USA: Vor dem Machtwechsel:Lahme Ente, letzter Truthahn

Am diesjährigen Thanksgiving Day wird George W. Bush wieder mal Truthähne begnadigen. Wird der scheidende Präsident auch seine Helfer im Kampf gegen den Terror retten - vor der Justiz?

Kathrin Haimerl

Es gibt wenig, was George W. Bush in diesen Tagen noch alleine machen darf. Wie kein anderer Präsident vor ihm ist er in der Zeit der transition, der Machtübergabe an den nächsten Regierungschef, eine lame duck, wie das in den USA heißt - eine lahme Ente also.

USA: Vor dem Machtwechsel: US-Präsident Bush mit dem Truthahn "Marshmallow", den 2005 das Glück einer präsidentiellen Begnadigung ereilte.

US-Präsident Bush mit dem Truthahn "Marshmallow", den 2005 das Glück einer präsidentiellen Begnadigung ereilte.

(Foto: Foto: AP)

Lahme Ente begnadigt Truthahn

Faktisch hat Bush kaum noch Macht. Ihm verbleiben etwas mehr als 50 Tage im Weißen Haus. Der Kongress ist mehrheitlich demokratisch - und Bush-Nachfolger Barack Obama besteht darauf, dass jeder Schritt des Noch-Präsidenten eng mit ihm abgestimmt wird.

Lahme Ente - willkommen auf der Geflügelfarm. Da passt es an diesem Donnerstag besonders schön, dass Thanksgiving ist und damit der große Tag des Truthahns. Auch diesmal wird der US-Präsident - alle Jahre wieder - zwei Truthähne begnadigen, sie also vor dem Schicksal als Festtagsbraten bewahren. Das hat Tradition.

Die Aktion Truthahn erinnert an eine Macht, die der Präsident - auch im Status einer lame duck - bis zum letzten Tag im Weißen Haus hat: das Begnadigungsrecht. Es ist festgeschrieben in Artikel II, Absatz 2 der amerikanischen Verfassung, dem Dokument also, mit dem die Amerikaner ihren Anspruch als älteste moderne Demokratie der Welt begründen.

Kritik an Clintons "Pardongate"

George W. Bush wäre nicht der Erste, der bis zuletzt damit wartet, Milde zu zeigen. Schon sein Vater, George Bush Senior, hatte in seinen letzten Wochen über 40 Begnadigungen gewährt. Übertroffen wurde er darin nur von Bill Clinton: Der begnadigte an seinem letzten Tag im Amt 140 Menschen.

Für beide Präsidenten hagelte es dafür Kritik. Im Fall Clinton sprach die US-Presse sogar von "Pardongate": Unter den Begnadigten war zufällig Clintons Bruder Roger, der eine Haftstrafe wegen Kokainbesitzes abgesessen und in der Whitewater-Affäre um die Clintons die Aussage verweigert hatte. Außerdem gewährte Clinton der als Terroristin verurteilten Patty Hearst Amnestie - ebenso wie dem Steuerflüchtling Marc Rich, der die Clinton-Kampagne mit Geld unterstützt hatte.

Den ganz großen Sündenfall beging Gerald Ford 1974. Er begnadigte ausgerechnet seinen Amtsvorgänger Richard Nixon, der nur einen Monat zuvor im Zuge der Watergate-Affäre zurückgetreten war. Watergate gilt im politischen Amerika als Synonym für die Frage, wie weit ein Präsident in der Ausübung seines Amtes gehen darf.

Jetzt, knapp 35 Jahre später also, ist wieder die Rede von politischen Übergriffen. Und George W. Bush könnte mit seinem Recht auf Begnadigung in seinen letzten Amtstagen Schmutz wegräumen. So wird über eine Amnestie für jene spekuliert, die umstrittene Verhörmethoden in Guantánamo oder in Abu Ghraib angewandt haben.

General-Amnestie für Bush-Regierung

"Legitim und effizient" hat Bush solche rabiaten Methoden genannt - andere sprechen von Folter. Dazu gehört auch die Praxis des Waterboarding.

Die amerikanische Presse spekuliert über eine präventive General-Amnestie für alle Regierungsmitglieder, die im Kampf gegen den Terror an den höchst umstrittenen Praktiken beteiligt waren. Damit würde Bush einer möglichen Verurteilung vorgreifen. Andererseits sagen Experten, wenn Bush dieses Mittel nutze, wäre das eine Art Schuldeingeständnis. Denn um jemand vom Vorwurf der Folter zu entbinden, muss dieser zunächst eingeräumt werden - wenn auch implizit.

Mit kontroversen Begnadigungsakten jedenfalls hat der scheidende Präsident Erfahrung: zum Beispiel 2007 im Fall rund um Lewis "Scooter" Libby. Der frühere Stabschef von US-Vizepräsident Dick Cheney war wegen Meineids und Rechtsbehinderung im Zuge des sogenannten Spygate-Prozesses um die Enttarnung der ehemaligen CIA-Agentin Valerie Plame zu 30 Monaten Haft und 250.000 Dollar Geldstrafe verurteilt worden.

Bush hob mit seiner Entscheidung die Haftstrafe auf, die Verurteilung Libbys blieb aber bestehen. Eine vollständige Begnadigung ließ Bush offen - sie könnte nun in der Schlussetappe erfolgen.

Gnade für Liberty und Freedom

Setzt er auf den letzten Metern außerdem eine General-Amnestie für seine Helfer im Kampf gegen den Terror durch, hätte das auch Folgen für die Obama-Administration. Denn eine solche Präventiv-Begnadigung würde den Betroffenen, juristisch gesehen, Immunität gewähren - und damit jegliche Gerichtsverfahren, die Transparenz in die Machenschaften der Bush-Regierung bringen könnten, von vornherein ausschließen.

Damit käme Obamas Ankündigung, das düstere Kapitel Guantánamo aufarbeiten zu wollen, nur symbolische Bedeutung zu.

Bei seinem ersten Thanksgiving im Jahr 2001 hat George W. Bush übrigens auch zwei Truthähne begnadigt. Der eine hieß Liberty, der andere Freedom. Freedom war bei der Zeremonie nicht mit dabei - er sei "an einem sicheren und geheimen Platz", erzählte Bush.

Den Humor dahinter verstand damals wohl nur er.

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