USA und der Umbruch in Ägypten:Tiefschlaf der Ahnungslosen

In Ägypten wird Geschichte geschrieben - und die USA schauten hilflos zu. Obwohl das Land jährlich 80 Milliarden Dollar für seine Geheimdienste ausgibt, haben diese das Weiße Haus nicht vor den drohenden Umstürzen gewarnt.

Christian Wernicke, Washington

Washington war nur Zuschauer, so wie alle Welt. Barack Obama, der vermeintlich mächtigste Mann auf Erden, verfolgte die Nicht-Rücktrittsrede des Hosni Mubarak am Donnerstag an Bord von Air Force One, dem Präsidenten-Jet. Und Hillary Clinton, Amerikas Außenministerin, soll in ihrem Ministerbüro wie versteinert vor dem Fernseher gesessen sein. "Wir hatten etwas völlig anderes erwartet", räumte anonym ein enger Mitarbeiter Clintons ein, "wir wollten mehr - weil Ägypten mehr braucht."

Ungenügend. So lautete auch die Note, die Präsident Obama Stunden später seinem ägyptischen Amtskollegen für dessen störrischen, bisweilen unverständlichen Vortrag erteilte. "Zu viele Ägypter sind nach wie vor nicht überzeugt, dass ihre Regierung es ernst meint mit einem aufrichtigen Übergang zu Demokratie", hieß es in einer Erklärung, die das Weiße Haus in der Nacht zum Freitag verbreitete. Kairos Regierung solle "einen glaubwürdigen, konkreten und eindeutigen Weg zu wirklicher Demokratie vorlegen", forderte Obama, "diese Gelegenheit hat sie bisher nicht genutzt."

Am Freitag erklärte Mubarak seinen Rücktritt, trotzdem haben die USA immer weniger Einfluss in dem strategisch so wichtigen Land. Mubaraks wütender Schwur, er werde "keine fremde Einmischung oder Diktate akzeptieren oder anhören", zielte auf den bisherigen Verbündeten in Washington. Zudem schwinden Amerikas Optionen: Vizepräsident Omar Suleiman hat sich nun so eindeutig hinter Mubarak gestellt, dass er nicht mehr Makler des von Washington geforderten "geordneten Übergangs" sein kann.

Hoffen auf die Armee

Mehr denn je müssen die USA hoffen, dass Ägyptens Armee die Stabilität im Land wahrt. Und nicht schießt. Nur, das Pentagon hat offenbar seit fünf Tagen seinen Draht zu Kairos Verteidigungsministerium und zum Offizierskorps verloren; Minister Bob Gates und Generalstabschef Michael Mullen erreichen ihre Kollegen in Kairo nicht mehr. Stattdessen müht sich das Außenministerium, seine Kontakte zur Opposition zu verbessern: Ein neues Hilfspaket soll Ägyptens Zivilgesellschaft mit etlichen Millionen Dollar stärken. Damit korrigiert sich die Obama-Regierung selbst: Nach dem Machtwechsel 2009 war die Demokratie-Hilfe für Ägypten von 45 Millionen jährlich unter George W. Bush auf nur noch 25 Millionen im Jahr 2011 gekürzt worden.

Öffentlicher Irrtum

Düpiert stehen auch Amerikas Geheimdienste da. 80 Milliarden Dollar geben die Vereinigten Staaten jedes Jahr dafür aus, dass ihre sogenannte Intelligence Community - also die CIA sowie 15 weitere Spezial-Agenturen - die US-Regierung rechtzeitig warnen möge über Trends und Gefahren in aller Welt. Die dramatischen Umwälzungen in Tunesien und Ägypten jedoch haben die US-Dienste zunächst nicht erahnt, dann sträflich unterschätzt - und offenbar bis heute kaum besser analysiert als CNN oder al-Dschasira.

USA und der Umbruch in Ägypten: Ägyptens zurückgetretener Staatschef Mubarak bei einem Treffen mit Barack Obama: Auch Washington war nur Zuschauer, als in Ägypten Geschichte geschrieben wurde.

Ägyptens zurückgetretener Staatschef Mubarak bei einem Treffen mit Barack Obama: Auch Washington war nur Zuschauer, als in Ägypten Geschichte geschrieben wurde.

(Foto: AFP)

Sie irrten sogar öffentlich. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit" werde Hosni Mubarak sein Präsidentenamt räumen, hatte CIA-Chef Leon Panetta am Donnerstag orakelt. Stunden später musste er im Fernsehen sehen, wie Kairos Diktator den Rücktritt zunächst verweigerte. Zur Schadensbegrenzung verbreiteten Panettas Mitarbeiter, ihr Chef habe gemäß aktueller Medienberichte, "nicht auf der Basis von Geheimdienst-Berichten" geurteilt. Es sei, so beteuerte ein hochrangiger CIA-Mitarbeiter, "völlig falsch anzunehmen, die CIA hätte die Dinge in Ägypten nicht richtig eingeschätzt".

Panettas Lapsus schürt im Kongress die ohnehin gärende Kritik an den Geheimdiensten. Die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, Dianne Feinstein, hatte der CIA schon vorige Woche "Pflichtverletzung" vorgeworfen. Bei der Anhörung im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses wies der CIA-Boss solche Vorwürfe zurück: In mehr als 400 Berichten habe sein Haus allein 2010 über "schwelende Spannungen" und "die Möglichkeit von Brüchen" im Mittleren Osten gewarnt. Panetta verglich seine Arbeit mit der Prognose von Erdbeben: Man wisse, wo die tektonischen Bruchlinien lägen, aber niemand ahne, wann es wirklich bebt.

Auch James Clapper, als nationaler Geheimdienst-Direktor der oberste Koordinator aller 16 Dienste, wollte von einem Versagen nichts hören. Gefragt, wie er die jüngsten Leistungen seiner "Intelligence Community" benoten würde, erwiderte Clapper: "Mit 2plus, wenn nicht 1minus." Selbst Tunesiens Diktator Ben Ali habe am Morgen seines letzten Tages im Präsidentenamt doch nicht gewusst, "dass er am Abend da rausfliegen würde". Seine Dienste, so brummte Clapper im Kongress, hätten viel gewusst, "aber wir sind keine Hellseher!"

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