US-Präsident:Ein letztes Farewell

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„Bündnisse sind wichtig“: US-Präsident Joe Biden bekräftigte in seiner Rede in New York die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit. (Foto: Andrew Caballero-Reynolds/AFP)

Präsident Joe Biden hat den USA in der internationalen Diplomatie wieder zu Ansehen verholfen. Das zu bewahren, ist das Anliegen seines Abschiedsbesuchs bei den UN.

Von Christian Zaschke

Als es an US-Präsident Joe Biden war, am Dienstag zur 79. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York zu sprechen, passierte erst einmal: nichts. Traditionsgemäß hatte der Präsident von Brasilien die erste Rede eines Mitgliedslandes gehalten, in diesem Fall also Luiz Inácio Lula da Silva. Ebenso traditionell tritt danach der Präsident der USA auf. Doch das Podium blieb leer. Eine Minute verging. Zwei Minuten. Im eng getakteten Plan einer Vollversammlung sind das Ewigkeiten. Drei Minuten. Geraune im Plenum. Schließlich aber betrat Biden dann doch noch die Bühne, steifen Schrittes und offenbar gut gelaunt.

Zum vierten Mal sprach er als Präsident vor der Versammlung, und, wie er gleich zu Beginn anmerkte, zum letzten Mal. Er erlaubte sich daher einen kurzen Rückblick auf seine Karriere, er erinnerte daran, dass er bereits 1972 Senator wurde. „Ich weiß“, sagte er, „ich sehe aus wie 40.“ Seit Biden weiß, dass die Bürde der Präsidentschaft bald von ihm genommen wird, zeigt er sich bisweilen heiter und macht Witze über sich selbst.

Als Biden Senator wurde, führten die USA Krieg in Vietnam. Heute, sagte er, hätten die beiden Länder exzellente Beziehungen und er wollte das als Zeichen verstanden wissen: „Die Dinge können sich zum Guten wenden“, sagte er. An diesem Mittwoch trifft er den vietnamesischen Präsidenten To Lam in New York.

Der Präsident hat sich volle zwei Tage Zeit für die UN genommen

Das brachte ihn zu einem Krieg der Gegenwart: Ausführlich sprach Biden über Russlands Angriff auf die Ukraine und darüber, dass die Weltgemeinschaft diese Aggression nicht dulden könne. Es sei essenziell, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. An dieser Stelle gab es demonstrativen Beifall. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij verfolgte Bidens Rede im Sitzungssaal. Er ist nach New York gekommen, um für weitere Unterstützung für sein Land zu werben. Am Donnerstag wird er in Washington erwartet.

Biden hatte sich in den vergangenen Jahren darum bemüht, die Beziehungen der USA zu den Vereinten Nationen wieder zu normalisieren. Sein Vorgänger Donald Trump stand der Organisation teils skeptisch, teils feindselig gegenüber. Er war unter anderem der Ansicht, die USA zahlten zu hohe Beiträge. Unvergessen ist sein Auftritt bei der Generalversammlung im Jahr 2018, als er anmerkte, seine Regierung habe in nicht einmal zwei Jahren mehr erreicht als fast jede Regierung in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der Saal reagierte auf diese Behauptung mit Gelächter. Trump war kurz fassungslos, dann ging er über die Szene hinweg. Doch es war geschehen: Der Präsident der USA war vor den Augen der Welt ausgelacht worden.

Mittlerweile arbeiten die USA und die Vereinten Nationen in den meisten Fällen wieder Hand in Hand, was auch daran liegt, dass Joe Biden anders als der Isolationist Trump ein überzeugter Anhänger von internationaler Zusammenarbeit ist. Besonders bestätigt sah er sich in diesem Ansatz, als es den USA Anfang August gelang, mehrere in Russland inhaftierte Gefangene auszutauschen. Das war nur möglich, weil unter anderem Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen und die Türkei geholfen hatten. „Bündnisse sind wichtig“, sagte Biden damals.

Dass er die Vereinten Nationen und die Generalversammlung ernst nimmt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Biden seinen Kalender sowohl am Dienstag als auch am Mittwoch mit Terminen gefüllt hatte. Oft reisen US-Präsidenten zu ihrer Rede an, hängen noch ein, zwei Treffen an und sind zum Lunch wieder im Weißen Haus in Washington. Biden hingegen nimmt an allerlei Diskussionen teil. Dabei geht es um synthetische Drogen ebenso wie um den Klimawandel. Am Mittwoch sollte der Wiederaufbau der Ukraine ein Thema sein. Am Rande der Generalversammlung bestätigte das Weiße Haus außerdem offiziell, dass Biden am 10. Oktober noch einmal nach Deutschland reist.

Eröffnet wurde die Versammlung wie gewohnt vom Generalsekretär. António Guterres schlug diesmal einen für seine Verhältnisse fast optimistischen Ton an. Er hat es sich in den vergangenen Jahren zur Angewohnheit gemacht, die Welt in seinen Eröffnungsreden in den düstersten Farben zu zeichnen. Das tat er auch diesmal wieder, er sprach von einer Welt im Wandel, die sich in einem Wirbelsturm befinde. Auch das Undenkbare sei möglich: ein Atomkrieg, in dem die Menschheit untergehe. Guterres überraschte dann aber mit dem Satz, er halte die Probleme der Welt für lösbar. Dies sei durch internationale Zusammenarbeit zu erreichen, sagte er, genauer: durch institutionelle Zusammenarbeit. Womit er natürlich vor allem sagen wollte, dass die Vereinten Nationen im Gefüge der Welt unentbehrlich sind.

Beinahe routiniert arbeitete Guterres anschließend die Krisen ab. In der Ukraine müsse es dringend einen Waffenstillstand geben, die Zahl der Toten steige und steige. Sudan, Haiti, Myanmar, wohin man auch blicke, sehe man Krisen. Ausführlicher widmete sich Guterres der Situation im Nahen Osten. Die Lage in Gaza könne dazu führen, dass die ganze Region bald in Flammen stehe.

Wohl weil er in der Angelegenheit in der Vergangenheit wegen vermeintlicher Parteilichkeit kritisiert worden ist, sagte Guterres ausdrücklich, dass er die Terroranschläge der Hamas vom 7. Oktober des vergangenen Jahres entschieden verurteile. Diese seien durch nichts zu rechtfertigen. Dieser Satz ist insofern bedeutsam, als Guterres vor einem Jahr gesagt hatte, die Attacke der Hamas sei nicht in einem luftleeren Raum entstanden. Das wurde von manchen Parteien so gelesen, dass er gemeint habe, die Israelis seien letztlich selbst schuld.

Nachdem er also die Anschläge verurteilt hatte, sagte er: „Aber auch die kollektive Bestrafung der Palästinenser ist durch nichts zu rechtfertigen.“ An dieser Stelle brandete erstmals Applaus im Saal auf. Guterres forderte, dass die Hamas die Geiseln umgehend ohne Bedingungen freigebe und Israel die Waffen ruhen lasse. Anschließend müsse ein unumkehrbarer Prozess beginnen, der in eine Zwei-Staaten-Lösung münde. Etwas anderes kann er kaum sagen, doch in Anbetracht der aktuellen Lage in der Region klang das nach einer Form von Wunschdenken, die niemals Realität wird.

„Es gibt Wichtigeres, als an der Macht zu bleiben“, sagte Biden

Auch Biden ging auf die Situation im Nahen Osten ein. Er sprach besonders über die Geiseln, die die Hamas noch immer gefangen hält. Deren Familien gingen durch die Hölle, sagte er, und Biden ist ein Politiker, der solche Sätze so sagt, dass sie nicht nach Phrasen klingen, sondern nach tief empfundenem Mitgefühl. Ebenso erwähnte er die Lage der palästinensischen Familien, die in Gaza großes Leid erlebten.

Abschließend ging Biden auf seine Entscheidung ein, sich nicht noch einmal zur Wahl zu stellen. Diese sei ihm unendlich schwergefallen, denn Präsident der USA zu sein, sei die größte Ehre seines Lebens. Doch nach 50 Jahren des Dienstes am Land habe er sich dazu entschlossen, den Weg für die nächste Generation freizumachen. „Es gibt Wichtigeres, als an der Macht zu bleiben“, sagte Biden, „und das ist das Volk. Wir sind hier, um den Menschen zu dienen.“ Diese Worte am Ende seines letzten Auftrittes vor den Vereinten Nationen können als eine Art Vermächtnis verstanden werden.

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