Süddeutsche Zeitung

USA:Zu den Waffen

Vor der Amtseinführung Joe Bidens wird das Kapitol zum Feldlager. Der Staat demonstriert Stärke und will abschrecken - aber nicht wenige befürchten, der Schuss könnte nach hinten losgehen.

Von Stefan Kornelius

Die Statuen-Halle im US-Kapitol hat schon viel gesehen in ihrer relativ kurzen Geschichte. In ihr tagte in seiner Frühzeit das Repräsentantenhaus, Präsidenten wurden eingeschworen, die Briten brannten die Räume ab, und der Abgeordnete und frühere Präsident John Quincy Adams wurde hier von einem Herzinfarkt niedergestreckt. Zuletzt sah man die Richterin Ruth Bader Ginsburg zwischen den Säulen aufgebahrt liegen.

Das neoklassizistische Amphitheater verfügt über eine lausige Akustik und eine Sammlung bedeutender, in Marmor gehauener Männer, die jeder Bundesstaat zur Erinnerung an seinen Beitrag für die Geschichte der USA gestiftet hat. Über den Beitrag der Frauen hat man sich erst in den vergangenen Jahren verstärkt Gedanken gemacht. Nördlich der Statuary Hall schließt sich die Rotunde des Kapitols an, also die Halle direkt unterhalb der Kuppel.

Rotunde und Figurenhalle bilden nun die Kulisse für das zeitgenössische Kostümdrama der Trump-Präsidentschaft: Die Barbaren und der tapfere Soldat. Nachdem vor einer Woche ein Mob das Kapitol überlaufen hat und Bilder von zotteligen, fellbemützten, kappentragenden und fahnenschwenkenden - wieder - Männern das Land und die Welt erschüttert haben, sind im zweiten Akt Soldaten Zierrat jener Kulisse, die eigentlich nur gedämpfte Worte und dunkle Anzüge verträgt.

Da liegen und sitzen sie also, Beine ausgestreckt oder den Körper gewunden, in Menschentrauben ineinandergekuschelt. Sie dösen oder schlafen, schwatzen oder essen Pizza, machen Fotos und schauen auf ihre Gewehre, die geladen bereit liegen. Das Kapitol ist zum Feldlager geworden, Rationen militärischer Fertignahrung werden routiniert angeliefert, ebenso Dosengetränke. Das Militär macht einen erschöpften Eindruck, obwohl der Einsatz noch bevorsteht.

Zur Amtseinführung Joe Bidens besteht die nicht unbegründete Sorge, dass der Mob zurückkehren und seinen Einspruch gegen die Vereidigung kundtun könnte. Die Zeremonie findet wie immer und trotz Corona auf den Stufen des Kapitols statt. Vor einer Woche turnte die Meute auf den bereits errichteten Tribünen herum.

Deswegen hat sich der Staat zu einer Demonstration der Macht entschlossen, die aber, typisch USA, sehr widersprüchlich ausfällt. Das Pentagon hat bis zu 20 000 Soldaten der Nationalgarde mobilisiert, die aus den östlichen Landesteilen herangekarrt werden. Sie beschützen nun mehr oder weniger martialisch das Parlament im Vier-Schicht-Betrieb und ruhen sich in der Zwischenzeit in den heiligen Hallen der Demokratie aus. Wer in den Bildern die Feldbetten vermisst: Ein Sprecher stellte klar, dass die Soldaten in eigens angemieteten Hotels schliefen.

Die Entsendung des Militärs wird die Zahl der Uniformträger zum Vereidigungstag und dem befürchteten Krawallwochenende davor deutlich nach oben treiben, hat allerdings das Sicherheitsgefühl vieler Abgeordneter nicht unbedingt erhöht. Die Nationalgarde ist tatsächlich mit scharfen Waffen ausgerüstet, und nicht wenige befürchten ein Blutbad, sollte ein Gerangel während eines Protests außer Kontrolle geraten. Bisher hat sich das Militär erfolgreich aus den Trump-Wirrnissen herausgehalten.

Diskutiert wird auch die Befehlshierarchie der unterschiedlichen Einheiten, die neben der Polizei des Kapitols die CIA, die Polizei der Stadt Washington, die Parkpolizei, das FBI, einige Spezialeinheiten zur Terrorabwehr und die Gefängnispolizei umfasst.

Die Bewaffnung hat das Misstrauen auch unter den Abgeordneten gesteigert. Republikanische Delegierte beklagten sich über die nun auch von ihnen zu passierenden Metalldetektoren am Gebäudeeingang. Das wiederum schürte den Verdacht, dass waffenverliebte Volksvertreter für ihren eigenen Schutz sorgen könnten, indem sie Handfeuerwaffen in der Aktentasche ins Gebäude brächten.

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