USA:Warum radikale Politiker den US-Wahlkampf dominieren
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Trump, Cruz, Sanders: Zu Beginn der US-Vorwahlen liegen die Kandidaten mit den extremsten Ansichten gut im Rennen. Das haben sich die Parteien selbst eingebrockt.
Analyse von Nicolas Richter, Washington
Aus europäischer Sicht ist schwer zu begreifen, was gerade in Amerika geschieht. Kurz vor Beginn der Vorwahlen an diesem Montag in Iowa legen Umfragen nahe, dass radikale Politiker die ersten Abstimmungen gewinnen und, wenn es dumm läuft, sogar das Weiße Haus erobern könnten. Bei den Republikanern führen Donald Trump, der gegen Ausländer hetzt und Rivalen beschimpft, sowie der US-Senator Ted Cruz, der im Parlament einmal einen Aufstand gegen das Budget angezettelt hat, der beinahe zur Staatspleite geführt hätte. Trump liegt landesweit bei 35 Prozent, Cruz bei 20, der moderate Marco Rubio bei zehn.
Unter Demokraten wächst derweil die Begeisterung für Bernie Sanders, der sich einen "demokratischen Sozialisten" nennt und das Vermögen in einem Ausmaß umverteilen will, wie es das Land noch nie erlebt hat. In Iowa liegt er mit der demokratischen Favoritin Hillary Clinton fast schon gleichauf, in New Hampshire sogar 15 Prozentpunkte vor ihr. Viele Amerikaner bevorzugen gerade jene Bewerber, die alle bisherigen Spielregeln missachten.
Der Aufstieg von Trump, Cruz und Sanders hat einen gemeinsamen Nenner: Menschen beachten Spielregeln nur so lange, wie sie das Spiel akzeptieren. In den USA aber habe viele Bürgerinnen und Bürger jede Achtung vor dem Spiel verloren - also vor der Art, wie in Washington regiert wird und wie Geld und Macht im Land verteilt sind. Sie sehnen sich nicht nur nach einem neuen Staatsoberhaupt, sondern nach einem neuen Spiel; deswegen verehren sie jene, die neue Regeln verheißen.
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Trump und Sanders geben sich als Anwälte des Volkes gegen die verhasste Elite
Man erkennt dies etwa an Übereinstimmungen zwischen Trump und Sanders: Beide gelten als Männer, die "sagen, wie es ist", die also ehrlich zu sein scheinen. Trump bemängelt Schwäche und Inkompetenz in Washington, Sanders die wirtschaftliche Ungleichheit. Mehr noch aber verbindet den Geschäftsmann und den US-Senator, dass sie als unbestechlich gelten. Trump, weil er Milliardär ist, Sanders, weil er das große Geld verachtet. Schließlich ähneln sich Trump und Sanders in ihrem zornigen Ton, sie klingen wie ihre Wähler, die sich nichts mehr bieten lassen wollen; beide geben sich als Anwälte des Volkes im Kampf gegen die verhasste Elite, gegen das "Establishment" aus Parteien, Medien und Konzernen.
Amerikas Wähler (durchaus auch jene, die sonst nie wählen und es diesmal wollen) äußern immer wieder den Verdacht, dass das System "manipuliert" sei. Demnach erteilt das Volk seinen Vertretern zwar einen klaren Auftrag; kaum sind die Politiker aber in Washington, schmieden sie faule Kompromisse, lassen sich von der Banken- und Industriewelt die Gesetze diktieren, kuschen vor ausländischen Mächten und kämpfen allein dafür, möglichst lange ihr Mandat zu behalten.
Beide Parteien haben die Stimmung angefacht, der sie nun zum Opfer fallen. Die Republikaner versprechen seit Jahrzehnten, den Staat zu verkleinern, ohne es je zu tun. In ihrer Abneigung gegen Präsident Barack Obama haben sie das Land seit 2008 überdies gründlich kaputtgeredet: Mit ihrem rechten Haussender Fox News haben sie einen Niedergang und Ansehensverlust Amerikas beschworen, den etliche Wähler inzwischen für echt halten.
Die Demokraten wiederum versprechen immer wieder, Amerikas Arbeiter vor der Globalisierung zu schützen, können das Versprechen aber nicht halten. Außerdem haben sie sich viel zu früh allein auf die Kandidatin Clinton festgelegt - trotz ihrer Nähe zum großen Geld, ihrer Angewohnheit, Sonderregeln zu beanspruchen und Kritik als unerhört abzutun. Clinton offenbart, warum Erfahrung nicht mehr als Stärke gilt. Zwar ist ihre Sachkenntnis unbestritten. Aus Sicht etlicher Wähler aber verblasst dies im Lichte ihrer Fehlurteile (das Ja zum Irak-Krieg etwa) und dem Verdacht, dass sie vor allem darin erfahren ist, wie man das System zum eigenen Vorteil nutzt, indem man das Geld großer Konzerne einsteckt.
Die Republikaner scheinen sich mit Trump abzufinden
Bei den Republikanern haben es die Moderaten versäumt, den Radikalen zu widersprechen, sie haben ihre Partei praktisch ohne Widerstand von Trump kapern lassen. Gemäßigte wie Jeb Bush und Marco Rubio schwächen sich gegenseitig und schonen Trump, aus Angst, seine Anhänger zu verärgern. Die führungslose Partei scheint sich bereits in einer Mischung aus Fatalismus und Opportunismus mit Trump abzufinden. Bei den Demokraten wiederum herrscht so viel Clinton-Müdigkeit und eine solche Verzückung über den grantigen Großvater Sanders, dass kaum jemand die Frage zu stellen scheint, wer all seine Wohltaten bezahlen soll und ob auch nur einer seiner Vorschläge vom US-Kongress gebilligt würde.
Es ist zu früh, Trump oder Sanders zu Siegern auszurufen: Besonders im ländlichen Iowa sind die Wähler sehr unberechenbar. Wenn in diesem Jahr überhaupt noch eine Regel gilt, dann diese: Sag niemals nie.