USA:Trump profitiert vom Aufstand der Unbeschützten

Trump-Unterstützer

Die Wut der Abgehängten: Politik-Experten in den USA können das Gefühl mancher Amerikaner, vernachlässigt worden zu sein, durchaus nachvollziehen.

(Foto: Evan Vucci/AP)

Der Republikaner ist ein Demagoge, doch sein Erfolg fußt auf einem real existierenden Ohnmachtsgefühl vieler Amerikaner. Nicht alle profitieren vom Freihandel und Obamacare.

Von Hubert Wetzel, Washington

Howard Rosen hat sein halbes Leben damit verbracht, jemanden wie Donald Trump zu verhindern. Nicht, dass er irgendetwas Spektakuläres getan hätte. Rosen ist kein Wahlstratege und kein politischer Aktivist. Er ist Ökonom, Experte für Handel und Arbeitsmärkte, und er hat im US-Kongress an Programmen gearbeitet, die unter dem Kürzel TAA bekannt sind - trade adjustment assistance. Damit ist Geld gemeint, das die Regierung ausgibt, um Arbeitern zu helfen, die durch internationalen Handel ihre Jobs verlieren.

Immer, wenn eine US-Regierung wieder ein Freihandelsabkommen schließen wollte, versuchten Rosen und einige Mitstreiter, dieses durch TAA zu flankieren - um den Menschen zu helfen, die arbeitslos werden würden. Besonders beliebt waren seine Vorschläge freilich nie, TAA ist teuer. Und es ist schwierig, für entlassene Autobauer oder Stahlkocher sinnvolle, vernünftig bezahlte neue Jobs zu schaffen. Wie auch? Am Ende lief es zumeist darauf hinaus, dass sie aus TAA-Mitteln irgendeinen Weiterbildungskurs und ein paar Wochen länger Arbeitslosengeld bezahlt bekamen.

Das war in den Neunzigerjahren, als der Demokrat Bill Clinton in Washington regierte und danach, als der Republikaner George W. Bush Präsident war. Heute ist Donald Trump der republikanische Präsidentschaftskandidat. Seine treuesten Anhänger sind genau jene weißen Industriearbeiter, die so hart unter der Globalisierung leiden, weil Millionen Arbeitsplätze nach Mexiko oder China verlagert wurden. Und weil kaum neue Jobs entstanden sind. Ganz offensichtlich hatte Rosen keinen Erfolg.

Amerika ist in zwei Lager geteilt

Es gibt viele verschiedene Erklärungen für Trumps Aufstieg, den größten Teil der Schuld tragen sicher die Republikaner. Doch ein Grund, warum der Rechtspopulist es so weit gebracht hat, ist wohl auch die Politik der Präsidenten, die im vergangenen Vierteljahrhundert regiert haben: Clinton, Bush und Barack Obama. Wenn mindestens 40 Prozent der Amerikaner heute jemanden wie Trump für den einzigen Retter halten, dann hat das auch mit falschen oder fragwürdigen Entscheidungen dieser Regierungschefs zu tun. Und immerhin zwei von ihnen sind Demokraten.

Einige Politikbeobachter in Washington sind inzwischen der Ansicht, dass Amerika in zwei Lager geteilt ist: in "die Eliten", die Politik beeinflussen und machen; und in den Rest der Bevölkerung, der diese Politik dann ausbaden und bezahlen muss. Die konservative Autorin Peggy Noonan, Kolumnistin beim Wall Street Journal, nennt diese Eliten - Politiker, Bürokraten, Medienleute, Lobbyisten, Investoren - "die Beschützten", den Rest dagegen "die Unbeschützten": "Weil die Beschützten beschützt sind, glauben sie, sie könnten alles tun, jede Realität erschaffen. Sie sind von den meisten Folgen ihrer eigenen Entscheidungen nicht betroffen." Die "Unbeschützten" hingegen trügen die Konsequenzen, ob die wollten oder nicht. Und in diesem Jahr rebellierten sie, indem sie Donald Trump wählen.

Das ist sicher eine starke, populistische Vereinfachung. Amerikanische Parlamentarier zum Beispiel sind allesamt direkt gewählt, ihr Spielraum, den Wählerwillen zu missachten, ist begrenzt. Aber ein bisschen Wahrheit steckt schon in der These. Die Euphorie für Freihandel, die Demokraten wie Republikaner in den vergangenen 20 Jahren teilten, ohne sich ernsthaft um die Folgen für die Arbeiterschicht zu kümmern, ist nur ein Beispiel dafür. Rosen nennt die Befürworter "Globalisierungsidioten" - denn volkswirtschaftlich gesehen mag Freihandel unter dem Strich sinnvoll und ein Zugewinn sein; aber in sozialer Hinsicht war er für viele Städte und die Menschen dort ein absolutes Desaster.

Das Thema Immigration hat Trump groß gemacht

Illegale Einwanderung ist ein weiteres Beispiel. Es ist das Thema, das Trump großgemacht hat, und der Unterschied zwischen "Beschützten" und "Unbeschützten" lässt sich in jedem Washingtoner Vorort studieren. Immigrationsforscher weisen vermutlich zu Recht darauf hin, dass Gesellschaften auf lange Sicht von Einwanderung profitieren. Und wer gut versorgt und sicher in Maryland oder Nord-Virginia lebt, seine Kinder auf gute öffentliche oder Privatschulen schicken kann und mit Immigranten vor allem zu tun hat, wenn sie für wenig Geld den Rasen mähen oder die Hemden bügeln, hält die Sicherung der Grenze weit weg im Südwesten wohl für zweitrangig. Wer sich hingegen irgendwo auf dem Land in Nevada oder Texas mit einem (oder zwei bis drei) mager bezahlten Jobs durchschlagen muss, der sieht die Lage wohl etwas anders. Genau wie all jene, die sich für ihre Kinder mit der öffentlichen High School begnügen müssen, die eben da ist; egal, wie viele Schülern dort kein Englisch sprechen.

Auf diesem Gefühl, von Washington im Stich gelassen worden zu sein, hat Trump seinen Wahlkampf aufgebaut. Das war perfide, zuweilen rassistisch, weil er arme Amerikaner gegen arme Zuwanderer ausspielte und Menschen, die sich nicht wehren können, zu Sündenböcken machte. Aber es war eben auch erfolgreich, weil das Problem, das er ansprach, in der Realität existierte und sehr viele Menschen betraf.

Und weil weder Clinton, Bush oder Obama fähig waren, dieses Problem zu lösen. Weder die Demokraten im Kongress, noch die Republikaner waren in den vergangenen 25 Jahren in der Lage, entweder die Grenze zu sichern oder eben das Geld bereitzustellen, um zum Beispiel die staatlichen Schulen und Krankenhäuser so auszustatten, dass sie die Kinder der Zuwanderer unterrichten oder deren unversicherte Familien versorgen konnten.

Für viele sind die Versicherungsbeiträge stark angestiegen

Ein weiteres Beispiel: Obamacare - das große ideologische Projekt der US-Linken, seit Hillary Clinton First Lady war. Die Gesundheitsreform des Präsidenten hat zweifellos dazu geführt, dass um die 20 Millionen arme, früher unversicherte Amerikaner nun eine Krankenversicherung haben. Die Reform hatte aber auch zur Folge, dass für viele Bürger, die mit ihrer Arbeit gerade so über die Runden kommen, aber zu viel verdienen, um Beihilfen zu erhalten, die Versicherungsbeiträge zum Teil stark angestiegen sind. Kein Geringerer als der frühere Präsident Bill Clinton bezeichnete diese Folge von Obamacare jüngst als "irre". Man habe nun ein "verrücktes System", in dem Menschen, die 60 Stunden in der Woche arbeiteten, plötzlich weniger Geld in der Tasche hätten, weil ihre Versicherungsprämie so teuer geworden sei.

Auch in diesem Fall gilt: Gesamtgesellschaftlich gesehen ist Obamacare ein gute Sache. Diejenigen aber, denen die Reform einen Nachteil gebracht hat, müssen alleine zusehen, wie sie damit fertig werden. Man kann darauf wetten, dass viele von ihnen im November Trump wählen.

Ausgerechnet ein Kanadier - John Ibbitson, Kolumnist bei der Zeitung Globe and Mail - richtete jüngst eine Warnung an die Amerikaner: "Donald Trump wird die Wahl voraussichtlich verlieren", schrieb er. "Aber er ist so etwas wie eine letzte Warnung. Wenn die Eliten sowohl im linken wie im rechten Lager nicht etwas mehr Demut zeigen, wenn sie sich nicht wieder fragen, welche Folgen ihre Vorhaben für die einfachen Leute haben, dann trampelt der nächste Grobian vielleicht über den toten Körper der Republik hinweg."

Howard Rosen übrigens wird den Politikern nicht mehr helfen können, etwas achtsamer zu sein. Er ist in Rente gegangen.

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