Süddeutsche Zeitung

Folgen des Sturms auf das Kapitol:Futter für die Propaganda

Autoritären Regimen in aller Welt kommt das Chaos in Washington gerade recht: Sie reagieren mit hämischen Verweisen auf die Schwäche der Demokratie und den Niedergang der einstigen Supermacht.

Von Moritz Baumstieger

Es gibt einen alten Witz, der seit Mittwoch wieder Konjunktur hat: Die USA, so kommentierten Zyniker jahrzehntelang die Weltpolitik, seien der einzige Staat der Welt, in dem es nie zu einem Staatsstreich kommen könne. Der Grund: Es gebe in dem Land ja keine US-Botschaft, die einen solchen planen und orchestrieren könne.

Ob die Geschehnisse vom Mittwoch nun tatsächlich als koordinierter Umsturzversuch gewertet werden können oder ob doch eher Chaoten auf eine perverse Jagd nach Trophäen und Selfies gegangen sind, darüber streiten noch die Analysten. Eines ist jedoch bereits klar: In Ländern wie Iran, wo die USA mittels ihres Auslandsgeheimdienstes 1953 tatsächlich in den Sturz einer demokratisch gewählten Regierung verwickelt waren, ist die Häme nach dem Sturm auf das Kapitol riesig.

Die Bilder erinnern im Irak daran, wie GIs die Paläste Saddam Husseins plünderten

Autoritäre Regime wie in Moskau oder Peking nutzen die Bilder aus Washington, um ihr eigenes repressives Vorgehen gegen die Opposition zu rechtfertigen. Und die Bürger von Ländern wie dem Irak, in den die USA 2003 einmarschierten, vorgeblich um Demokratie und Freiheit zu verbreiten, reiben sich verwundert die Augen: Amerikanische Männer und Frauen schleppen Beutestücke aus einem Zentrum der Macht - hatten sich nicht fast spiegelbildliche Szenen vor fast 20 Jahren in Bagdad abgespielt, als US-Soldaten die Paläste Saddam Husseins plünderten?

Dass die Strahlkraft der USA als selbsternannter "Leuchtturm der Demokratie" schwächer und schwächer wird - dieser Prozess begann freilich lange vor dem Tag, an dem eigentlich als reine Formalie die Machtübergabe von einem abgewählten zu einem neu gewählten Präsident besiegelt werden sollte. Selbst unter Alliierten strahlte der Leuchtturm immer weniger: Eine Erhebung des Pew-Instituts, das seit Jahren die Bewertung der Rolle der USA abfragt, zeigt seit 2003 eine steil fallende Kurve - nur in den Obama-Jahren schlug sie wieder nach oben aus. Aus den fast 80 Prozent der Deutschen, die vor dem Irakkrieg ein positives USA-Bild hatten, wurden 26 Prozent; von den mehr als 80 Prozent der Briten, die Amerika bewunderten, hat die Hälfte ihre Meinung geändert. Vor allem in den vergangenen vier Jahren fiel das Ansehen der USA steil ab, in denen der eigentliche Hüter der Verfassung - der amtierende US-Präsident - die Institutionen seines Staates stetig untergrub und angriff.

Was Washington bei Unruhen in instabilen Ländern formulierte, wird nun auf die USA gemünzt

Nur Minuten bevor die ersten Trump-Fans die Mauern des Kapitols hochzuklettern versuchten und damit Abziehbilder jener symbolhaften Schwarz-Weiß-Fotos produzierten, die die Erstürmung der US-Botschaft in Teheran 1979 festhalten, sprach der Demokrat Chuck Schumer im Senat die fatale Wirkung an, die das unwürdige Ringen um das Wahlergebnis in die Welt sendet. "Während wir hier reden, sind die Augen der Welt auf diese Kammer gerichtet", sagte der Senator, der sich nach den demokratischen Erfolgen bei der Stichwahl in Georgia bald Mehrheitsführer nennen darf. "Welche Botschaft werden wir an Demokratien senden, die noch in der Entwicklung begriffen sind und unsere Verfassung studieren? Die unsere Gesetze und Traditionen nachahmen, in der Hoffnung, ebenfalls ein Land aufzubauen, das im Konsens mit den Regierten geführt wird?"

Sicher ist, welche Nachricht nach der Randale im Kapitol bei jenen ankam, die ihre Länder weniger durch Konsensbildung denn durch autoritäre Machtausübung führen: Der türkische Parlamentspräsident, den die AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan stellt, veröffentlichte ein Statement, in dem die Türkei ihre Besorgnis über die Entwicklungen in den USA zum Ausdruck brachte, beide Seiten zur Ruhe aufrief und eine rechtsstaatliche Lösung der innenpolitischen Probleme anmahnte. Formulierungen, die fast wortgleich ungezählte Male vom US-Außenministerium in Statements versendet wurden, wenn in einem der von Trump "shithole-countries" genannten Staaten politische Unruhen ausbrachen.

Chinas Machthaber ziehen den Vergleich mit den Protesten in Hongkong

Ähnlich hämisch echote das Regime in Venezuela frühere US-Stellungnahmen, als es die "Spirale der Gewalt" verurteilte. Chinas Regierung begnügte sich hingegen nicht damit, den Rivalen ein wenig zu trollen - hier wurden die Entwicklungen rasch ins eigene Narrativ gepresst. Eine Sprecherin des Außenministeriums zog eilig Parallelen zu den Protesten in Hongkong: Der Mob, der das Kapitol erstürmte, sei mit den Aktivisten zu vergleichen, die sich in der früheren britischen Kronkolonie im vergangenen Jahr Straßenschlachten mit der Polizei geliefert haben.

Den Unterschied, dass sich die Randalierer von Washington gegen eine demokratische Wahl stellten, während die Hongkonger für demokratische Wahlen kämpften, erwähnte die Sprecherin natürlich nicht - sie nutzte die Gelegenheit lieber für ein Loblied auf die eigenen Sicherheitskräfte: Obwohl die Geschehnisse in Hongkong "heftiger" gewesen seien, habe es dort keine Toten gegeben.

Auch Russland und Iran erkannten die Chance für ihre Staatspropaganda. Während Moskau jedoch nur das Wahlsystem der USA als "archaisch" und "nicht heutigen demokratischen Standards" entsprechend titulierte, nutzte Irans Präsident Hassan Rohani die Vorkommnisse zu einer Abrechnung mit dem westlichen Demokratiemodell an sich: Sie zeigten, wie "schwach und erschlafft" es sei.

Dass Trump und seine Anhänger letztlich scheitern mussten mit ihren Versuchen, das Wahlergebnis auf den Kopf zu stellen, lag für viele Twitter-Nutzer aus Iran und anderen Ländern auf der Hand: Ohne eine US-Botschaft in der Hauptstadt klappe so etwas eben nicht.

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