Remington gehört zu den bekanntesten Gewehrfabrikanten in den USA - und wohl bald zu den verrufensten. Soeben hat die Firma einen Vergleich abgeschlossen mit Angehörigen des Amoklaufs an der Sandy-Hook-Grundschule in Newton im US-Bundesstaat Connecticut. Ein 20-Jähriger hatte im Dezember 2012 an der Grundschule 20 Erstklässler und sechs Lehrerinnen erschossen. Seine Mutter und sich selbst brachte er ebenfalls um. Die meisten Schüsse feuerte er aus einer halbautomatischen Waffe des AR-15-Modelltyps der Remington-Tochter Bushmaster, die seiner Mutter gehörte: 156 Schuss innerhalb von fünf Minuten. Die meisten Opfer traf er mit mehreren Schüssen.
Der Amoklauf erschütterte das Land der Waffennarren, Präsident Barack Obama gelobte in einer emotionalen Rede, die Vorschriften zu verschärfen. Die Pläne schafften es nie durch den Kongress.
USA:15-Jähriger erschießt drei Mitschüler
Der Jugendliche soll am Dienstagmittag in seiner Highschool im US-Bundesstaat Michigan das Feuer eröffnet haben. Sieben weitere Schüler und eine Lehrerin wurden verletzt. Der Junge befindet sich in Gewahrsam.
Nun haben die Angehörigen von neun der Kinder und vier der erwachsenen Opfer möglicherweise einen anderen Hebel gefunden, um der Waffenindustrie Grenzen aufzuerlegen. Sie erhalten mit dem Vergleich eine Abgeltung von insgesamt 73 Millionen Dollar, wie sie am Dienstag mitteilten. Es dürfte sich um die höchste je von US-Waffenherstellern geleistete Abfindung handeln.
"Skrupellose Marketing-Taktiken, die gefährdete und gewaltbereite junge Männer ansprachen"
Die Firma Remington erkennt bei dem Vergleich keine Verantwortung an. Sie ist außerdem im vergangenen Jahr pleitegegangen, die Abfindung wird nun von ihren vier Versicherungen bezahlt. Es sei wichtig, dass der Betrag hoch ausgefallen sei, sagte Josh Koskoff, der Anwalt der Familien: "Es musste ein Betrag sein, der die Aufmerksamkeit dieser Industrie weckt, der Versicherungen und der Banken."
Das ist den Angehörigen zweifelsohne gelungen. Sie hatten ihre Klage gegen Remington bereits 2014 eingereicht. Nach Prozessen bis vor das Oberste Gericht von Connecticut unterbreitete Remington im vergangenen Sommer noch ein Angebot, das mit 33 Millionen Dollar weniger als halb so hoch war wie der jetzige Vergleich.
Mindestens ebenso wichtig ist indes der zweite Teil des Vergleichs. Die Angehörigen dürfen Tausende interne Dokumente von Remington veröffentlichen, zu denen sie sich Zugang erstritten haben. Die Unterlagen sollen belegen, dass die Industrie ihre Waffenverkäufe auf problematische Art zu steigern versuchte, wie Nicole Hockley sagte, die Mutter eines der getöteten Sechsjährigen. "Die Firma benutzte skrupellose Marketing-Taktiken, die gefährdete und gewaltbereite junge Männer ansprachen", sagte Hockley. "Das Marketing zielte auf jene, die furchteinflößender, mächtiger und männlicher daherkommen wollen mit ihrer AR-15."
Anwalt Koskoff schilderte eine der Werbeaktionen als Aufforderung der Remington-Tochter Bushmaster, die E-Mail-Adresse von Freunden zu melden, die "kein Mann" seien, weil sie keine Bushmaster-Waffe besäßen.
Es waren gerade solche Marketing-Taktiken, die es den Angehörigen erlaubten, die Verteidigung des Waffenherstellers zu knacken. Eigentlich schützt ein Bundesgesetz aus der Zeit von George W. Bush die Industrie vor Klagen Angehöriger von Schusswaffenopfern. Indem sie ein Verbraucherschutzgesetz von Connecticut heranzogen und die Firmen für ihr Marketing rügten, fanden die Angehörigen des Sandy-Hook-Amoklaufs jedoch einen Weg, diesen Schutz auszuhebeln.
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Verschärfungen umzusetzen, bleibt schwierig
Nun wollen sie die Waffenindustrie an den Pranger stellen und nachweisen, dass diese genau Bescheid wusste darüber, was sie mit ihren aggressiven Werbepraktiken anrichtete - analog zur erfolgreichen Kampagne gegen die Tabakindustrie in den Neunzigerjahren. Inwiefern diese Blaupause nun auf die Waffenindustrie übertragbar ist, bleibt vorerst offen. Nur in wenigen Staaten wie New York und Kalifornien ist die Gesetzeslage vergleichbar mit der in Connecticut.
Politisch sind Verschärfungen weiterhin schwierig umzusetzen. Der Bundesstaat Maryland etwa hat viele halbautomatische Waffen verboten, zivile Versionen von Sturmgewehren wie die AR-15. Diese Waffen gehören zu den beliebtesten Gewehren in den USA, viele lassen sich mit Magazinen ausrüsten, die bis zu 100 Schuss fassen.
Gegen Marylands Verbot ist jedoch eine Klage vor dem Supreme Court anhängig, worüber er in den kommenden Monaten entscheiden dürfte. Mehrere andere Staaten haben diese Woche das Oberste Gericht aufgefordert, das Gesetz aufzuheben, weil es gegen das Recht auf Waffenbesitz in der US-Verfassung verstoße. Und in von den Republikanern dominierten Staaten werden die Gesetze ohnehin nicht verschärft, sondern eher gelockert.
Präsident Joe Biden bezeichnete den Vergleich mit Remington am Dienstagabend als "historisch" und als Beginn der Arbeit, "die Waffenhersteller zur Verantwortung zu ziehen dafür, dass sie Kriegswaffen produzieren und dies auf unverantwortliche Weise bewerben". Er forderte den Kongress auf, tätig zu werden. Seine Demokraten machen jedoch keinerlei Anstalten, die Waffenvorschriften ausgerechnet in einem Zwischenwahljahr anzutasten.