USA:Lieber einen Trucker als einen Demokraten

Edward Durr

Zieht anstelle eines Demokraten in den Senat von New Jersey ein: Lkw-Fahrer Edward Durr vor seinem Haus in Swedesboro. Seine Wahlkampfvideos filmte er mit dem Handy.

(Foto: Ellie Rushing/The Philadelphia Inquirer/AP)

In Virginia und New Jersey hat Joe Bidens Partei böse Niederlagen einstecken müssen. Nun sind die Linken und die Gemäßigten in ihr noch uneiniger darüber, welche Themen den Menschen wirklich wichtig sind.

Von Hubert Wetzel, Washington

Wer wissen will, wie brutal die Wahlniederlagen der Demokraten am Dienstag waren, sollte nach New Jersey schauen. Dort gewann ein Mann namens Edward Durr für die Republikaner einen Sitz im Senat des Bundesstaats. Durr, der als Lastwagenfahrer für ein Möbelhaus arbeitet, gab für seinen Wahlkampf etwa 2300 Dollar aus. Dieses magere Budget reichte, um einen Wahlkreis zu erobern, den die Demokraten seit Anfang der Siebzigerjahre gehalten hatten.

Durr schlug seinen Gegner Steve Sweeney, einen der mächtigsten demokratischen Politiker New Jerseys, mit 52 zu 48 Prozent. Das war ein dramatischer Umschwung: Bei der Wahl vor vier Jahren hatte Sweeney noch 59 Prozent der Stimmen bekommen - 18 Punkte mehr als sein damaliger republikanischer Gegenkandidat. Bei der Präsidentenwahl im November 2020 gewann der Demokrat Joe Biden in New Jersey mit 57 zu 41 Prozent gegen den Republikaner Donald Trump - 16 Punkte Vorsprung. Und jetzt das: Ein Trucker, der seine Wahlkampfvideos mit dem Mobiltelefon filmte, demütigt die Demokraten.

Immerhin wurde New Jerseys demokratischer Gouverneur Phil Murphy am Dienstag mit 51 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Er entkam damit dem Schicksal seines Parteifreunds Terry McAuliffe, der in Virginia verlor. Dort gewann der Republikaner Glenn Youngkin das Gouverneursamt. Seine Partei eroberte zudem die Mehrheit im Abgeordnetenhaus des Bundesstaats zurück.

Insgesamt war es also ein finsterer Wahltag für die Demokraten, bei dem ein äußerst beunruhigender Trend sichtbar wurde: Überall dort, wo die Republikaner ohnehin stark sind, auf dem Land und in den Kleinstädten, wurden sie noch stärker. Und dort, wo die Demokraten in den vergangenen Jahren die Stimmen für ihre Wahlsiege eingesammelt hatten, in den Städten, vor allem aber in den Vororten, schrumpften ihre einst bequemen Siegesmargen beträchtlich.

Das Dilemma ist schwer zu lösen: progressiv sein oder bodenständig?

Angesichts so vieler verlorener Wahlen ist es kein Wunder, dass die Demokraten nun nach einem Schuldigen suchen. Und es ist kein Zufall, dass der Streit darüber, wer die Verantwortung für das Desaster trägt, wieder entlang jener Bruchlinie geführt wird, die die Demokraten seit Jahren spaltet: der linke Parteiflügel gegen den rechten, "Progressive" gegen "Zentristen", die jungen, woken Aktivisten gegen das ältere, gemäßigtere Establishment der Partei.

Die erste Salve kam von links. Noch am Wahlabend veröffentlichten vier der einflussreichsten Organisationen im linken Lager eine Stellungnahme zum Ergebnis in Virginia. McAuliffe, so hieß es darin, habe eine schwammige, mutlose "Milchtoast-Kampagne" geführt und dem "rassistischen Bullshit" der Republikaner nichts entgegengesetzt. Statt eine "arbeiterfreundliche Botschaft" zu verbreiten und über die Themen zu sprechen, die den Menschen wichtig seien, habe er nur über Trump geredet. Es sei daher verständlich, dass "bestimmte demokratische Wählergruppen" - sprich: Jungwähler, Schwarze und Latinos - nicht zur Wahl gegangen seien.

Beim konservativen Flügel der Demokraten sieht man das anders. "Was schiefgelaufen ist, war diese bescheuerte Wokeness" (Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Diskriminierung), motzte James Carville, einer der prominentesten Wahlstrategen der Partei. Zwar verteidigten nur wenige Demokraten McAuliffes Wahlkampf, der in der Tat hauptsächlich darin bestanden hatte, Youngkin zu einem verkappten Trump-Wiedergänger aufzubauschen. Doch in der zentralen Frage - was sind eigentlich die Dinge, die "den Menschen" wichtig sind? - herrscht in der Partei ganz offensichtlich große Uneinigkeit.

Während die Linken in der Partei eher über "progressive" Themen wie Klimaschutz und eine allgemeine Krankenversicherung, aber auch Rassismus, Diversität, Genderfragen und Polizeigewalt reden wollen, mahnt das konservative Lager zu mehr Bodenständigkeit und Volksnähe. "Wir trauen uns nicht zu sagen: Klar, die hohe Inflation ist ein Problem, die Versorgungsengpässe und hohen Benzinpreise sind ein Problem, und wir haben nicht genug Arbeitskräfte", sagt die moderate demokratische Abgeordnete Abigail Spanberger, die im US-Abgeordnetenhaus einen Wahlkreis aus Virginia vertritt.

Das ist ein Dilemma, das sich nur schwer lösen lässt. Denn einerseits sind junge Menschen und Schwarze äußerst wichtige Wählergruppen für die Demokraten. Und viele dieser Wähler blieben am Dienstag in Virginia zu Hause: Der Anteil von Afroamerikanern an der Wählerschaft sank im Vergleich zu 2017 von 20 auf 16 Prozent, der Anteil von Wählern unter 30 reduzierte sich von 14 auf zehn Prozent. Dem linken Parteiflügel die Schuld zu geben, dass diese Wähler von McAuliffe nicht begeistert waren, einem altgedienten, durch und durch moderaten Partei-Insider, dessen Karriere unter den Clintons begann, ist fragwürdig.

Die Abscheu vor Trump bewegt die weißen Vorstädte diesmal nicht

Andererseits hat das Ergebnis in Virginia auch gezeigt: Die Demokratische Partei wird inzwischen als so links, so abgehoben, elitär und besessen von Minderheitenproblemen wahrgenommen, dass ihr große Teile der weißen Wählerschaft davonlaufen. Da die Wahrnehmung bei Wahlen oft wichtiger ist als das tatsächliche politische Programm und weiße Wähler immer noch die Mehrheit bilden, ist das ein existenzielles Problem für die Demokraten.

Die Abwendung der weißen Arbeiterschicht von den Demokraten hat inzwischen dramatische Ausmaße. Weiße ohne Universitätsabschluss - Männer wie Frauen - stimmten am Dienstag zu drei Vierteln für Youngkin. Doch selbst in den Vorstädten im Norden Virginias, wo sehr viele wohlhabende, gut ausgebildete Weiße leben, die in den vergangenen Jahren aus Abscheu vor Trump die Demokraten gewählt haben, schnitt McAuliffe schlecht ab. Wie in New Jersey war auch dort die Entscheidung örtlicher demokratischer Politiker, die öffentlichen Schulen wegen der Corona-Pandemie ein gutes Jahr lang zu schließen, ein wichtiger Grund für die Rebellion der Wähler.

Youngkin schürte in seinem Wahlkampf zwar auch rassistische Ressentiments. Die Tatsache allerdings, dass in Virginia am Dienstag eine schwarze Republikanerin namens Winsome Sears die Wahl zum " Lieutenant Governor" gewann und damit das zweithöchste Staatsamt eroberte, zeigt, dass Rassismus wohl kaum die treibende Kraft hinter Youngkins Sieg war.

Eher ist es so: Die Demokraten leiden derzeit unter dem Problem, das zu Trump-Zeiten den Republikanern Wahlniederlagen beschert hat - sie vergraulen unterm Strich mehr Wähler, als sie anziehen.

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