizona stimmt im Justizausschuss nur unter der Bedingung für Kavanaugh, dass dem FBI eine Woche Zeit gegeben wird, etwas zu tun, was in Washington sehr aus der Mode gekommen ist: die Wahrheit zu finden.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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