USA:Die zwei Gesichter der Nation

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Präsident Joe Biden und seine Frau Jill Biden beim Besuch des Gedenkortes an der Robb Elementary School im texanischen Uvalde. (Foto: Evan Vucci/AP)

Der Schock nach dem Massaker in der Schule von Uvalde hält an. Doch Republikaner und Demokraten verlieren sich bereits wieder im politischen Hickhack um das Waffenrecht.

Von Fabian Fellmann, Washington

Das hässliche und das großzügige Gesicht der Vereinigten Staaten treten eine Woche nach dem Massaker in der Grundschule von Uvalde zutage. Auf der einen Seite ist da die Welle der Solidarität mit den Angehörigen der 21 Opfer des 18-jährigen Schützen, der am 24. Mai mit einem Sturmgewehr in die Robb Elementary School der texanischen Kleinstadt eingedrungen war.

Eine anonyme Spende hat 175 000 Dollar zur Verfügung gestellt, damit die Familien der Opfer nicht für die Begräbniskosten aufkommen müssen. Auf Spendenplattformen fließt Geld zusammen für Angehörige, die Therapie benötigen. Auch an behördlichen Zeichen mangelt es nicht: Am Sonntag flogen Joe Biden und First Lady Jill Biden zu einer Trauerfeier nach Uvalde. Der Präsident verzichtete auf eine Rede und hielt die Medien auf Distanz.

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Das hässliche Gesicht verkörpert diesmal allen voran der texanische Senator Ted Cruz, ein strammer Verfechter des uneingeschränkten Rechts auf Waffentragen und seit dem Massaker von Uvalde auf allen Kanälen präsent. Dort verbreitet er kurz und knapp den Glaubenssatz, an dem sich Republikaner nach solchen Massakern zu orientieren haben: "Wir dürfen auf das Böse nicht reagieren, indem wir die Verfassung aufgeben oder die Rechte von gesetzestreuen Amerikanern beschneiden", schrieb Cruz am Sonntag, als Uvalde trauerte.

Cruz bestätigt die Einschätzungen der meisten Kommentatoren unmittelbar nach dem Massaker: Die Amerikaner sind kollektiv schockiert, verletzt, empört. Die Forderungen nach einem schärferen und wirksameren Waffenrecht werden jeweils laut erhoben - worauf die Republikaner ihre Abwehrmaschinerie in Gang setzen und jegliche Reformen blockieren. Cruz etwa erzählt nun im Brustton der Überzeugung, in Tat und Wahrheit seien Massenschießereien in den USA selten. Er zitiert dabei einen Artikel aus der Zeitschrift Newsweek und verschweigt geflissentlich, dass es sich nicht etwa um einen redaktionellen Beitrag handelt, sondern um ein Meinungsstück eines Republikaners, der ohne jegliche Quellenangaben Behauptungen in die Welt setzt.

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Fingerzeigen auf die Polizisten

Die Quintessenz der Cruz'schen Sicht der Dinge: Es sind nicht Waffen, die töten, sondern Menschen. Die ebenso richtige wie falsche Feststellung führt die große Mehrheit der Republikaner zu der Folgerung, dass das Waffenrecht eben gerade nicht angetastet werden dürfe. Vielmehr müssten Schulen besser gesichert und Einsatzkräfte besser ausgebildet werden. Ganz falsch ist diese Analyse zwar nicht: In Uvalde passierten Fehler. Der Täter gelangte offenbar in das Gebäude durch eine Tür, die gar nicht erst hätte offen stehen sollen. Und Polizisten waren zwar binnen Minuten vor Ort; sie warteten aber eine ganze Stunde lang, bevor sie das Klassenzimmer stürmten, in dem sich der Täter verbarrikadiert hatte und wo er die Mehrheit seiner Opfer erschoss.

Das Waffenrecht dürfe nicht angetastet werden, sagt der republikanische Senator Ted Cruz aus Texas. Hier bei seiner Rede vor der National Rifle Association (NRA), der mächtigen Waffenlobby. (Foto: Michael Wyke/AP)

Doch Uvalde legt auch offen, welche begrenzte Wirkung Schutzmaßnahmen entfalten: Die Robb Elementary School galt als Vorzeigeschule in Sachen Sicherheit, erst vor zwei Jahren hatten die Polizisten die Reaktion auf einen Amoklauf geübt. Nun werfen Republikaner den Schulpolizisten allen Ernstes Feigheit vor.

Ganz so, als ziehe sich kein roter Faden durch all die Schulmassaker, nämlich der, dass Waffen mit großen Magazinen sehr leicht zugänglich sind. Um die Rufe der Demokraten nach einem schärferen Waffenrecht zu bekämpfen, versteifen sich Republikaner wie Cruz oder auch Donald Trump nun auf die Gegenforderung, Schulen dürften nur noch über einen einzigen, mit Metalldetektoren und bewaffneten Polizisten gesicherten Zugang verfügen.

Einzelne Republikaner reden den Parteivertretern zwar ins Gewissen. Der Abgeordnete Adam Kinzinger aus Illinois etwa signalisierte Bereitschaft zu einer Gesetzesverschärfung, wonach vor einem Waffenkauf der Hintergrund des Käufers überprüft werden sollte. Eine solche Reform wollen die Demokraten in den nächsten Tagen zur Abstimmung bringen. Der Schauspieler Jon Voight, ein strammer Trump-Unterstützer, forderte die Republikaner auf Fox News auf, das zu unterstützen.

Doch solche Stimmen bleiben unter den Republikanern einsam. Senator John Cornyn verhandelt mit den Demokraten über einen möglichen Kompromiss und gab sich am Wochenende "vorsichtig optimistisch". Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass zehn Senatoren der Republikaner in einem Zwischenwahljahr eine Waffenrechtsreform annehmen würden.

Das Oberste Gericht könnte das Waffenrecht lockern

Die Zeichen stehen im Gegenteil eher auf Lockerung: In den nächsten Wochen wird das Oberste Gericht ein Gesetz aus New York überprüfen, welches das freie Waffentragen an neuralgischen Punkten einer Bewilligungspflicht unterstellen will. Vieles spricht dafür, dass die konservative Mehrheit der Richter dies als verfassungswidrigen Eingriff taxieren wird.

Das lässt leider befürchten, dass weitere Schießereien folgen werden. Es sind bereits mehr als ein halbes Dutzend Nachahmer-Drohungen publik geworden, einen Zwölfjährigen führte die Polizei in Handschellen ab. Amerika wird wieder seine großzügige Seite zeigen müssen wie in Uvalde, wo die zwei örtlichen Bestattungsunternehmen Gratispizza geliefert erhalten, weil sie von diesem Dienstag an zweieinhalb Wochen lang jeden Tag Kinder begraben werden.

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