Transatlantische Freundschaft:Europa? Nato? Für Trump nur Nervensägen

Transatlantische Freundschaft: Trump ist überzeugt, dass die Europäer die Amerikaner nur über den Tisch ziehen. Und er will das ändern.

Trump ist überzeugt, dass die Europäer die Amerikaner nur über den Tisch ziehen. Und er will das ändern.

(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)
  • Die Europäer sind es gewohnt, dass die USA sich über sie beklagen. Aber ein US-Präsident, der die Nato ernsthaft ablehnt, ist für sie neu.
  • Seit Donald Trump im Weißen Haus regiert, ist die Zukunft der transatlantischen Freundschaft ungewiss.
  • An ihrer misslichen Lage sind die Europäer zum Teil selbst schuld.

Von Hubert Wetzel, Washington

Zu seiner Rede zur Lage der Nation vor einigen Tagen hatte Donald Trump drei ältere Herren eingeladen. Sie saßen hoch oben auf der Besuchergalerie, und als der Präsident sie vorstellte, fügte er jedem Namen einen militärischen Rang hinzu: Private First Class Joseph Reilly, Staff Sergeant Irving Locker, Sergeant Herman Zeitchik. Das waren die Dienstgrade, welche die drei Männer am 6. Juni 1944 innehatten, am D-Day, als sie die Strände der Normandie stürmten, um Europa vor den Deutschen zu retten. Herman Zeitchik war später zudem einer jener US-Soldaten, die das Konzentrationslager Dachau befreiten.

Donald Trump mag es, an die heroischen Teile der amerikanischen Geschichte zu erinnern. Und dazu gehört zweifellos der Zweite Weltkrieg, in dem junge Amerikaner wie der Gefreite Reilly, der Stabsunteroffizier Locker und der Unteroffizier Zeitchik halfen, den deutschen Faschismus zu besiegen. Einer der Lieblingsfilme des Präsidenten ist angeblich "Patton", die gigantische Filmbiografie des US-Panzergenerals und Weltkriegshelden George Patton aus dem Jahr 1970.

Diese Verehrung der Vergangenheit steht allerdings in einem bemerkenswerten Kontrast zu Trumps Sicht auf die Gegenwart. Und kaum eine Weltgegend ist von diesem Widerspruch stärker betroffen als Europa. Der Präsident lobt einerseits an Gedenktagen und in Reden die Opfer, die Millionen amerikanische Soldaten in zwei Weltkriegen und im Kalten Krieg danach erbracht haben, um Europa zu dem zu machen, was es heute ist: ein freier, geeinter, friedlicher Kontinent. Zugleich hat noch nie ein US-Präsident jene Institutionen, auf denen die Freiheit, die Einigkeit und der Frieden in Europa in erster Linie ruhen, mit so viel Verachtung und Misstrauen behandelt wie Trump: Die Europäische Union ist für ihn nicht mehr als eine wirtschaftliche Konkurrentin, erfunden, um Amerika zu schwächen. Die Nato ist in seinen Augen kaum besser, ein Instrument der Europäer, um die USA für ihre Verteidigung bezahlen zu lassen.

Der Präsident hegt für EU und Nato weder Sentimentalität noch Wertschätzung

Fast sieben Jahrzehnte lang war die transatlantische Allianz das Fundament, auf dem die amerikanische wie die europäische Außenpolitik aufgebaut waren. Dieses Bündnis war nie störungsfrei, es war nie unumstritten, und es war bestimmt nie altruistisch, weder für die Amerikaner noch für die Europäer. Doch es war immer da, und das außen- und sicherheitspolitische Establishment auf beiden Seiten des Atlantiks schätzte und pflegte es.

Ob diese Zeit für immer vorbei ist, weiß man nicht. Sicher ist: Unter Trump ist es anders. Der Präsident hegt keine Sentimentalität oder Wertschätzung für EU und Nato. Im Gegenteil, er ist davon überzeugt, dass die Europäer die Amerikaner nur über den Tisch ziehen. Und er will das ändern.

Trump ist, vor allem was die Nato betrifft, nicht der erste amerikanische Präsident, der sich über die Europäer ärgert. Dass die europäischen Partner zu wenig in ihr Militär investieren und den größten Teil der Verteidigungs- und Abschreckungslast den USA überlassen, ist eine alte - und berechtigte - Klage. Republikanische und demokratische US-Präsidenten haben sie in den vergangenen Jahren immer wieder vorgebracht.

Die Europäer verweisen zu ihrer Verteidigung gern darauf, dass die Nato-Partner den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu Hilfe geeilt seien und an ihrer Seite in Afghanistan gekämpft hätten. Dieses Selbstlob täuscht allerdings darüber hinweg, dass es die Idee der Nato war, nicht Washingtons Wunsch, nach 9/11 den Bündnisfall auszurufen. Die Organisation wollte im neuen Zeitalter des Anti-Terror-Krieges relevant bleiben. Zudem waren die Amerikaner immer die mit Abstand größten Truppensteller in Afghanistan. Der Beitrag der Europäer war nie gleichwertig.

Es geht um den Verbleib der USA in der Nato

Insofern sind die Europäer an der Lage, in der sie sich derzeit befinden, zu einem Gutteil selbst schuld. Ihr Unwillen oder Unvermögen, Amerika mehr von der militärischen Last im Bündnis abzunehmen, gibt Trump erst die Munition, mit der er gegen die Nato schießen kann.

Doch Trump ist eben auch ein Präsident, der keinerlei Skrupel hat, diese Munition zu nutzen. Dass er die Glaubwürdigkeit der Beistandsgarantie des Nato-Vertrags untergräbt, wenn er militärische Hilfe durch die USA an bestimmte Zahlungsziele koppelt, ist ihm entweder nicht klar oder egal. Dass er das wichtigste strategische Gut der Nato infrage stellt - das Vertrauen in die Vereinigten Staaten -, wenn er laut darüber nachdenkt, ob man dieses oder jenes Mitglied tatsächlich verteidigen sollte, kümmert ihn nicht.

Das ist für die Europäer eine völlig neue Lage: Sie sind an amerikanische Präsidenten gewöhnt, die sich beklagen. Mit einem Präsidenten, der bereit ist, die Brocken in der Nato tatsächlich hinzuwerfen, hatten sie es hingegen noch nie zu tun.

Lange wurde Trumps Gepolter als Taktik abgetan

Und genau darum geht es inzwischen - um den Verbleib der Vereinigten Staaten in der Nato. Zumindest ist das die Ansicht etlicher Beobachter in Washington, die nicht wie Diplomaten fürs Schön- oder Drumherumreden bezahlt werden, sondern für einen nüchternen Blick auf die Realität. "Ich glaube, dass Trump jeden Moment den Austritt aus der Nato erklären könnte, und ich rechne damit", sagt ein erfahrener Washingtoner Außenpolitiker. "Wir sollten aufhören, so zu tun, als hätte Trumps Wahnsinn Grenzen."

In diesen Sätzen steckt eine deutlich pessimistischere Einschätzung zum Ernst der Lage, als sie bei Trumps Amtsantritt vor zwei Jahren vorherrschte. Damals wurde Trumps Gepolter über die angeblich so geizigen Verbündeten in Europa oft noch als Verhandlungstaktik abgetan. Der Präsident macht viel Wind, so die Logik, um maximalen Druck zu erzeugen und dadurch möglichst viel Geld herauszuschlagen. Diese Argumentation ist der Grund, warum Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei jedem Treffen mit Trump dankbar aufzählt, um wie viele Milliarden Dollar die Europäer ihre Militärhaushalte wegen der klaren Ansagen aus dem Weißen Haus erhöht hätten. Das soll Trump besänftigen.

Doch spätestens seit im Dezember der damalige Verteidigungsminister James Mattis - ein ehemaliger Vier-Sterne-General der Marineinfanterie - in seinem schonungslosen Rücktrittsschreiben Trumps rüden Umgang mit den Nato-Partnern kritisiert hat, ist klar, dass der Präsident den Wert der Allianz eben nicht nur aus verhandlungstaktischen Gründen anzweifelt, sondern weil er schlicht nichts von dem Bündnis hält. Im Januar wurde diese Erkenntnis so drängend, dass der Kongress Besänftigungsversuche offenbar nicht mehr für ausreichend hielt, sondern ein Verbot für notwendig erachtete: Das Repräsentantenhaus stimmte für ein Gesetz, das es dem Präsidenten verbieten soll, Finanzmittel der Bundesregierung für den Austritt aus der Nato auszugeben.

Damit wäre zumindest einem formellen Rückzug der USA aus der Allianz ein Riegel vorgeschoben, auch wenn Trump als Oberbefehlshaber der amerikanischen Armee immer noch darüber entscheiden kann, welche Art von militärischem Beistand er im Ernstfall einem Partnerland gewähren will. Das Votum für die Nato war eindeutig: Das Abgeordnetenhaus billigte das Austrittsverbot mit 357 zu 22 Stimmen.

Die Gegner einer festen US-Bindung an Europa haben nicht die Oberhand. Noch nicht

In Washington wird seither freilich gerätselt, was eigentlich schlimmer war: die Tatsache, dass die Parlamentskammer es überhaupt für notwendig befunden hatte, einen Zustand gesetzlich festzuschreiben, der 70 Jahre lang weitgehend eine Selbstverständlichkeit gewesen ist - die Mitgliedschaft der USA in der Nato; oder die Tatsache, dass die 22 Abgeordneten, die mit Nein votierten, allesamt Republikaner waren, bei denen das Bekenntnis zur Nato früher Teil des Partei-Credos war. Die meisten dieser Abweichler gehören dem sogenannten Freedom Caucus an, jener konservativen Gruppe in der Fraktion, die dem Präsidenten nahesteht und im Parlament seine Ziele unterstützt.

Das zeigt, wie sehr der Rückhalt für die Nato in Washington inzwischen erodiert ist. Noch ist es nicht so weit, dass die Gegner einer festen sicherheitspolitischen Bindung Amerikas an Europa die Oberhand gewonnen hätten. Wie die Lage in zwei Jahren aussieht oder in sechs, sollte Trump eine weitere Amtszeit gewinnen, ist allerdings reine Spekulation. Gut möglich, dass eine ähnliche Abstimmung dann deutlich knapper ausfiele. Auf den Präsidenten als Fürsprecher sollte sich Europa jedenfalls lieber nicht verlassen.

Das ist ein wichtiger Unterschied zu den frühen 1950er-Jahren, als republikanische Isolationisten im Kongress die USA schon einmal aus der gerade erst gegründeten Nato lösen wollten. Damals stoppte Präsident Dwight D. Eisenhower diese Bestrebungen. Der ehemalige General hatte nur wenige Jahre zuvor die Landung der Alliierten in der Normandie und den Feldzug zur Befreiung Westeuropas kommandiert. Er wusste genau, was amerikanische Soldaten geopfert hatten. Und er wollte diese Opfer nicht dadurch entwertet sehen, dass Amerika sich von Europa abwandte.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusUrsula von der Leyen
:"Die USA sind unsere Verbündeten"

Die Mangelwirtschaft bei der Bundeswehr geht zu Ende, verspricht die Ministerin. Ein Gespräch über die Regeln für Rüstungsexporte und warum sie Russland nicht als Gegner will.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: