US-Kongress:Wie auf dem Schulhof

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"Lässt uns im Rest der Welt wie Idioten aussehen": Immer wieder streiten sich Demokraten und Republikaner im US-Kongress so lange, bis eine Haushaltssperre droht. (Foto: Andrew Harnik/AP)

In letzter Minute einigen sich Demokraten und Republikaner im Haushaltsstreit und verhindern so, dass der Regierung das Geld ausgeht. Doch schon in zwei Wochen droht die nächste Krise.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es gibt diese Schulhofrangeleien, bei denen man schon vorher weiß, dass sie nicht gut ausgehen werden - und die man dennoch anfängt. Vielleicht, weil die Jungs aus der Parallelklasse schon länger ein paar Backpfeifen verdient haben. Weil die Mitschüler einen anfeuern. Weil da jemand ist, der oder dem man imponieren möchte.

Das Theater um den Haushalt, die mögliche Zwangsschließung wichtiger Bundesbehörden und die Erhöhung der Staatsschuldengrenze, das der US-Kongress diese Woche einmal mehr aufführte, ist gewissermaßen die parlamentarische Variante dieses Pennälergezänks: Obwohl die regierenden Demokraten wie auch die oppositionellen Republikaner aus jahrzehntelanger Erfahrung wissen, dass die Bürger am Ende nicht die jeweils andere Partei, sondern die Politik insgesamt für das Hin und Her, für mögliche Aktiencrashs und einen Stillstand der Regierungsarbeit verantwortlich machen, konnten sie sich das beinahe rituelle Gebalge auch diesmal nicht verkneifen. Erst wenige Stunden vor Beginn des neuen Haushaltsjahres am Freitag um 0.00 Uhr Ostküstenzeit verständigten sie sich auf einen Kompromiss.

Das Problem ist damit aber nur vertagt, denn das verabschiedete Überbrückungsgesetz sichert die Finanzierung aller Regierungsaufgaben lediglich bis zum 3. Dezember. Danach beginnt das Spiel von vorne.

Immerhin: Ohne die Einigung im Kongress hätten Präsident Joe Biden und sein Kabinett von Mitternacht an kein Geld mehr ausgeben dürfen, um Hunderttausende Mitarbeiter und Dienstleister zu bezahlen. Viele Ämter wären geschlossen, viele Beschäftigte entlassen worden. Staatsbedienstete in "essenziellen" Bereichen hätten zwar weiterarbeiten müssen, aber kein Gehalt mehr bekommen - und das obwohl das Finanzministerium noch über genügend Steuer- und Kreditmittel verfügt.

Die Haushaltsberatungen sind Nährboden für Gezänk und Taktiererei

Warum aber kommt es überhaupt zu einem solchen Gerangel? Anders als etwa der Deutsche Bundestag verabschiedet der Kongress keinen Gesamthaushalt, der mit Beginn des Fiskaljahres am 1. Oktober in Kraft träte. Vielmehr wird der Etat in zwölf nach Aufgabenbereichen geordnete Bewilligungsgesetze aufgespalten, die jeweils von Senat und Repräsentantenhaus beschlossen und vom Präsidenten unterzeichnet werden müssen. Die Beratungen darüber sind der ideale Nährboden für Parteiengezänk und Taktiererei - mit dem Ergebnis, dass bis zu diesem Donnerstag, dem letzten Tag des alten Haushaltsjahres, kein einziges fertiges Gesetz vorlag.

Dass es immer wieder zum Showdown kommt, liegt daran, dass Demokraten wie Republikaner die Arbeit am Haushalt gern nutzen, um die jeweils andere Partei möglichst in ein schlechtes Licht zu rücken. Aus Sicht der Opposition ist eine drohende Zwangsschließung vieler Behörden Beleg dafür, dass die Regierung unfähig ist. Umgekehrt wissen die Regierenden, dass das Gros der Bürger bei einem "Shutdown" nicht nur sie selbst, sondern auch die Opposition in Mithaftung nimmt. Sie nutzen deshalb die Zeitnot ihrerseits, um Dinge im Etat oder im Überbrückungsgesetz zu verankern, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. Am Ende ist es oft das, was die Amerikaner ein chicken game nennen: Zwei Autos rasen auf einen Abgrund zu, und es gewinnt der Fahrer, der als letzter aus dem Wagen springt.

Ergebnis ist, dass es seit 1976 fast zwei Dutzend Mal zu einem Finanzierungsengpass kam, der aber meist binnen Stunden oder wenigen Tagen behoben wurde. Viermal jedoch schlossen die Behörden tatsächlich länger, Millionen Beschäftigte wurden entlassen oder mussten unbezahlt weiterarbeiten. Der längste "Shutdown" war der von Ende 2018/Anfang 2019, als der damalige Präsident Donald Trump versuchte, dem Kongress Milliarden für den Bau einer Mauer an der amerikanisch-mexikanischen Grenze abzupressen. Nach insgesamt fünf Wochen gab er auf.

Finanzministerin Yellen warnt, das Land könne in eine "katastrophale" Lage geraten

In diesem Jahr waren es die Demokraten, die vergeblich versuchten, das Überbrückungsgesetz zweckzuentfremden. Ziel war es, eine Klausel zu verankern, mit der das Staatsschuldenlimit von derzeit 28,4 Billionen Dollar (24 Billionen Euro) angehoben wird. Hintergrund sind Warnungen von Finanzministerin Janet Yellen, wonach das Land ohne Erhöhung der Grenze vom 18. Oktober an keine Kredite mehr aufnehmen dürfte und in eine "katastrophale" Lage geraten könnte.

Folge wäre eine Art vorübergehender Bankrott, denn die USA benötigen neue Darlehen, um Gehälter und Rechnungen zu bezahlen und ihren bisherigen Geldgebern - Investmentfonds, Privatbürgern, ausländischen Regierungen - vertraglich vereinbarte Zins- und Tilgungszahlungen zu überweisen. Gelänge das nicht mehr, müsste die Regierung auch gesetzlich fixierte Sozialleistungen kappen. Zudem wäre das Vertrauen in den weltweit wichtigsten Emittenten von Staatsanleihen erschüttert, mit der Folge, dass das Land Investoren fortan womöglich höhere Zinsen bieten müsste als eigentlich nötig.

Die Republikaner verweisen zu Recht darauf, dass das Schuldenlimit auch ohne ihre Mithilfe erhöht werden kann - freilich mit der Folge, dass sie die Regierung Biden mit ihren billionenschweren Sozial- und Infrastrukturplänen in der Folge als unverantwortliche Schuldenmacher diskreditieren würden. Die Demokraten möchten deshalb ihrerseits die Opposition mit in die Verantwortung nehmen: Sie erinnern - ebenfalls zu Recht - daran, dass das Land die Schuldengrenze ja nicht wegen künftiger, sondern wegen früherer Ausgaben erreichen wird. Dabei spielen die parteiübergreifend beschlossenen Corona-Hilfspakete ebenso eine Rolle wie Trumps teure Steuerreform von 2017.

So oder so: Sofort nach Verabschiedung des Überbrückungsgesetzes begannen einmal mehr die öffentlichen Schuldzuweisungen. Während die Republikaner den Demokraten vorwarfen, einen Kompromiss ohne Not lange verhindert zu haben, klagte der demokratische Senator Patrick Leahy, die Opposition gefährde mit dem Nein zu einer Erhöhung der Schuldengrenze unzählige Arbeitsplätze. Das ganze Theater, so Leahy, "lässt uns im Rest der Welt wie Idioten aussehen". Das immerhin dürfte eine der wenigen Analysen sein, der Anhänger von Demokraten wie Republikanern in der US-Bevölkerung unisono zustimmen können.

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