Süddeutsche Zeitung

USA verfolgen Terroristen mit Drohnen:Töten auf Verdacht

Die Nummer zwei des Terrornetzwerks al-Qaida soll tödlich getroffen worden sein - und die USA haben sich offenbar entschlossen, den Luftkrieg mit unbemannten Flugkörpern auszudehnen. Doch der massive Einsatz von ferngelenkten Drohnen in Pakistan trifft immer auch Zivilisten.

Tobias Matern

Schon einmal galt dieser Mann als tot: Der Libyer Abu Jahja al-Libi sei von einer amerikanischen Drohne in Pakistan ausgeschaltet worden und liege unter dem Schutt begraben, den die unbemannten Killermaschinen verursachen, wenn sie ihre tödliche Ladung erst einmal abgeworfen haben. So lauteten die unbestätigten Meldungen im Dezember des Jahres 2009. Sie erwiesen sich schließlich als falsch.

Doch diesmal haben ihn die Amerikaner offenbar erwischt. Al-Libi, hinter Aiman al-Zawahiri die Nummer zwei des Terrornetzwerks al-Qaida, sei getötet worden, teilte das Weiße Haus am Dienstag mit. Sprecher Jay Carney wollte die Umstände des Todes nicht kommentieren, nach Angaben eines US-Regierungsvertreters kam al-Libi aber bei einem Drohnenangriff in Pakistan ums Leben. Nach unterschiedlichen Meldungen war der Terrorist einer von fünf bis 15 Menschen, die am Montag bei der Attacke im Stammesgebiet Nord-Waziristan starben. In pakistanischen Geheimdienstkreisen hieß es, al-Libi sei schwer verletzt worden und später in einer Privatklinik gestorben. Von pakistanischer Seite gab es keine offizielle Bestätigung.

Im Vergleich zum amtierenden Al-Qaida-Chef al-Zawahiri gilt al-Libi als charismatischer und sprachlich gewandter. Er ist in den vergangenen Jahren mehrmals in Videobotschaften des Terrornetzwerks zu sehen gewesen. Das genaue Alter des Libyers ist unklar, er soll zwischen Mitte und Ende 40 sein. Die amerikanische Regierung hat ein Kopfgeld in Höhe von einer Million Dollar auf ihn ausgesetzt.

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes war al-Libi im Jahr 2002 in Afghanistan verhaftet worden. Er wurde festgehalten in einem Gefängnis auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Bagram. Drei Jahre später gelang ihm eine spektakuläre Flucht, die sein Ansehen unter den Al-Qaida-Kämpfern deutlich gehoben hatte.

Wenn al-Libi tatsächlich dem Angriff zum Opfer gefallen ist, könnte US-Präsident Barack Obama nach der gezielten Tötung Osama bin Ladens vor gut einem Jahr seine Art der Terrorbekämpfung an der Heimatfront erneut als Erfolg darstellen. Al-Qaida neige sich "wie noch nie" dem Ende zu, sagte ein US-Regierungsvertreter am Dienstag. In Pakistan hingegen wird der Tod des Extremisten vermutlich zu weiteren Spannungen im bereits schwer belasteten pakistanisch-amerikanischen Verhältnis führen.

Besonders das vergangene Jahr war für die Beziehungen eine einzige Talfahrt: Erst erschoss ein CIA-Mitarbeiter in der Metropole Lahore zwei Pakistaner auf offener Straße - und durfte auf Washingtons Druck hin trotzdem das Land verlassen. Dann düpierten die USA den Verbündeten mit der nicht abgesprochenen Kommandoaktion gegen Osama bin Laden, schließlich kamen bei einem Nato-Luftangriff im November 2011 insgesamt 24 pakistanische Grenzposten ums Leben. Pakistans Regierung weist dafür den Amerikanern die alleinige Schuld zu, verlangt eine offizielle Entschuldigung und hat bis heute die durch ihr Land verlaufende Nato-Nachschubroute für den Krieg in Afghanistan unterbrochen.

Aber wie kein zweites Thema verursachen die Drohnen in dem muslimischen Land bei der Bevölkerung die heftigsten Reaktionen. Die Pakistaner werten die unbemannten, per Joystick gesteuerten Flugzeuge mehrheitlich als Ausdruck amerikanischer Arroganz, als Souveränitätsverletzung und illegalen Eingriff in ihre inneren Angelegenheiten. Dass die zivile Regierung in Islamabad offiziell mit Washington verbündet ist, macht die Gemengelage noch schwieriger. So dementiert die politische Führung stets lautstark, den amerikanischen Drohnenkrieg zu dulden oder gar zu unterstützen.

Der pakistanische Regierungsbeauftragte für Menschenrechte, Mustafa Nawaz Khokhar, sagte der SZ am Dienstag über den Angriff auf al-Libi: "Wir verurteilen solche Attacken und finden, dass sie kontraproduktiv sind, weil dadurch mehr neue Feinde geschaffen als getötet werden." Washington müsse die Drohnenangriffe sofort beenden, Pakistans Regierung "steht bereit, um gegen al-Qaida aktiv vorzugehen, wenn Geheimdiensterkenntnisse mit uns geteilt werden".

Doch auch pakistanische Beobachter monieren, dass Islamabad solchen Äußerungen keine Taten folgen lässt. Schon vor Monaten hatte Khokhar angekündigt, die USA bei den Vereinten Nationen wegen der aus seiner Sicht illegalen Drohnenangriffe an den Pranger zu stellen. Passiert ist indes nichts. Solche Ankündigungen wie die des Menschenrechtsbeauftragten seien nicht mehr als "ein politischer Bluff" gewesen, sagt ein politischer Experte in Islamabad. So solle vermieden werden, dass der Zorn der Bevölkerung über den Drohnenkrieg der Amerikaner in Pakistan auch gegen die einheimische Regierung gerichtet werde.

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SZ vom 06.06.2012/fran
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