Die Weigerung von US-Präsident Donald Trump, die gewaltsamen Proteste von Neonazis und anderen rassistischen Gruppen in Charlottesville klar zu verurteilen, hat in seinem Kabinett offenbar mehr Empörung ausgelöst als bisher bekannt. Nachdem sich vor einigen Tagen bereits Wirtschaftsberater Gary Cohen in einem Interview ungewöhnlich offen beschwert und den Präsidenten gerügt hatte, distanzierte sich am Wochenende auch Außenminister Rex Tillerson von Trump. In einem Interview mit dem konservativen Nachrichtensender Fox News weigerte er sich zweimal, Trump zu verteidigen.
Trump hatte nach einem Neonazi-Aufmarsch in der Kleinstadt Charlottesville in Virgina vor einigen Wochen, bei dem es heftige Schlägereien zwischen Rechten und Gegendemonstranten gegeben hatte und eine junge Frau getötet worden war, die Schuld an der Gewalt ausdrücklich "beiden Seiten" gegeben. Unter den rechten Demonstranten, die mit Hakenkreuzfahnen und Hitlergruß durch die Stadt gelaufen waren und antisemitische Parolen gerufen hatten, seien auch "viele feine Menschen" gewesen, so Trump. Wirtschaftsberater Cohen, der jüdischen Glaubens ist, hatte daraufhin der Financial Times gesagt, dass er über diese Relativierung der Neonazis durch Trump entsetzt gewesen sei und kurz vor dem Rücktritt gestanden habe.
In dem Interview bei Fox News sagte Außenminister Tillerson nun, als es um Charlottesville ging: "Ich glaube, niemand bezweifelt die Werte, an die das amerikanische Volk glaubt, oder die Entschlossenheit der Regierung, diese Werte umzusetzen." Daraufhin fragte der Moderator: "Und die Werte des Präsidenten?" "Der Präsident spricht für sich selbst", antwortete Tillerson - ein deutlicher Affront gegenüber Trump. "Distanzieren Sie sich von ihm?", fragte der sichtlich überraschte Moderator nach. "Ich habe meine eigenen Äußerungen zu unseren Werten gemacht", sagte Tillerson dann.
Das Verhältnis zwischen Trump und Tillerson gilt seit längerer Zeit als belastet. Der Präsident hatte den früheren Vorstandsvorsitzenden des Ölkonzerns Exxon zum Minister gemacht, ohne ihn besonders gut zu kennen. Tillerson nahm an, weil er es für seine Pflicht hielt, nicht weil er begeistert gewesen ist. Seitdem tut er sich schwer, das Außenministerium zu führen, die meisten wichtigen Leitungsposten sind immer noch unbesetzt. Zudem versucht Tillerson offenbar, bei einigen außenpolitischen Themen einen etwas weniger konfrontativen Kurs als der Präsident zu steuern. So beruhigte er die Amerikaner und die Welt, nachdem Trump Nordkorea mit "Feuer und Zorn" gedroht hatte. Auch an dem Atomabkommen mit Iran, das Trump rasch kündigen will, möchte Tillerson offenbar vorerst festhalten. "Rex kapiert es einfach nicht", soll Trump Berichten zufolge vor einiger Zeit nach einem Treffen gesagt haben. "Er steckt völlig im Denken des Establishments fest."
Tillersons offene Kritik am Präsidenten wurde in Washington als Zeichen gesehen, dass der Minister genug von seinem Job hat und eine Entlassung nicht fürchtet. Allerdings sollen vom Weißen Haus zumindest in naher Zukunft keine Personalwechsel im State Department geplant sein. Als mögliche Nachfolgerin für Tillerson wird die derzeitige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen genannt, Nikki Haley.
Als Kritik an Trump und dessen Unwillen, nach Charlottesville die Neonazis eindeutig zu verurteilen, wurde auch ein ungewöhnlicher Kommentar von Verteidigungsminister James Mattis gewertet. Dieser hatte bei einem Truppenbesuch in Jordanien die US-Soldaten dort aufgefordert, "die Stellung zu halten, bis die Leute in unserem Land sich wieder verstehen und respektieren".