Supreme Court:Wie konservativ sind die höchsten US-Richter wirklich?

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Sitz des höchsten US-Gerichts: das in den 1930er-Jahren erbaute Gebäude des Supreme Court in Washington. (Foto: J. Scott Applewhite/AP)

Die von Trump eingesetzten Richter am Supreme Court haben bei wichtigen Fragen zuletzt nicht im Sinne der Republikaner entschieden. Dennoch zeigt das höchste US-Gericht eine konservativere Tendenz. Deshalb blicken viele besorgt auf bald anstehende wichtige Urteile.

Von Hubert Wetzel, Washington

Die Vorhersagen hätten kaum finsterer sein können. Der Untergang des progressiven Amerikas stehe bevor, so warnten die Demokraten, als Präsident Donald Trump im vergangenen Herbst kurz vor seiner Abwahl noch eine Richterin an den Supreme Court in Washington berief. Amy Coney Barrett, eine konservative Katholikin, werde das US-Verfassungsgericht weit nach rechts rücken, hieß es. Mit ihr habe der konservative Flügel des neunköpfigen Gerichts auf Jahre hinaus sechs Mitglieder, der liberale nur noch drei. Alle sozialen und gesellschaftlichen Fortschritte, die das Gericht über Generationen mit seinen Urteilen erzwungen hat, stünden nun auf dem Spiel.

Ganz so schlimm ist es, zumindest nach jetzigem Stand, nicht gekommen. Vor einigen Tagen hat der Supreme Court die erste Sitzungsperiode beendet, in der diese neue, vermeintlich so zerstörerische Sechs-zu-drei-Mehrheit der Konservativen voll zum Tragen gekommen ist. Doch man kann nicht behaupten, dass die Richter vom liberalen Amerika nur einen rauchenden Trümmerhaufen übrig gelassen hätten.

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Im Gegenteil, über zwei Entscheidungen konnten die Demokraten sich freuen: Im Dezember 2020 wies das Gericht einstimmig eine Klage des Bundesstaates Texas gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl im November ab. Die Klage, die von anderen republikanischen Justizministern sowie den meisten Kongressabgeordneten der Partei unterstützt wurde, war ein ebenso durchsichtiger wie rechtlich fragwürdiger Versuch, Trumps Niederlage doch zu einem Sieg zu wenden. Die neun Richterinnen und Richter machten bei diesem parteipolitischen Theater nicht mit, auch die drei von Trump ernannten nicht: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Nach dieser Entscheidung stand fest, dass Joe Biden der neue Präsident der Vereinigten Staaten sein würde, zum großen Unmut von Trump, der von "seinen" Richtern mehr Hilfe erwartet hatte.

Wahlvorschriften, die Wähler der Demokraten benachteiligen, erlaubte das höchste Gericht

Mitte Juni folgte dann ein zweites Urteil, das ebenfalls ein veritabler Sieg für die Demokraten war: Mit sieben zu zwei Stimmen bestätigte das Gericht die Gesundheitsreform des früheren Präsidenten Barack Obama. Diese Klage gegen Obamacare war bereits die dritte, die die Republikaner vor dem Supreme Court verloren haben. Und auch bei diesem Urteil votierten zwei der drei von Trump berufenen Richter, Barrett und Kavanaugh, mit ihren liberalen Kolleginnen und Kollegen. Die Versuche der Republikaner, Obamacare vom Supreme Court kippen zu lassen, dürften damit ein Ende gefunden haben.

Das waren schöne Erfolge für die Demokraten. An der grundsätzlichen Diagnose, dass es Trump und den Republikanern im Senat - allen voran Fraktionschef Mitch McConnell - in den vergangenen Jahren gelungen ist, den Supreme Court durch die Berufung konservativer Richter nach rechts zu drücken, ändern sie allerdings wenig. Sie zeigen allenfalls, dass der von den Demokraten gegen Richter wie Kavanaugh und Barrett erhobene Vorwurf, diese seien kaum mehr als rechte Ideologen in Roben, überzogen war. Doch das Gericht hat in den letzten Monaten auch mehrere Entscheidungen gefällt, bei denen die neue konservative Mehrheit durchaus den Ausschlag gegeben hat - und die einen Vorgeschmack auf künftige Urteile geben könnten.

Bleiben die neun höchsten Richter der USA bei der Linie ihres Vorsitzenden John Roberts (vorne Mitte), den Supreme Court aus den parteipolitischen Schlachten herauszuhalten? (Foto: Erin Schaff/AP)

So urteilte das Gericht vor einigen Tagen mit sechs zu drei Stimmen, dass bestimmte Wahlvorschriften zulässig sind, die der republikanisch regierte Bundesstaat Arizona erlassen hat. Die Demokraten hatten mit dem Argument dagegen geklagt, die Regeln machten es für Wählergruppen, die ihrer Partei zuneigten, schwieriger, ihre Stimmen abzugeben. Ähnliche neue Vorschriften werden derzeit in vielen Bundesstaaten von den Republikanern vorangetrieben. Nicht alle davon sind offen diskriminierend. Doch wenn der Supreme Court nicht irgendwann einschreitet, könnte das in der Praxis zur Folge haben, dass Wähler der Demokraten benachteiligt werden.

Auch zwei weitere Sechs-zu-drei-Urteile, die weniger spektakulär als die Obamacare-Entscheidung waren, aber politisch nicht unbedingt weniger relevant, gingen zugunsten der Republikaner aus. In einem Fall strich das Gericht eine Vorschrift aus Kalifornien, die es Gewerkschaftsvertretern erlaubte, auch ohne Zustimmung des Eigentümers privaten Grund zu betreten, um unter Arbeitern Mitglieder zu werben. In einem anderen Fall verbot der Supreme Court es Kalifornien, wohltätige Stiftungen dazu zu verpflichten, die Namen ihrer Großspender zu veröffentlichen. Beide Male stellte das Gericht damit individuelle Grundrechte - die Unverletzlichkeit von Privatbesitz und das Recht auf freie Meinungsäußerung durch Spenden - über politische Ziele der Demokraten wie die Stärkung von Gewerkschaften oder die Begrenzung des gesellschaftlichen Einflusses von reichen Geldgebern.

Die entscheidende Frage für die Demokraten lautet nun: Sind solche Urteile Vorboten für härtere Zeiten? In den kommenden Monaten werden Grundsatzurteile zum Recht auf Abtreibung und auf Waffenbesitz erwartet, bei denen eine konservative Sechs-zu-drei-Mehrheit tatsächlich mühsam erkämpfte linksliberale Erfolge zunichtemachen könnte.

Oder deuten die jüngsten Urteile eher darauf hin, dass auch die von Trump ernannten Richter in den großen, besonders umstrittenen Fällen nicht zu umstürzlerischen Entscheidungen neigen? Damit würde das Gericht weiter der Linie seines Vorsitzenden Richters John Roberts folgen, der vor allem ein Ziel hat: den Supreme Court aus den erbitterten parteipolitischen Schlachten herauszuhalten, die in Washington toben und die fast alle anderen staatlichen Institutionen irreparabel beschädigt haben.

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