USA und Iran: Atomwaffen:Nachdenken über das Undenkbare

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Die "militärische Option" ist offenbar "wieder auf dem Tisch: In der US-Regierung wird wieder ernsthaft ein Militärschlag gegen Irans Atomanlagen erwogen. Dabei wurde diese Möglichkeit schon von der Bush-Regierung als nicht praktikabel verworfen.

Reymer Klüver

Fast könnte man auf den Gedanken verfallen, der frühere Vizepräsident Dick Cheney säße in Washington wieder an den Hebeln der Macht. In der US-Regierung, so berichtet der angesehene Time-Kolumnist Joe Klein, sei die so genannte "militärische Option" gegen Iran "wieder auf dem Tisch". In Washingtons Machtzirkeln werde erneut allen Ernstes ein militärischer Schlag gegen das Nuklearprogramm des Regimes in Teheran erwogen.

Das Satellitenbild zeigt ein Gelände nahe Qom in Iran, auf dem eine Atomanlage vermutet wird.  (Foto: ag.dpa)

Das war das letzte Mal der Fall, als George W. Bush noch Präsident und Cheney sein Vize war. Doch selbst damals schon war die militärische Option als töricht und nicht praktikabel verworfen worden. Zwar hat das offiziell nie jemand so formuliert: Es war aber klar, dass selbst bei einem noch so ausgefeilten Angriffsplan nie alle Atomanlagen Irans ausgeschaltet werden könnten. Der Bau einer iranischen Bombe würde allenfalls verzögert, nicht verhindert. Und die Folgen der Attacke wären unwägbar. Die Bevölkerung würde gegen den Westen aufgebracht. Terror und Unruhe in der gesamten Region wären unausweichlich. Und das soll jetzt auf einmal nicht mehr gelten?

Tatsächlich gibt es, wenn man genau hinsieht, Zeichen für eine Verhärtung der Positionen innerhalb der US-Regierung. Schon im März sagte Außenministerin Hillary Clinton, dass die Vereinigten Staaten "entschlossen" seien, Teheran vom Erwerb der Bombe abzuhalten. Das mochte man noch als die übliche harte Rhetorik verbuchen. Doch aufgemerkt hat man in Washington, als auch Verteidigungsminister Robert Gates vor ein paar Wochen den Ton verschärfte. "Ich glaube nicht, dass wir überhaupt bereit sind, von der Eindämmung einer Nuklearmacht Iran zu sprechen", sagte er in einem Fernsehinterview, "wir akzeptieren nicht einmal die Vorstellung, dass Iran Atomwaffen haben könnte".

Und nur ein paar Tage später brachte CIA-Chef Leon Panetta die militärische Option wieder ins Gespräch, ohne sie direkt beim Namen zu nennen. Ob die neuen Sanktionen Iran von den Nuklearplänen abbringen würden, wurde er in einem Interview gefragt. "Wahrscheinlich nicht", antwortete Panetta ausweichend. Was unausgesprochen bedeutet, dass Washington nun auch wieder einen Angriff auf Iran erwägt.

Zufällig oder nicht, richtig oder gezielt gestreute Desinformation - jedenfalls kursieren zeitgleich Gerüchte in Washingtoner Sicherheitskreisen, wonach israelische Militärhubschrauber Ausrüstung auf die Luftwaffenbasis Tubrus in der saudischen Wüste schafften und die USA ihre Stützpunkte in Zentralasien für einen Angriff vorbereiteten. Und Kolumnist Klein, der im Pentagon ausgezeichnet vernetzt ist, führt an, dass die Amerikaner inzwischen sehr viel besser wüssten als noch vor zwei, drei Jahren, welche der vielen Atomanlagen in Iran sie ausschalten müssten, um das Nuklearprogramm empfindlich zu treffen. Dazu hätten bessere Geheimdiensterkenntnisse aus der Region beigetragen. Will sagen: Die Spionage klappt besser.

Und dann gebe es auch noch die politische Dimension in der Region, so Klein. Die arabischen Nachbarn Irans drängten die USA zum Handeln. Der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in Washington, Yousef al-Otaiba, werbe offen für einen Militärschlag. Die Türkei, Ägypten, Saudi-Arabien, sogar Jordanien würden mit eigenen Nuklear-Rüstungsprogrammen drohen, sollten die Amerikaner die iranische Bombe zulassen. Selbst das Horrorszenario wird bereits entworfen, dass irgendwann Islamisten das Regime in Riad stürzen könnten und dann auf diese Weise in den Besitz einer Atomwaffe kommen könnten.

Michael Adler, ein Experte für das iranische Rüstungsprogramm beim Woodrow Wilson Institute in Washington, beruhigt jedoch: "Ein Militärschlag steht nicht unmittelbar bevor. Trotz aller Untergangsszenarien hat die Diplomatie noch immer eine Chance." Allerdings räumt auch Adler ein, dass die Washingtoner Regierung die Geduld verliert. "Das Spiel ist in der Schlussrunde", konstatiert Adler. Offenkundig habe die Obama-Regierung tatsächlich alle Gedankenspiele verworfen, sich mit einer Atommacht Iran zu arrangieren: "Eine Eindämmungspolitik wird nicht erwogen."

Trotz des Säbelrasselns seien aber "vielleicht überraschenderweise" die Chancen auf eine Einigung mit Teheran gestiegen. Iran habe unerwartet Schwierigkeiten mit seinem Urananreicherungs-Programm. Es würde noch zwischen anderthalb und zwei Jahren dauern, ehe das Regime genug bombenfähiges Material zusammen habe. "Jetzt ist die Zeit für Diplomatie", konstatiert Adler.

Der Abrüstungsexperte der liberalen Denkfabrik New America Foundation, William Hartung, weist auf eine Studie der britischen Oxford Research Group hin, nach der ein amerikanischer Angriff auf Iran katastrophale Folgen für die Region hätte und die iranischen Nuklearambitionen nur noch verstärken würde. "Es ist entscheidend", sagt Hartung, "dass die militärische Option wieder vom Tisch kommt".

Entschieden ist ohnehin nichts. Trotz der schärferen Töne von Verteidigungsminister Robert Gates und der besseren Geheimdiensterkenntnisse schätzen seine Generäle in der Mehrzahl offenbar die Risiken eines Angriffs auf Iran als unkalkulierbar hoch ein. Und auch der Präsident selbst, so räumt Time-Kolumnist Klein ein, bleibe gegenüber einem Militärschlag "skeptisch eingestellt wie eh und je".

© SZ vom 22.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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