USA: Rice und die Folter:Der Präsident hat immer recht

Rice am Pranger: Die frühere Außenministerin spricht in Stanford über Folter - eine Studentin zeigt dies bei YouTube und leistet so einen größeren Beitrag zur Demokratie als Bush mit seiner ganzen Amtszeit.

W. Winkler

Voller Stolz präsentierte die Universitätsleitung die prominente Heimkehrerin. Schließlich hatte die Professorin ihre Frei-Semester nicht auf der faulen Haut verbracht, sondern richtige Politik gemacht. Acht Jahre lang, während zweier ganzer Amtszeiten durfte Prof. Dr. Condoleezza Rice, inzwischen 54, dem 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten zur Seite stehen, durfte ihm als Sicherheitsberaterin dienen und schließlich als Außenministerin seine Vorstellungen vom "Krieg gegen den Terror", von der "Achse des Bösen" und vom Kampf gegen die "Islamo-Faschisten" propagieren.

USA: Rice und die Folter: Zurück in Stanford: Die frühere Außenministerin Condoleezza Rice.

Zurück in Stanford: Die frühere Außenministerin Condoleezza Rice.

(Foto: Foto: AP)

Jetzt sollte sie an die Stätte ihres früheren Wirkens zurückkehren. Seit dem 1. März ist Rice am stockkonservativen Hoover-Institut der an sich liberalen Stanford University in Kalifornien tätig. Die Universitätsleitung hatte ihr ein "respektvolles Engagement" zugesagt, zu dem auch ein feierliches Abendessen gehörte, an dem zwanzig durch Los ausgewählte Studenten teilnahmen.

Sie sollten auch Fragen stellen dürfen, die jungen Menschen, aber diese bitte vorher einreichen. Schließlich ist man als Politiker bei öffentlichen Auftritten um eine bella figura bemüht. Zwar demonstrierten auf dem Campus ein paar Studenten, aber das musste die Festgesellschaft drinnen nicht kümmern.

Gut gelaunt ließ sich Ms. Rice noch durch das Wohnheim "Roble" führen, wo sie allerdings auf weitere Studenten stieß, die das respektvolle Verhalten einer weltbekannten Politikerin gegenüber einfach vergaßen.

Ohne Vorwarnung befragte sie ein Student nach der Folter, der sie im "Krieg gegen den Terror" zugestimmt habe. Condoleezza Rice wahrte zunächst noch die Fassung. Sie wies das Wort "Folter" zurück und betonte, dass alles nur zum Wohle des Landes geschehen sei. Im Übrigen habe sie nichts autorisiert, sondern "nur die Autorisierung der Regierung an die CIA weitergeleitet".

George W. Bush hat sich in seiner Amtszeit über internationales und nationales Recht, vor allem über die Menschenrechte hinweggesetzt und sich dabei immer mehr im Weißen Haus verschanzt. Condoleezza Rice war bis zuletzt wie ein treuer Bernhardiner an seiner Seite geblieben. Natürlich verteidigt sie ihn weiter, denn er war ihr Präsident, wie könnte er da etwas falsch gemacht haben.

Ungeschützt unter Studenten

"Definitionsgemäß kann etwas, das der Präsident autorisiert hat, nicht gegen unsere Verpflichtungen nach der Anti-Folter-Konvention verstoßen", erklärte sie. Wenn der Präsident es anordnet, dann ist es legal - klingt ebenso autistisch und diktatorisch wie es viele Amerikaner noch aus den dunklen Jahren der Watergate-Zeit in schlimmster Erinnerung haben. Von Gewaltenteilung, von den verfassungsmäßigen checks and balances scheint Condoleezza Rice noch nie gehört zu haben.

Auf der nächsten Seite: Frau Rice verliert die Beherrschung.

Rice bei YouTube

Schließlich verlor Ms. Rice doch die Beherrschung und wollte sich nicht mehr dringlicher befragen lassen, als es selbst ein Senatsausschuss gewagt hätte. Sie wies den zudringlichen Studenten barsch zurecht und fordert ihn auf: "Mach erst mal deine Hausaufgaben!"

So von oben herab redet möglicherweise ein deutscher Professor, aber kein amerikanischer, es sei denn, er hätte sich diese Umgangsformen als Mitglied einer Regierung angewöhnt, die alle Rücksichten auf demokratische Gepflogenheiten fahren ließ.

Diese entlarvende Begegnung zwischen der Macht und ihren Untertanen wäre nicht weiter aufgefallen, wenn die Wohnheim-Begehung am vorvergangenen Montag nicht gefilmt worden wäre. Die 19-jährige Studentin Reyna Garcia konnte so dokumentieren, was Ms. Rice von Demokratie hält. Die Studentin stellte das Video bei YouTube ins Netz, wo es seither ständig aufgerufen und leidenschaftlich diskutiert wird.

CNN und weitere Nachrichtensender brachten Ausschnitte, und die junge Zufallsreporterin wird immer wieder interviewt. Sie wirkt dann jedes Mal so ohne Arg, als wüsste sie gar nicht, wie ihr geschieht. Sie war ja nur dabei und hat staunend erlebt, wie sich die ehemalige Außenministerin um Kopf und Kragen redete.

Mit diesem Video hat Reyna Garcia einen größeren Beitrag zur Demokratie geleistet, als George W. Bush mit seiner ganzen Amtszeit. Barack Obama hat zwar Folter Folter genannt, aber gleichzeitig erklärt, dass unter seiner Regierung die für die Folter Verantwortlichen der Vorgänger-Regierung nicht zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Gegen diese pragmatische Entscheidung hilft nur eins, der moderne Pranger, also das Internet. Das indiskrete Video stellt wenigstens ansatzweise wieder die demokratische Gewaltenteilung her, die bei Bush, Cheney, Rumsfeld und Rice systematisch außer Kraft gesetzt wurde. Condoleezza Rice ist inzwischen ähnlich bloßgestellt wie die Ehebrecherin in dem Roman Der scharlachrote Buchstabe von Nathaniel Hawthorne.

Ihrem Vor-Vorgänger Henry Kissinger ist einst ein ähnliches Schicksal widerfahren. Auch Kissinger war ein brillanter, von seinen Studenten bewunderter und von seinen Kollegen beneideter Professor gewesen, doch verlor er durch seine innige Kollaboration mit dem Vietnam-Präsidenten Richard Nixon jeden akademischen und schließlich allen moralischen Kredit.

In Harvard konnte er sich nach dem Ende seiner politischen Laufbahn nicht mehr blicken lassen, ohne tätliche Angriffe fürchten zu müssen. In Stanford bildet sich bereits eine Protestbewegung mit dem Ziel, die ehemalige Außenministerin vom Campus fernzuhalten. Sie mag eine begnadete Pianistin sein, sogar einen gewissen Ruf als politische Wissenschaftlerin genießen, durch ihr Mitwirken in der Folter-Regierung ist sie diskreditiert.

Was Obama nicht kann, was Gerichte nicht schaffen werden, das ist Reyna Garcia und YouTube gelungen: Condoleezza Rice steht mitsamt der alten Regierung am Pranger.

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