Süddeutsche Zeitung

USA:Tödliche Klischees

Immer wieder stehen sich weiße Polizisten und schwarze Männer in fatalen Konfliktsituationen gegenüber. Es gibt kaum Vertrauen zueinander, die schnelle Gewalt nimmt zu. Der Riss in der Gesellschaft wird immer tiefer.

Von Hubert Wetzel

Liest man die Statistiken, dann könnte man meinen, Amerikas Polizei und Amerikas Schwarze führten Krieg gegeneinander. Genaue Zahlen sind zwar schwierig zu bekommen, doch die, welche der Economist zusammengetragen hat, sind eindeutig: Mindestens 458 Menschen sind voriges Jahr in den USA von Polizisten erschossen worden. Etwa ein Drittel der Getöteten waren Schwarze. Auch umgekehrt ist das Verhältnis zwischen der Staatsmacht und der schwarzen Minderheit von Gewalt geprägt. In diesem Jahr starben bisher 46 Polizeibeamte durch Kugeln; in mehr als vierzig Prozent der Fälle war der Schütze ein Schwarzer.

Die Frage, mit der die Amerikaner sich gerade quälen, lautet: warum? Ist der hohe Anteil an Schwarzen unter den Opfern von Polizeigewalt ein Beleg für Rassismus? Oder beweist nicht der hohe Anteil schwarzer Todesschützen eher das Gegenteil - die Gefährdung von Polizisten durch überwiegend schwarze Straftäter? Zumal ja, auch da ist die Statistik eindeutig, die meisten Schwarzen von anderen Schwarzen erschossen werden, nicht von Weißen.

Diese Fragen sind kein bloßes grausiges Spiel mit Zahlen; und sie lenken auch nicht von den tragischen Schicksalen jener Schwarzen ab, die in jüngster Zeit von weißen Polizisten getötet wurden und deren Tod am Wochenende Zehntausende Amerikaner zu Protestmärschen auf die Straßen getrieben hat. Denn das Problem wird nicht zu lösen sein, wenn man die Ursachen nicht kennt und anpackt.

Amerikas Polizisten sehen sich als "the Law", als das Gesetz

Echter, offener Rassismus - der persönliche Hass eines weißen Polizisten auf einen Schwarzen - dürfte in den wenigsten Todesfällen das Hauptmotiv sein. Zumindest gibt es dafür keine Belege. Dass aber bestimmte, tief in der Gesellschaft verwurzelte rassistische Klischees eine Rolle dabei spielen, wie Polizisten eine Gefährdungslage einschätzen, wenn sie zu einem Tatort beordert werden, ist unbestreitbar. Ein möglicher Täter, den die Einsatzzentrale als schwarz, männlich, jung und bewaffnet beschreibt, ist in großer Gefahr, vom ersten eintreffenden Polizisten abgeknallt zu werden. So lassen sich etwa die tödlichen Schüsse auf einen Zwölfjährigen in Ohio vor einigen Tagen erklären, der mit einer Spielzeugpistole hantiert hatte.

Doch es gibt noch weitere Gründe für die vielen Todesopfer. Amerikas Polizisten haben ein sehr viel weniger bürgernahes Selbstbild als viele ihrer europäischen Kollegen. "To serve and to protect", steht auf amerikanischen Streifenwagen - "dienen und schützen". Doch drinnen sitzen oft Beamte, die sich weniger als Freunde und Helfer sehen, sondern eher - wie einst im Wilden Westen - als "the Law", als das Gesetz. Wer ihnen dumm kommt, kann das schnell mit dem Leben bezahlen. Diese Polizisten arbeiten dann in Gegenden, in denen Armut, Kriminalität und Gewaltbereitschaft hoch sind; in den USA bedeutet das: in Gegenden, in denen überwiegend Schwarze und andere Minderheiten leben. Das ist eine oft tödliche Mischung.

Noch gefährlicher wird diese Gemengelage durch die umfassende Aufrüstung bei Polizisten wie Verbrechern. In einem Land, in dem mindestens 300 Millionen Schusswaffen im Umlauf und oft genug auch in Gebrauch sind, muss jeder Streifenbeamte auch bei Einsätzen wegen drittklassiger Delikte damit rechnen, beschossen zu werden. Umgekehrt hat die Tendenz, die Polizeikräfte zum Selbstschutz mancherorts zu paramilitärischen Spezialkommandos aufzupäppeln, zur Folge gehabt, dass die Beamten eher als Angehörige einer Besatzungsmacht gesehen werden. Das geringe Vertrauen, das Schwarze der Polizei entgegenbringen, spricht darüber Bände.

Protestmärsche von Schwarzen werden das Problem der Polizeigewalt kaum lösen. Aber sie zeigen immerhin dem weißen Amerika, dass es ein Problem gibt.

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SZ vom 15.12.2014/dgr
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