USA: Wahl in Massachusetts:Stich ins Herz der Demokraten

Ausgerechnet in ihrer Hochburg verlieren die Demokraten ihre strategische Mehrheit. Die Gründe für die Niederlage: ein lustloser Wahlkampf, die Wirtschaftslage - und Barack Obama.

Barbara Vorsamer

Sein einjähriges Amtsjubiläum hat sich Barack Obama sicher anders vorgestellt. Statt ihren Präsidenten zu feiern, steht die Demokratische Partei am 20. Januar 2010 vor dem Verlust eines Senatssitzes und damit der strategisch wichtigen Supermehrheit von 60 Sitzen. Darüber hinaus handelt es sich bei Massachusetts nicht um irgendeinen Senatssitz.

Barack Obama US-Präsident Gesundheitsreform Massachusetts Senat Nachwahl Edward Kennedy, Reuters

Freude bei den Republikanern: Scott Brown hat den Senatssitz von Massachusetts errungen.

(Foto: Foto: AFP)

Edward "Ted" Kennedy, der liberale Löwe des Senats, war bis zu seinem Tod vergangenen Sommer fast ein halbes Jahrhundert für die Demokraten Senator von Massachusetts gewesen. Vor ihm hatte bereits sein Bruder, der spätere Präsident John F. Kennedy, den Sitz inne. Es gibt keinen demokratischeren Staat in den USA als Massachusetts: Sogar bei der Präsidentschaftswahl 1972, als 49 Staaten für den Republikaner Richard Nixon stimmten, wählte Massachusetts demokratisch.

Doch diese Historie ist nur einer der fünf Gründe, warum die Demokraten diese Wahl deutlich verloren. Eine Analyse.

1. "Es ist nicht der Sitz der Kennedys, es ist der Sitz des Volkes."

Die lokale Kandidatin Martha Coakley ganz alleine für ihr Scheitern verantwortlich zu machen, wäre falsch. Dennoch hat die Demokratin einige große Fehler gemacht, die ihr mageres Ergebnis von 47 Prozent mitbedingten. Bei der Präsidentschaftswahl 2008 stimmten noch 62 Prozent der Wähler aus Massachusetts demokratisch.

Doch weil die Demokraten seit Jahrzehnten solche Wahlerfolge gewohnt waren, behandelten sie den Sitz wie einen Erbhof. Entsprechend lustlos machte die Generalstaatsanwältin Coakley Wahlkampf. "Soll ich etwa im eiskalten Fenway Park Hände schütteln?", fragte sie konsterniert - nicht ihr einziger Lapsus. Bei den Wählern verlor sie auch an Zustimmung, als sie fälschlicherweise einen beliebten Ex-Spieler der Boston Red Sox als Fan des großen Baseball-Konkurrenten New York Yankees bezeichnete und sich mitten im Wahlkampf für eine Woche in den Urlaub verabschiedete.

Der republikanische Kandidat Scott Brown hingegen fuhr eine brillante Kampagne. Unermüdlich tingelte er durch den Staat, pflegte sein Image als Underdog und entdeckte das Internet für sich. Die Demokraten ärgerte er, als er sich in einem Werbespot als wahrer Erbe John F. Kennedys gerierte - der hatte vor mehr als 50 Jahren der Republikanischen Partei den Sitz entrissen, die ihn damals als ihre Bastion betrachtete. Brown sagte: "Es ist nicht der Sitz der Kennedys, es ist der Sitz des Volkes." Die Wähler sahen das ebenso.

2. Der Amtsinhaber-Malus

Vor einem Jahr wusste der gerade frisch vereidigte US-Präsident Barack Obama mehr als zwei Drittel der US-Bürger hinter sich. Heute unterstützt nicht einmal jeder zweite Amerikaner den Präsidenten. Es ist ein massiver Absturz bei den Popularitätswerten - und nicht unüblich.

Es ist fast schon ein Naturgesetz in den USA, dass die Partei, die bei den Präsidentschaftswahlen siegt, zwei Jahre später, bei den sogenannten Midterm Elections, die Mehrheit im Kongress verliert. Alle zwei Jahre müssen sich alle Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses zur Wahl stellen, ebenso ein Drittel aller US-Senatoren. Bei dieser Gelegenheit schlägt das Parteienpendel meistens in die andere Richtung aus, was auch viel damit zu tun hat, dass es den Amerikanern nicht geheuer ist, wenn im Weißen Haus und auf dem Capitol Hill nur eine Partei das Sagen hat.

So erzwingt der Wähler Kompromisse zwischen Republikanern und Demokraten. Der Ausgang der Nachwahl für einen Senatssitz in Massachusetts deutet darauf hin, dass auch Präsident Obama im kommenden Herbst diese Situation blüht.

Stimmung gegen Washington

3. Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!

"It's the economy, stupid" war das Wahlkampf-Mantra, mit dem Bill Clinton die Präsidentschaftswahl 1992 gewann. Seitdem gehört er zum Grundwissen aller Wahlkampfmanager und Politiker: Die Wähler stimmen nach ihrem Geldbeutel ab. Geht es ihnen wirtschaftlich gut, wählen sie die Regierungspartei. Wenn nicht, stimmen sie für die Opposition.

Für finanzielle Krisenzeiten und wirtschaftliche Not machen sie immer die Partei an der Macht verantwortlich - egal, ob diese tatsächlich für die Krise verantwortlich ist oder nicht. Dass also derzeit die US-Wirtschaft so schwach, die Arbeitslosigkeit so hoch und die Staatsverschuldung so immens ist, wird Obama angelastet.

In Zeiten wie diesen haben nur wenige Bürger Verständnis dafür, dass sich ihr Präsident vor allem für den Afghanistan-Einsatz und seine Gesundheitsreform verausgabt. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Haushaltsdisziplin sind ihnen wichtiger.

4. Anti-Establishment-Stimmung

Als Underdog gewann Barack Obama bereits die demokratischen Vorwahlen gegen seine in Washington und im demokratischen Establishment exzellent vernetzte Konkurrentin Hillary Clinton. Bei der Präsidentschaftswahl im November 2008 besiegte er mit John McCain einen weiteren Politiker, der seit Jahrzehnten in der US-Politik mitmischt.

Sich als Außenseiter zu gerieren, ist ein Erfolgsrezept, um US-Wahlen zu gewinnen. Doch nach einem Jahr im Weißen Haus ist es nicht mehr glaubwürdig. Die Demokraten haben derzeit die Mehrheit im Senat, im Repräsentantenhaus und sie stellen den US-Präsidenten.

Die Anti-Establishment-Stimmung wendet sich nun also gegen sie und gegen Obama. Die Welle, die ihn vor einem Jahr ins Amt spülte, schwappt ihm nun entgegen.

5. Eine Niederlage für Obama

Es wäre jedoch völlig falsch, die Niederlage in Massachusetts nur mit der lokalen Gemengelage und allgemeinen Effekten zu erklären. Denn beide Parteien haben die eigentlich profane Nachwahl für einen einzelnen Sitz im Senat zu einer Abstimmung über Obamas Politik hochgejazzt. Die regionale Kampagne ist zu einer nationalen Schlacht geworden.

Fakt ist: Eine Mehrheit der Bürger sieht die Agenda des Präsidenten inzwischen kritisch. Vor allem seine geplante Gesundheitsreform verunsichert viele Menschen. Sie befürchten Steuererhöhungen, die Vernichtung von Arbeitsplätzen und weniger Freiheit für den Einzelnen.

Daher gaben vor allem unabhängige Wähler, die bisher meist demokratisch gewählt hatten, ihre Stimme in Massachusetts dem Republikaner Brown. Dieser hatte schon im Wahlkampf angekündigt, der Gesundheitsreform keinesfalls zuzustimmen. Obama bleibt nun nichts anderes übrig, als weiter auf die Republikaner zuzugehen und seinen Gesetzentwurf an die Mehrheitsverhältnisse anzupassen.

Das kann man schade finden - aber den Bürgern Massachusetts war bewusst, dass sie mit ihrer Wahl über das Wohl und Wehe der Reform, und damit auch über das Erbe ihres jahrzehntelangen Senators Ted Kennedy entscheiden. Der bezeichnete die Gesundheitspolitik noch kurz vor seinem Tod als "Anliegen seines Lebens", das Gesetz sollte den Namen Edward-Kennedy-Reform tragen. Nun muss Obama zusehen, ob und wie er die Reform durchsetzen kann. Der Wähler hat ihm eine herbe Niederlage verpasst.

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