Süddeutsche Zeitung

USA:Die Motivationsarbeit leistet Trump

Unter coronabedingt ungewöhnlichen Umständen beginnen die Demokraten ihren Parteitag. Doch womöglich kommt es gar nicht so sehr darauf an, für den eigenen Kandidaten zu werben.

Von Hubert Wetzel, Washington

Normal ist in diesem Jahr im US-Wahlkampf nur wenig. Das meiste von dem, was die Präsidentschaftskandidaten zehn Wochen vor der Wahl normalerweise tun, können sie wegen der Corona-Pandemie nicht tun. Donald Trump und Joe Biden halten keine Reden in vollen Mehrzweckhallen. Ihre freiwilligen Helfer laufen nicht von Tür zu Tür. Und die Parteitage, diese gigantischen Politspektakel, die die US-Parteien alle vier Jahre um ihre Kandidaten inszenieren, finden an einem Ort statt, an dem es alles, was man für ein gigantisches Politikspektakel braucht, eigentlich nicht gibt: im Internet.

Ob das funktioniert, probieren zuerst die Demokraten aus. Ihr Parteitag beginnt an diesem Montag, allerdings nicht wie geplant in Milwaukee, Wisconsin, sondern als schnöder Livestream. Statt der 5000 Delegierten und Zehntausenden Besuchern, die 2016 beim Parteitag in Philadelphia waren, werden in Milwaukee nur 300 Parteifunktionäre anwesend sein.

Zumindest optisch wird die Veranstaltung daher eher an eine Zoom-Konferenzschalte erinnern als an einen Parteitag - kein Publikum, kein Applaus, kein Gejubel und Geschrei, keine Show. Dass am Donnerstagabend Luftballons und Glitzerschnipsel auf Joe Biden herabregnen werden, wenn dieser in irgendeiner düsteren Halle in Wilmington, Delaware, auf weitgehend leerer Bühne seine Rede gehalten und die Präsidentschaftskandidatur offiziell angenommen hat, ist eher zweifelhaft.

Doch obwohl in diesem Jahr alles anders ist, obwohl in den USA ein Virus wütet, das mehr als 160 000 Menschen getötet und Millionen arbeitslos gemacht hat, halten die Demokraten an einer traditionellen Parteitagsdramaturgie fest. Das Ereignis wird zum Großteil aus Reden bestehen, wobei das politische Gewicht der Rednerinnen und Redner zunimmt, je später es wird. Die Hauptredezeit liegt in diesem Jahr zwischen 21 und 23 Uhr amerikanischer Zeit. Zu dieser Zeit werden unter anderem Michelle und Barack Obama sprechen, Hillary und Bill Clinton, Vizekandidatin Kamala Harris - und natürlich, am Donnerstag zum Abschluss, Joe Biden.

Was bisher niemand weiß: Werden die Leute zuschauen? Wollen die Amerikaner wirklich wissen, was der Senator X oder die Senatorin Y über Biden und Harris zu sagen hat? Oder schauen die Bürger nur am Mittwochabend kurz rein, wenn die Popsängerin Billie Eilish ihren Auftritt hat, sofern sie die kennen?

Wäre an diesem Dienstag Präsidentschaftswahl, hätte Biden eine Siegchance von mehr als 90 Prozent

Andererseits befinden sich die Demokraten in diesem Jahr in der ebenso außergewöhnlichen wie - für sie - erfreulichen Lage, dass ihnen ihr Gegner einen ganz erheblichen Anteil der Wahlkampfarbeit abnimmt. Nach derzeitigem Stand, ist die Präsidentschaftswahl 2020 weniger ein Wettstreit zwischen zwei, sondern eher ein Referendum über einen Kandidaten: Donald Trump. Biden führt in den Umfragen mit einem soliden und ziemlich stabilen Vorsprung. Seit Monaten liegt er bei etwa 50 Prozent der Wählerstimmen, Trump bei 40 bis 43 Prozent. Wäre an diesem Dienstag Präsidentschaftswahl, hätte Biden eine Siegchance von mehr als 90 Prozent. Prognosen geben ihm für November eine Chance zwischen 70 und 90 Prozent. Damit ist zwar nichts sicher. Trumps Siegchance lag 2016 ebenfalls bei 20 bis 30 Prozent, und er hat sie genutzt. Aber es ist eine gute Ausgangslage für den Demokraten.

Bidens Vorsprung hat freilich weniger damit zu tun, dass die Wähler besonders begeistert von ihm wären, sondern dass eine Mehrheit der Amerikaner Trump satt hat. Umfragen zeigen, dass sehr viele Demokratenwähler eher gegen Trump als für Biden sind. Das mindert den Druck auf die Demokraten, die Menschen für ihren Kandidaten interessieren oder gar begeistern zu müssen - etwa durch einen packenden Parteitag. Diese Motivationsarbeit leistet, unter negativen Vorzeichen, Trump.

Die Demokraten sollten lieber auf Trumps Fehler und Defizite hinweisen, sagen Experten

Angesichts dieser besonderen Lage stellen einige Kommentatoren aber die Frage, ob das Parteitagsprogramm wirklich effektiv ist. Statt langatmig über Bidens Qualitäten zu sprechen, so argumentieren sie, sollten die Demokraten das Land lieber vier Tage lang zur besten Sendezeit auf Trumps Fehler und Defizite hinweisen.

Trumps Versuch, die Post zu sabotieren, damit diese keine Briefwahlunterlagen transportieren kann, böten sich dafür zum Beispiel an. "Wenn die Demokraten die Gelegenheit verpassen, bei ihrem Parteitag einen Rentner auftreten zu lassen, der deswegen seine Medikamente zu spät bekommt, oder einen Veteranen, der einen Scheck nicht kriegt, oder eine Oma, die ihre Geburtstagskarte nicht bekommt - dann können sie gleich einpacken", twitterte vor einigen Tagen der rechtskonservative Publizist Bill Kristol, der Trump leidenschaftlich verachtet. "Sie könnten auch die Familie von einem jungen Menschen auf die Bühne bringen, der an Covid gestorben ist, weil der Präsident erzählt hat, das sei keine große Sache", ergänzte die Politikwissenschaftlerin Rachel Bitecofer, deren Wahlanalysen zu den besten auf dem Markt gehören. "Aber", so schob sie resigniert nach, "sie werden es nicht tun."

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Jedenfalls findet sich im bisherigen Parteitagsprogramm nichts davon. Da stehen die Clintons und die Obamas. Auch Bidens innerparteiliche Gegner aus den Vorwahlen dürfen fast alle einige Minuten reden, selbst wenn ihre Namen längst vergessen sind. Oder wer erinnert sich noch an Pete Buttigieg und Amy Klobuchar?

Stattdessen wird Billie Eilish singen, deren Musik selbst in bewundernden Rezensionen zumeist mit dem Adjektiv "depressiv" beschrieben wird. Das passt vielleicht zur Stimmung in den USA. Ob es als Soundtrack für den demokratischen Wahlkampf 2020 taugt, ist eine andere Frage.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2020/hij
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