USA und Guantanamo:Zur falschen Zeit am falschen Ort

Ein Beispiel für viele: Warum ein längst freigesprochener Uigure noch immer in dem Gefangenenlager Guantanamo einsitzt.

Henrik Bork

Huzaifu Parhat sitzt in Guantanamo, was nicht sehr sinnvoll ist, aber vielen Menschen genützt hat. So lässt sich seine Geschichte zusammenfassen, und wenn das paradox klingt, dann sollte man dafür nicht Parhat selbst verantwortlich machen.

USA und Guantanamo: Symbol einer menschenverachtenden Politik: Blick in das US-Gefangenenlager Guantanamo.

Symbol einer menschenverachtenden Politik: Blick in das US-Gefangenenlager Guantanamo.

(Foto: Foto: dpa)

Der 36-jährige Obsthändler aus China, der als Kind von einem Leben in den USA geträumt hatte, ist schließlich gegen seinen Willen, an Händen und Füßen gefesselt, in das Militärgefängnis auf Kuba verschleppt worden. Es ist ein abenteuerliches Kapitel der gerade beendeten Ära Bush, wie dieser Mann, der bis zu seiner Fesselung und Knebelung den Namen "Osama bin Laden" noch nie gehört hatte, als gefährlicher Terrorist verdächtigt werden konnte.

Der Erste, dem Parhats Festnahme genützt hatte, war ein namentlich nicht bekannter Pakistani. Er hatte Parhat und 17 weitere Uiguren im Winter 2001 in sein Haus nahe der afghanischen Grenze gelockt und ein Lamm für sie geschlachtet. Dann hatte er sie gegen Kopfgeld an das US-Militär verkauft. Wieviel der Pakistani damit verdient hat, weiß Parhat nicht genau, es sollen etwa 5000 Dollar gewesen sein. "Diese Summe haben sie in Pakistan im Gefängnis gehört", sagt Sabin Willett, sein Anwalt in Boston.

Am 11. September jenes Jahres hatten die Terroristen der al-Qaida Flugzeuge in das World Trade Center gesteuert. Amerika antwortete mit seinem "Krieg gegen den Terror". Parhat war schon da, zur falschen Zeit am falschen Ort. Er hielt sich Mitte Oktober in Afghanistan auf, in einem Dorf in der Nähe von Dschalalabad, dessen Bewohner von den Amerikanern allesamt als Terroristen verdächtigt wurden. Später wurde es zerbombt.

Huzaifu Parhat ist Uigure. Er ist in Gulja geboren, also in der chinesischen Nordwestprovinz Xinjiang. Die Uiguren sind eine moslemische Minderheit, die von den Chinesen seit der militärischen Besatzung Xinjiangs unterdrückt werden. Fanatische Muslime oder gefährliche Terroristen vom Kaliber der al-Qaida gibt es in Xinjiang nicht, auch wenn die chinesische Regierung das in ihrer Propaganda behauptet.

Doch es gibt viele Uiguren, die sich die Unabhängigkeit von Peking wünschen. Hin und wieder verüben sie Gewalttaten, so etwa im letzten Jahr kurz vor den Olympischen Spielen bei einem Angriff auf joggende Grenzsoldaten. Parhat soll in Guantanamo zugegeben haben, dass er in Afghanistan den Widerstand gegen China trainieren wollte, auch wenn sein Anwalt von dem Geständnis nicht überzeugt ist.

Sicher ist, dass sich Parhat als Opfer der chinesischen Repression in Xinjiang fühlt. Er flüchtete im Frühjahr 2001 aus China. Er habe "ernsthaft den Koran studieren wollen, was in China nicht möglich war", gab er an. Die Amerikaner hingegen bezichtigten ihn des "Waffentrainings in einem Lager der Islamischen Bewegung Ost-Turkestan" (East Turkestan Islamic Movement oder Etim). Die Etim habe Kontakte zu al-Qaida, behaupteten sie dann noch, haben aber öffentlich nie Beweise dafür vorgelegt. Die meisten internationalen Experten bezweifeln diese Verbindung.

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Zur falschen Zeit am falschen Ort

"Die Sache mit dem angeblichen Waffentraining ist restlos übertrieben", sagt Anwalt Willett. "Dieses Dorf in Afghanistan war ein Ort für uigurische Flüchtlinge, die nicht wussten, wo sie sonst hinsollen." Das Dorf in den Weißen Bergen Afghanistans war nicht mehr als "eine Handvoll heruntergekommener Hütten, die von Lehmpfaden durchkreuzt wurden", heißt es in US-Gerichtsakten.

Im Dorf gab es nur ein einziges AK-47 Sturmgewehr und eine Pistole. Auch Parhat durfte damit ein paar Mal schießen. "Das war zu einer Zeit, wo in jedem Restaurant in Afghanistan eine Kalaschnikow am Hutständer hing. Daraus hat die US-Regierung dann das 'Waffentraining' konstruiert", sagt der Anwalt.

Dass die Terrorvorwürfe gegen die Uiguren unhaltbar sind, hat inzwischen selbst die amerikanische Regierung eingesehen. Am 20. Juni 2008 entschied das Bezirksgericht von Columbia, die US-Regierung müsse Parhat "freilassen oder transferieren" - oder unverzüglich ein neues Militärtribunal abhalten.

"Festnahme war ein Fehler"

Selbst Republikaner haben öffentlich erklärt, dass die Festnahme der Uiguren ein Fehler war. Washington hat seitdem deren Haftbedingungen erleichtert. Sie haben jetzt einen Fernseher und ein paar Filme auf DVD, allerdings nur wenige in uigurischer Sprache. Washington kann die Uiguren nicht nach China abschieben, weil sie dort gefährdet sind. Ein Drittland, das sie aufnehmen will, hat sich bislang noch nicht gefunden.

Seit sieben Jahren sitzt Parhat nun schon in Guantanamo. Einige seiner Zellengenossen sind verrückt geworden. Ihre Schreie gellen nachts durch die Flure, heißt es in Berichten der US-Anwälte. Parhat, der Vater eines zehnjährigen Sohnes, litt besonders im Herbst 2007 unter Depressionen. "Als ich ihn damals besuchte, war er sehr niedergeschlagen. Er bat mich, seiner Frau auszurichten, dass sie sich von ihm scheiden lassen und neu verheiraten solle. Er wollte nicht, dass sie weiter auf ihn wartet", sagt Willett.

Dass das alles solange dauert, dass selbst vom Terrorvorwurf freigesprochene Insassen wie die Uiguren den Gulag auf Guantanamo noch immer nicht verlassen können, das hat wieder mit jenen Gruppen zu tun, denen ihre Inhaftierung nutzt. Dazu zählt die chinesische Regierung. Sie hatte aufmüpfige Uiguren früher stets als "Separatisten" bezeichnet. So war es zum Beispiel noch beim Aufstand von Gulja im Februar 1997, also in Parhats Heimatstadt in Xinjiang.

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Zur falschen Zeit am falschen Ort

Junge, religiöse Uiguren hatten damals wütend gegen die Repressionen der Chinesen demonstriert. Unter anderem war ihnen die Organisation eines Fußballturniers verboten worden. Hunderte von Menschen starben, als die Sicherheitskräfte brutal einschritten. Tausende wurden später festgenommen und "schichtweise übereinander gestapelt" in Lastwagen abtransportiert.

"Als die LKWs ankamen, warf die Polizei die Menschen einfach heraus. Dabei gab es gebrochene Beine und Hände. Ich sah eine Frau, der ein Ohr lose am Kopf hing", berichtete eine Augenzeugin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. "Mehrere meiner Mandanten sind nach dem Aufstand von Gulja aus China geflohen", sagt Sabin Willett über die Uiguren in Guantanamo.

Drohungen aus China

Kurz nach dem 11. September 2001 vollzog Peking in seiner Terminologie eine "Kehrtwende um 180 Grad", wie es ein amerikanischer Historiker und Uiguren-Experte in einer Studie beschrieben hat. Aus uigurischen "Separatisten" wurden über Nacht "Terroristen". Peking machte Druck auf Washington, die obskure Etim, die sich nie klar zu Terrorakten bekannt hat, mit auf ihre Liste terroristischer Organisationen zu setzen.

Im August 2002 gab Vize-Außenminister Richard Armitage bei einer Konferenz in Peking dieser Forderung nach. Die USA wollte die wichtige Regionalmacht China als Verbündeten in ihrem "Krieg gegen den Terror" gewinnen. Aus Chinas Repression der Muslime in Xinjiang wurde Chinas Mär vom eigenen "Kampf gegen den Terror".

In diesen Tagen drohen nun Pekings Diplomaten in Berlin deutschen Politikern und Journalisten, die sich für die Uiguren einsetzen wollen. Für alle Strategen, die sich bei den Chinesen einschmeicheln wollen, ist humanitäre Hilfe für die Uiguren derzeit immer noch das Gegenteil von nützlich.

Nicht bekannt ist, ob der Obsthändler Huzaifu Parhat in seiner Zelle in Guantanamo schon gehört hat, dass Barack Obama das Lager Guantanamo nun innerhalb eines Jahres schließen will. "Die Häftlinge dürfen keine Nachrichten sehen", sagt sein Anwalt.

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