Süddeutsche Zeitung

USA: Sarah Palin:Stolz darauf, nichts zu kapieren

Sarah Palin wird niemals US-Präsidentin - sie ist nicht einmal zur Praktikantin geeignet. Dennoch ist sie eine Gefahr für die amerikanische Demokratie. Eine gute und eine schlechte Nachricht für alle Europäer, die Angst vor ihr haben.

John Hulsman

John Hulsman, 41, Mitglied des Council on Foreign Relations in Washington ist Senior Research Fellow am Centre for Strategic Studies in Den Haag.

Vor kurzem hatte ich ein Erlebnis, allerdings nicht zum ersten Mal. Ich saß in einem gemütlichen Kaffeehaus, zusammen mit ein paar intelligenten und wohlmeinenden Europäern. Nachdem die Höflichkeiten ausgetauscht waren, sagten sie sehr unverblümt, also sehr uneuropäisch: "Was Sarah Palin betrifft - haben die Amerikaner jetzt völlig den Verstand verloren?"

Ich will es erklären. Ich verstehe vollkommen, dass Sarah Palin all das verkörpert, was Europäer verachten. Sie ist selbstgenügsam, kess, zungenfertig, simpel, offen religiös, gierig und oberflächlich. Wenn Europäer einen schlechten Tag haben, dann finden sie: Palin ist genau das, was aus Amerika geworden ist. Und nun sorgen sie sich, die Frau könnte irgendwie zur Präsidentin des mächtigsten Landes der Welt gewählt werden.

Zuerst die gute Nachricht...

Jeder darf durchatmen, sämtliche Meinungsumfragen kommen zu dem Schluss: Sie wird niemals Präsidentin sein. Ein Viertel bis ein Drittel der konservativen Basis der Republikaner bewundert sie fanatisch, aber zwei Drittel der Amerikaner sind der Ansicht, dass sie die Fähigkeiten dazu nicht hat. Sogar eine Mehrheit der Tea-Party-Bewegung - ihre natürliche Wählerschaft eigentlich - denkt, dass sie das Weiße Haus nicht besetzen sollte. Anders gesagt, viele Menschen mögen Sarah Palin, aber sie soll weiß Gott nicht in die Nähe der Atom-Codes.

Etwas Schlimmeres für Palin kommt hinzu: Sie löst ebenso viel Hass wie Liebe aus. Ihre Negativwerte (das heißt die Zahl der Wähler, die unter keinen Umständen für sie stimmen würden) sind mit Abstand die höchsten unter allen möglichen Präsidentschaftskandidaten; im Vergleich zu ihnen sind die Negativwerte des gegenwärtigen Präsidenten winzig.

Sicher ist Palin eine aussichtsreiche, furchteinflößende Kandidatin für die Vorwahlen der Republikaner - und imstande, frühe Abstimmungen in konservativen Gegenden wie Iowa und South Carolina zu gewinnen. Die endgültige Nominierung aber könnte sie nur gegen ein schwaches Konkurrentenfeld gewinnen. Und selbst dies würde keine Welle für sie bedeuten. Sie wäre lediglich das Vorspiel für einen Triumph von Präsident Obama im Ausmaß von Reagans Sieg 1984 gegen Mondale oder von Nixon 1972 gegen McGovern. Sarah Palin kann die Republikanische Partei zerstören, indem sie antritt - aber sie kann nicht die Präsidentenwahl gewinnen.

Wenn man ihre schüchternen Statements dazu hört, darf man vermuten: Sie weiß das. Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass sie sich dazu entschließt, Maklerin der Macht zu sein. Die Patin der Rechten will sie sein, deren Segen jeder Kandidat brauchen wird. Sollten ihre Wünsche und Personalvorstellungen nicht übernommen werden, wird sie einen gemäßigten Republikaner von rechts sabotieren. Dies wird die Partei dazu verdammen, in der Außenpolitik neokonservativ und in der Innenpolitik nicht wahrnehmbar zu sein.

Das ist schon beängstigend genug. Und nun die schlechte Nachricht...

Dieses Palin-Syndrom ist in zweierlei Weise erschreckend. Zum einen würde es zum ideologischen Triumph einer Politikerin beitragen, die nichts kapiert - und darauf auch noch stolz ist. Wie viele Schwindler in der amerikanischen Geschichte, so steuert auch Palin in gefährliche antiintellektuelle Gewässer. Als sie während ihrer Kandidatur als Vizepräsidentin 2008 von den (zugegebenermaßen eher linken) Mainstream-Medien bei Unsinn und einigen Skandalen ertappt wurde, rettete Palin sich, indem sie ihre Peiniger angriff: "Diesen schicken, elitären, linken Medientypen geht es doch nur darum, mich auf außenpolitische Fragen abzuklopfen. Als ob es darauf ankäme! Es zählt nur, authentisch und einer von den Leuten zu sein, die zu Wal-Mart gehen."

Sie mag sich noch so sehr in die amerikanische Fahne hüllen - Palin versteht nicht das Wesen der amerikanischen Republik. Wir sind keine Athener, wir haben nicht die Sorte von reiner Demokratie, in der jeder direkt über die China-Politik und die Schwankungen unserer Währung befindet. Gott sei Dank. Stattdessen wählen wir Bürger, die zwar keine abgehobene Elite sind, aber doch auch keine Durchschnitts-Amerikaner. Es handelt sich eher um die Besten von uns, die aufgrund jahrelanger Studien und Praxis das Komplexe der Welt verstehen.

Man kann ja von den Gründervätern wie Hamilton, Adams, Washington, Jefferson und Madison halten, was man will. Sie waren Giganten, die ihre Pflichten gegenüber ihren Landsleuten mit dem größtmöglichen Ernst erfüllten. Aber nicht eine Sekunde lang gaben sie vor, Durchschnittstypen zu sein. Und das war für die Republik ein Segen.

Sarah Palin, ob man sie liebt oder hasst, eignet sich nicht einmal zur Praktikantin im State Department. Was immer sie sich wünschen mag: Wer in diesen Zeiten Präsident(in) werden will, braucht zum Beispiel ein Grundverständnis der Stammesstruktur von Afghanistan. Das ist unabdingbar. Wenn man den ideologischen Würgegriff berücksichtigt, in dem sie ihre Partei womöglich hält, kann dieser Mangel an Einsichtsfähigkeit verhängnisvoll sein.

Was zu dem zweiten Grund führt, weshalb die Palin-Manie so sehr Angst macht. Für kein demokratisches System ist es gut, wenn die Opposition nur von ihren schlimmsten Instinkten beherrscht wird. Repräsentative Systeme funktionieren am besten, wenn es eine loyale, aber kraftvolle Opposition gibt, die den Machthabenden permanent auf den Fersen ist. Wenn man sich Obamas Angewohnheit betrachtet, Geld auszugeben wie ein betrunkener Matrose, dann ist das traditionelle Verlangen der Republikaner nach einer kleineren, verantwortungsvolleren Regierung ein Anliegen, das Gehör verdient.

Tatsächlich dürften die Demokraten bei den Kongresswahlen im Herbst Prügel beziehen - das Repräsentantenhaus wird wohl unter die Kontrolle der Republikaner fallen, was für das Weiße Haus ein massives Misstrauensvotum bedeuten wird. Aber Palin hat die Partei insofern im Griff, als es dort keinen Politiker von Rang gibt, der sich nicht zumindest verbal hinter ihren Unsinn stellt - und daher niemand in der Lage ist, es Obama wirklich schwer zu machen. Das aber würden sowohl der Präsident als auch das Land brauchen.

Und das ist der wahre Grund, warum Sarah Palin so beängstigend ist.

Übersetzung: Detlef Esslinger

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Quelle:
SZ vom 31.07./01.08.2010/jab
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