USA, Russland und Spionage:Mata Hari der Moderne

Ein russischer Agentenring, eine rothaarige Femme fatale als Spionin und jetzt auch noch ein Gefangenenaustausch wie im Kalten Krieg: Die zehn mutmaßlichen Spione werden abgeschoben, im Gegenzug lässt Moskau offenbar vier Häftlinge frei.

Barbara Vorsamer

Rastlose Existenzen, glamouröse Abenteuer und trockene Martinis an Hotelbars? Nein, so war es nicht, das Leben, das die angeblichen russischen Spione in den USA führten. Es waren unauffällige, biedere Existenzen in amerikanischen Vororten. Donald Heathfield, der Unternehmensberater und seine Frau Tracey Foley, Immobilienmaklerin, lebten in Boston. Natalia Perevereza und Mikhail Kutsik wohnten und arbeiteten unter anderem Namen in Alexandria. Ende Juni wurden sie und sechs weitere Personen verhaftet - als mutmaßliche russische Spione.

Anna Chapman

Erotische Internet-Fotos von Anna Chapman heizen Spekulationen über ihre angebliche Spionagetätigkeit an.

(Foto: ap)

Auch Anna Chapman gehörte dazu, eine lebensfrohe, 28-jährige Immobilienmaklerin. Ihretwegen geht Boulevardjournalisten in aller Welt gerade die Phantasie durch: Wenn eine kurvige Rothaarige, von der es erotische Fotos im Netz gibt, Spionin sein soll, fallen jedem, der einen James-Bond-Film gesehen hat, einige Geschichten ein.

Garniert mit täglich neuen Zitaten von Ex-Liebhabern über ihre sexuellen Vorlieben und dem immer gleichen Foto von Chapman auf dem Bett wird die "Agentin Null-Null-Sex" (Bild-Zeitung) derzeit zu einer modernen Mata Hari hochstilisiert. Welche Informationen sie jedoch tatsächlich bekommen hat, ob sie dafür ihre weiblichen Reize oder womöglich sogar Sex eingesetzt hat und ob sie innerhalb des russischen Spionagerings überhaupt eine wichtige Rolle hatte, ist unbekannt.

So einiges ist mysteriös an der ganzen Angelegenheit, die nicht nur entfernt an Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Wieso spioniert das moderne Russland überhaupt noch, in Zeiten, wo die akademisch-politischen Kreise in den USA eigentlich jedem offenstehen? Die Washington Post glaubt, eine Erklärung dafür gefunden zu haben: eine anhaltende "KGB-Paranoia". Der russische Geheimdienst gehe davon aus, dass Berichte, die öffentlich einsehbar sind, einen geheimen Anhang haben und dass hinter der Offenheit von Institutionen, die auch Ausländer willkommen heißen, ein sinisteres Motiv steckt. Doch auch das ist nur Spekulation - wie so vieles an diesem Fall.

Mutmaßliche Spione bekennen sich schuldig

Am Donnerstag, wenige Tage, nachdem das FBI den angeblichen Spionagering hochgehen ließ, hieß es dann, die USA und Russland verhandelten über einen Austausch von Agenten. Eine offizielle Bestätigung dafür gab zunächst nicht. "Das Justizministerium und das Außenministerium verweisen nur aufeinander", schrieb die Post frustriert.

Die Quelle für das Gerücht war Anna Stawitskaja, die Anwältin des russischen Wissenschaftlers Igor Sutjagin. Sutjagin saß seit 2004 in einem russischen Gefängnis, weil ihm Verrat und Spionage vorgeworfen werden. Am Donnerstag nun soll er übereinstimmenden Agenturberichten zufolge freigelassen und nach Wien ausgeflogen worden sein.

Indes bekannten sich in den USA am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) die zehn mutmaßlichen Spione vor Gericht schuldig. Ihrer Abschiebung steht damit nichts mehr Wege: Die mutmaßlichen Agenten würden mit sofortiger Wirkung ausgewiesen und dürften nie wieder versuchen zurückzukehren, sagte ein Richter in New York.

Amerika und Russland stehen nun offenbar vor dem möglicherweise größten Agentenaustausch seit dem Kalten Krieg: Moskau wird nach Angaben der US-Regierung im Austausch gegen die zehn russischen Spione vier Häftlinge freilassen. Um wen es sich handelt, war zunächst unklar. Es gehe um vier Personen, die wegen Kontakts zu westlichen Geheimdiensten verurteilt worden waren, verlautete lediglich aus den USA.

Neben dem Physiker Sutjagin sind wohl noch drei weitere Ex-Agenten im Gespräch: Alexander Saporoschskij, ein ehemaliger Geheimagent, der nach einem Amerika-Aufenthalt in Russland zu 18 Jahren verurteilt wurde, Alexander Sypatschow, der wegen Spionage für die CIA 2002 acht Jahre Gefängnis bekam, sowie Sergej Skripal, ebenfalls ein Ex-Agent des Militärnachrichtendienstes GRU, der für Großbritannien spioniert hat, zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde und in russischen Geheimdienstkreisen als Superagent gilt. Amerikaner, die in Russland wegen Spionage verurteilt wurden, finden sich in russischen Gefängnissen übrigens nicht.

Der Wissenschaftler Igor Sutjagin, der vierte mögliche Austausch-Agent, arbeitete als Waffenkontrollanalyst bei einem amerikanischen Institut in Moskau. 1999 wurde er verhaftet, weil er Informationen über Atom-U-Boote und Raketenwarnsysteme an eine britische Firma weitergegeben haben soll, die mit der CIA zusammenarbeitete. 2004 verurteilte ihn ein russisches Gericht zu 14 Jahren Haft.

Seltsame Verhaltensweisen

Seitdem setzen sich internationale Menschenrechtsgruppen für ihn ein, da sie ihn für unschuldig halten. Sie warfen dem FSB, dem russischen Inlandsgeheimdienst vor, mit der Verhaftung von Sutjagin nur Panik schaffen zu wollen, um seine weitere Existenz zu rechtfertigen. Sutjagins ehemaliger Arbeitgeber wiederum bestätigte US-Medien, dass sich der Forscher oft seltsam verhalten und Auslandsreisen ohne Absprache gemacht habe.

Sutjagin selbst bestritt die Vorwürfe - bis jetzt. Angaben seiner Anwältin Stawitskaja zufolge hat er nun ein Geständnis unterschrieben, um den Gefangenenaustausch zu ermöglichen. Er wolle damit den russischen Verdächtigen in den USA eine Gefängnisstrafe ersparen, ließ seine Familie verbreiten. Auch für ihn selbst sei es der einzige Ausweg aus der Gefangenschaft.

Für US-Präsident Barack Obama kommt die Verhaftung der Spionageverdächtigen zur Unzeit, schließlich ist er seit seinem Amtsantritt bemüht, das Verhältnis zwischen den USA und Russland zu entspannen. Nur wenige Tage vor dem Coup des FBI hatten sich Obama und sein russischer Gegenpart Dmitrij Medwedjew in Washington getroffen. Die Spionageaffäre gießt nun Wasser auf die Mühlen derer, die die Linie des Präsidenten gegenüber Russland für zu nachgiebig halten.

Auch der Austausch der Agenten könnte als Entgegenkommen interpretiert werden. Vor dem Mauerfall von 1989 waren solche Manöver zwischen Ost und West, oft auf der Glienicker Brücke zwischen Westberlin und Potsdam, nicht unüblich - jedoch meist erst, nachdem die Spione einen Teil ihrer Strafen abgebüßt hatten. Doch Obama wird einen raschen Agentenaustausch einem langwierigen Gerichtsprozess vorziehen, der die Verhältnisse womöglich über Jahre belasten könnte.

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