USA:Unfähig und unwillig

Der Politik­wissenschaft­ler Stephan Bierling beschreibt Donald Trump und seine Art des Regierens - kühl und doch fasziniert.

Von Cord Aschenbrenner

Möchte man wirklich noch mehr über Donald Trump lesen? Man hat den fünfundvierzigsten US-Präsidenten, seine erratische Politik - wenn man sein irrlichterndes Handeln überhaupt so nennen will - und sein menschenverachtendes, in fast jeder Situation peinliches Verhalten ja längst satt. Andererseits hat der Regensburger Politologieprofessor Stephan Bierling wohl recht, wenn er in seinem Buch über Trumps bisherige Amtszeit schreibt, der US-Präsident übe eine "morbide Faszination" auf die Europäer aus, auch weil Trump ähnelnde Gestalten wie Matteo Salvini, Viktor Orbán und Marine Le Pen in Europa ihr Unwesen treiben. Doch auch ohne den Vergleich mit hiesigen Populisten sind Trumps Art und Verhalten geeignet, europäische Betrachter gleichzeitig abzustoßen und zu faszinieren.

Bierling, dessen Buch gut zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen in den USA erscheint, kann sich der Faszination des "Brandstifters und Polarisierers" Trump selbst nicht ganz entziehen, so scheint es. Aber auch Wissenschaftler sind Menschen, und jemanden wie Trump, der den "Regelverstoß zu seinem Markenzeichen gemacht" hat, gab es eben noch nicht an der Spitze eines demokratischen Staates. Bierling begegnet dem mindestens zwei Welten entstammenden Phänomen Trump - nämlich der New Yorker Immobilienwirtschaft und dem amerikanischen TV-Kosmos - dennoch mit wissenschaftlicher Kühle und einem umfangreichen Anmerkungsapparat.

USA: Spalter der Nation: Donald Trump bei einer Diskussionsveranstaltung in der Mary D. Bradford High School in Kenosha/Wisconsin.

Spalter der Nation: Donald Trump bei einer Diskussionsveranstaltung in der Mary D. Bradford High School in Kenosha/Wisconsin.

(Foto: Mandel Ngan/AFP)

In der Vielzahl der Bücher über den US-Präsidenten nimmt Bierlings Werk eine gewisse Sonderstellung ein: Es ist kein Enthüllungsbuch, keine Abrechnung, kein Psychogramm, verfasst aus nächster Nähe und persönlicher Bekanntschaft etwa von einem Journalisten, einem gefeuerten Berater oder einer so entsetzten wie besorgten Angehörigen (wie zuletzt Trumps Nichte Mary, einer Psychologin). Sondern eine klarsichtige Darstellung, gut geschrieben und fair (dass wenig Gutes über Trump darin steht, liegt an dessen Wesen), die auf öffentlich zugänglichen Quellen wie Zeitungsartikeln und einigen der oben erwähnten Werken über den Mann aus dem New Yorker Stadtteil Queens basiert, der selbst nicht damit gerechnet hatte, in das höchste Staatsamt zu gelangen.

Vorbereitung auf das Amt interessierte den Milliardär nicht

Der Wahlsieg habe Trump "völlig unvorbereitet" getroffen, schreibt Bierling, eine - in den USA gesetzlich vorgeschriebene - Vorbereitung auf den Übergang nach einem möglichen Sieg mit Namen für die 500 wichtigsten Regierungsposten interessierte den Kandidaten nicht und hatte es mithin bei Trumps Amtsantritt am 20. Januar 2017 so gut wie nicht gegeben. Was mancher Anhänger des neuen Mannes vielleicht noch als starkes Zeichen für einen Bruch mit dem verhassten Establishment preisen konnte, erwies sich rasch als das, was es war: Trumps von Beginn an sichtbare Unfähigkeit und sein Unwille, sich auf die komplexe, anspruchs- und verantwortungsvolle Regierungsarbeit an der Spitze der Weltmacht USA einzulassen.

Bierling erfasst Trumps persönliches, institutionelles und konstitutionelles Versagen systematisch. Vielleicht hat der Amerika-Spezialist Bierling schon vor der Amtseinführung des ja schon damals als mindestens zwielichtig geltenden Immobilienmoguls, Milliardärs und Politneulings Trump beschlossen, dessen Jahre im Weißen Haus zu beobachten und dies irgendwann in Buchform zu gießen. Jedenfalls lässt der Verfasser, so weit man sieht, nichts aus bei der Schilderung des geradezu ausschweifenden Scheiterns dieses Mannes, der vorher, anders als alle seine Vorgänger, weder Politiker noch Militärexperte gewesen war.

USA: Stephan Bierling: America First. Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz. Verlag C.H. Beck, München 2020. 271 Seiten, 16,95 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

Stephan Bierling: America First. Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz. Verlag C.H. Beck, München 2020. 271 Seiten, 16,95 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

Bierling beschreibt Trumps Führungsstil, dem jeder mit einer eigenen Meinung zum Opfer fällt; er schildert die Unfähigkeit des Präsidenten, strukturell zu denken und zu handeln, überhaupt angemessene, auf ihn zugeschnittene Entscheidungsstrukturen im Weißen Haus zu schaffen so wie es seine Vorgänger auf die eine oder andere Art alle getan hatten. Erwies sich schon dies als "ungeeignet für ein effektives Regieren", trugen Trumps eklatante Wissenslücken auf nahezu jedem Gebiet nicht dazu bei, irgendetwas besser zu machen.

Im Verein mit Trumps autoritärer, sprunghafter Persönlichkeit, seiner Ignoranz und Maßlosigkeit entstand so das Bild einer durch und durch affektgetriebenen chaotischen Politik und ihrer Folgen, das sich von 2017 bis heute nicht geändert hat. Erinnert sei nur an Trumps Obsession eines Mauerbaus gegen unerwünschte Einwanderer, sein Flirt mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un, seine unterwürfige Bewunderung für Putin, die Attacken gegen die Europäische Union und den Nato-Partner Deutschland, den angekündigten Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und das ausufernde Versagen des US-Präsidenten während der Corona-Pandemie.

Bierling verschweigt nicht, dass der Mann im Weißen Haus auch Fähigkeiten hat, sonst wäre er nicht dort, wo er ist: als Wahlkämpfer, als Reality-TV-Star, als Außenseiter, der sich die traditionsreiche Republikanische Partei gefügig gemacht hat, als unübertroffener Agendasetter per Twitter. Stärker als all dies sind jedoch Trumps Narzissmus und seine charakterlichen Mängel, die Bierling unnachsichtig hervorhebt. Er verbirgt nicht, dass er auf die Wahl am 3. November hofft - anders kann es nach der Arbeit an diesem Buch auch kaum sein.

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