Süddeutsche Zeitung

Terror in USA:Das Jahr, in dem der Irrsinn die Normalität ermordete

Die Todesfahrt von New York trifft ein nervöses Land. Das Massaker von Las Vegas ist fast schon verdrängt; die Tat des Islamisten aber schürt die paranoide Stimmung im Land, die Furcht vor allem Fremden.

Kommentar von Hubert Wetzel

Es gab eine Zeit, in der konnten die Amerikaner das Normale noch von Irrsinn trennen. Normal war, in Las Vegas zu einem Country-Konzert zu gehen - ohne dass ein Verrückter aus einem Hotel auf einen schießt. Normal war, in Manhattan am Hudson River entlangzuradeln - ohne dass einem ein Psychopath in einem Laster entgegengerast kommt. Aber diese Zeit ist vorbei. 2017 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem der Irrsinn in Amerika die Normalität überfallen und ermordet hat.

Es waren sehr spezielle Arten von Irrsinn, die da in mörderisches Werk mündeten. Die Attacke in New York war, nach allem, was man bisher weiß, reiner islamistischer Terrorismus. Der Attentäter, ein junger Einwanderer aus Usbekistan, schrie "Allahu Akbar", als er seine Opfer niederwalzte; die Polizei fand später eine Notiz, in der er sich zur Terrororganisation Islamischer Staat bekannte. Bisher kannte man diesen Modus Operandi - ein Auto, Fußgänger, Vollgas, Tote - nur von IS-Anhängern in Europa. Nun ist diese Mordmethode offenbar in den Vereinigten Staaten angekommen.

Das Massaker von Las Vegas ist fast schon wieder verdrängt

Das Massaker in Las Vegas wiederum hatte nach dem gängigen Verständnis mit Terrorismus nichts zu tun. Bis heute ist völlig unklar, was den Täter dazu trieb, 58 Menschen zu erschießen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er dabei irgendein politisches oder ideologisches Ziel verfolgte, und sei es ein noch so pervertiertes, wie die üblichen Definitionen von Terrorismus es verlangen. Las Vegas war blanker Massenmord, wenn auch verübt auf eine sehr amerikanische Art und Weise - mit jenen modernen, militärischen Sturmgewehren, die man in den USA in den meisten Campingläden für ein paar Hundert Dollar kaufen kann.

Was beide Anschläge eint, ist, dass Attacken dieser Art fast nicht zu verhindern sind. Was kann man schon tun, wenn das normale Leben plötzlich durch Mordlust in einem Blutbad endet? Jeder Amerikaner hat das Recht, Waffen zu besitzen. Das steht in der Verfassung, und das wird nicht geändert werden. Und wie soll man sicherstellen, dass jemand, der in einem Baumarkt einen Kleinlaster mietet, damit tatsächlich Zementsäcke oder Holzbalken transportiert? Und nicht Radfahrer und Fußgänger damit umbringt?

Auf Amerikas Psyche freilich haben die beiden Attentate sehr unterschiedliche Auswirkungen. Das Blutbad in Las Vegas wurde zumeist mit bedauerndem Schulterzucken und Mitleid quittiert - ja, grässlich, aber was soll man machen? Der Ruf nach schärferen Waffengesetzen verebbte nach 48 Stunden, entsprechende Vorschläge versinken gerade im parlamentarischen Treibsand. Die Todesfahrt von New York hingegen erschüttert die Amerikaner tiefer, da können die abgeklärten New Yorker so tapfer tun, wie sie wollen.

Man kann diese unterschiedlichen Wahrnehmungen nicht rational erklären. 58 Tote in Las Vegas, acht Tote in Manhattan - die Gefahr, von einem Amok laufenden Landsmann erschossen zu werden, ist für Amerikaner immer noch weit größer, als einem Islamisten zum Opfer zu fallen. Doch vielleicht gibt es in Gesellschaften einen Mechanismus, der die Verbrechen von Leuten, die als Angehörige dieser Gesellschaft gelten, leichter hinnehmbar erscheinen lässt als die Untaten jener, die von außen kommen; oder die zumindest als Außenseiter gesehen werden.

Amerika ist ein nervöses, verunsichertes Land. Das hat mit vielen Dingen zu tun, nicht zuletzt mit einem Präsidenten, der sich kräftig bemüht, Nervosität und Angst zu steigern, weil er davon politisch profitiert. Das Attentat von New York schürt diese paranoide Stimmung, die Furcht vor allem Fremden. Es gibt denen Auftrieb, die behaupten, alles würde gut, wenn Amerika nur wieder ein Land voller weißer, patriotischer Christen wäre. Und es hilft denen nicht, die sich gegen diese nationalistische Sichtweise stemmen, dass der Attentäter von Manhattan tatsächlich ein muslimischer Immigrant ist, der erst vor wenigen Jahren ins Land gekommen war. Sayfullo Saipov durfte in die USA, weil er ein Visum in einer Lotterie gewonnen hatte, die nur dem Zweck dient, mehr Einwanderer aus Ländern anzulocken, aus denen besonders wenige Immigranten stammen.

Für viele Amerikaner sieht das - nicht ganz zu Unrecht - so aus, als seien ihre Großzügigkeit und Offenheit der wahre Grund dafür, dass nun acht Menschen tot sind. Das wird Folgen haben. Das Misstrauen der Amerikaner gegenüber der Welt und der Wunsch nach Abschottung werden wachsen. Saipov verübte seine Morde auf der Südwestseite von Manhattan, in Sichtweite der Freiheitsstatue, dem aus Kupferplatten geformten Wahrzeichen der amerikanischen Willkommenskultur. Auch diese Zeit ist vorbei.

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SZ vom 02.11.2017/leja
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