Eben hat Barack Obama von einem Land erzählt, das dringend Hilfe braucht. Es werden dort zu viele Menschen erschossen, Brücken fallen auseinander, und der Staat ist über die Maßen verschuldet. Es klingt wie Afghanistan, aber der amerikanische Präsident meinte die USA. Nach einem Jahrzehnt des Krieges, sagte Obama, "ist die Nation, die wir wieder aufbauen müssen, unsere eigene".
Ähnliches hat sein afghanischer Kollege Hamid Karsai gehört, als er Obama jetzt in Washington besuchte: Die Amerikaner können und wollen nicht mehr kämpfen. Obama hat seinem Volk versprochen, auch diesen Krieg zu beenden, und nun richtet er seinen - berüchtigten - sportlichen Ehrgeiz darauf, so viele seiner Soldaten so schnell wie möglich abzuziehen. Im nächsten Jahr soll der Krieg vorbei sein, und wenn stimmt, was das Weiße Haus andeutet, werden noch weniger US-Soldaten bleiben als vermutet: Nur noch wenige tausend sollen das afghanische Militär schulen und Aufständische bekämpfen. Obama nennt es eine "sehr beschränkte Mission".
"Unfinished business"
Was die USA also hinterlassen, ist "unfinished business", denn es sieht nicht wirklich so aus, als könne Afghanistans Armee ihr Volk und ihre Regierung auf Dauer und ohne ausländische Hilfe vor Radikalen schützen. Über einen Frieden mit den Taliban wird zwar viel geredet, allerdings nicht mit den Taliban. Und Karsais Führungsclique gilt im Westen als unzuverlässig bis korrupt. Welche Zukunft die Afghanen, und insbesondere die Afghaninnen, erwartet, ist unklar. Obama findet, dass dies möglichst schnell eine Zukunft mit möglichst wenigen Amerikanern sein soll.
Zehnjährige Kriege haben es an sich, dass man manchmal nicht mehr genau weiß, warum sie stattfinden. Obama hat jetzt daran erinnert: Die Amerikaner wollten nach dem 11. September verhindern, dass al-Qaida sie je wieder angreife. Sie haben ihre Soldaten nicht geschickt, weil sie Mitleid hatten mit Frauen, die unter Burkas gezwungen wurden oder weil die radikalreligiösen Taliban die Buddhas von Bamian gesprengt hatten. Wenn der Auftrag also al-Qaida galt, ist er erfüllt. Wenn sich überhaupt noch ein Terrorist ins afghanische Gebirge verirrt, schicken die USA Drohnen. Aus ihrer Sicht ist es also konsequent, sich zu verabschieden.
In diesem Denken aber liegt jener Zynismus, den alle Welt den US-Interventionen immer unterstellt: Fallen die Interessen und das Interesse der USA einmal weg, scheren sich die Amerikaner nicht mehr um das, was weit jenseits ihrer Grenzen geschieht. Obama mag seine Gründe haben: Sein Land ist erschöpft, er muss sparen, schon im Februar droht ihm - schon wieder - ein epischer Haushaltsstreit mit dem Parlament. Der Politiker Obama wie auch der Oberbefehlshaber Obama denken, dass es in Afghanistan nur noch etwas zu gewinnen gibt, wenn man es verlässt.
All dies aber entbindet die USA nicht ihrer Verantwortung für ein Land, in das sie im Namen ihrer eigenen Sicherheit eingedrungen sind und dessen Schicksal sie massiv beeinflusst haben. Statt nur über schnellen Abschied zu reden, sollte sich die US-Regierung auch sehr ernsthaft damit beschäftigen, welche Hilfe sie der Regierung in Kabul auch künftig gewähren kann - zivil, aber auch militärisch, mit genügend US-Soldaten, die ausrüsten, beraten und im Notfall auch mitkämpfen. Trotz aller Fehler und Exzesse der US-Armee bleibt doch bei vielen in Kabul das Gefühl, dass man sie noch sehr brauchen könnte.
Obamas jüngste Begründungen für den Rückzug klingen da zu egoistisch. Wenn Afghanistan eine Lehre bereithält für Großmächte, dann die, dass es dort so etwas wie "finished business" nicht gibt. Ob es den Afghanen heute besser geht als vor zehn Jahren, hängt auch davon ab, was sie im nächsten Jahrzehnt erwartet.