SZ: Frau Hoppe, wer heutzutage reist, hat klare Vorstellungen. Der Blick sucht Dinge, die man erwartet hatte: Sehenswürdigkeiten und Klischees. Sie sind gerade auf den Spuren der Schriftsteller Ilf und Petrow durch Amerika gereist. Wie fanden Sie zu jenem naiven Blick, den man braucht, um ein Land wirklich zu erleben?
Felicitas Hoppe: Stalin herrschte über die Sowjetunion, als Ilf und Petrow ihren Reisebericht "Das eingeschossige Amerika" veröffentlichten. Indem wir ihnen nachgereist sind, wollten wir das heutige Verhältnis der USA zu Russland und Europa ausloten. Ein so vermessener wie naiver Anspruch. Aber unser politisches Denken funktioniert nach wie vor auf einer Ost-West-Achse.
Dabei ist unser Blick heute selbstverständlich durch ganz andere mediale Bilder geprägt. Fast jeder war schon mal in den USA. Ilf und Petrow dagegen waren 1935 Erstreisende, sprachen kaum Englisch, ihr Blick war faszinierend naiv und klug zugleich. Und natürlich von sowjetischen Bildern geprägt, also auch von Klischees. Wenn ich reise, versuche ich vor allem, diese typisch europäisch-intellektuelle Distanz aufzugeben, zugunsten einer Unmittelbarkeit, die mir die Dinge nah kommen lässt.
Und was ist das Ergebnis Ihrer literarischen Feldforschung?
Es gibt Bilder, die unser Projekt erstaunlich gut illustrieren, etwa als wir am Grand Canyon ankamen: Dieser riesige Abgrund - und zeitgleich liefen im Fernsehen die Bilder von Obama und Putin, die sich beim UN-Gipfel treffen und ebenso weit voneinander entfernt scheinen wie die beiden Seiten der Schlucht. Imperien schauen sich an: nach wie vor eine unüberbrückbare Distanz.
Satirische Sowjets:Unterwegs im Amerika der 30er Jahre
Auf den Spuren der sowjetischen Autoren Ilja Ilf und Jewgeni Petrow, die für die Zeitung "Prawda" die USA besuchten.
Ilf und Petrow widmen sich in ihrem Buch den großen gesellschaftspolitischen Themen ihrer Zeit: der Unterdrückung von Minderheiten, dem Leben der Arbeiter, der Wirtschaftskrise. Was sind die Themen, die Ihnen im Jahr vor der Präsidentschaftswahl begegnet sind?
Die 1930er-Jahre waren geprägt von der Great Depression. Das Gegenstück dazu ist die Finanzkrise der vergangenen Jahre, als die Menschen hier massenweise ihre Häuser verloren haben.
Ein völlig neues Thema, das uns auf unserer Reise und in Gesprächen immer wieder begegnete, ist das Datengeschäft. Das amerikanische Imperium wird heute nicht mehr vom Weißen Haus repräsentiert, sondern durch die Internetkonzerne im Silicon Valley. Google hat immerhin vor, alle Bücher der Welt zu scannen - ein durchaus imperialer Anspruch. Sie wollen das Weltwissen bei sich versammeln. Als Schriftstellerin stehe ich dem zwiespältig gegenüber: Ich bediene mich ja beim Schreiben dieses Wissens, das Google zur Verfügung stellt, und will gleichzeitig meine eigenen Daten im Internet geschützt wissen. Diese Diskrepanz hat mich vor allem beim Schreiben unseres Reise-Blogs beschäftigt.
"Das eingeschossige Amerika" wurde inzwischen neu aufgelegt. Was ist an dieser Reisereportage, die auch politische Gesellschaftsanalyse ist, für heutige Leser noch relevant?
Vieles hat sich radikal gewandelt, allem voran die Infrastruktur. Die Landschaft ist natürlich dieselbe geblieben. Und auch sonst habe ich manches erstaunlich genau wiedererkannt. Zum Beispiel die Faszination an der Technik und die Beschreibung eines Lebens auf Pump: Trotz eines Lebens ins ständiger Bewegung sind viele Amerikaner nach wie vor besessen von Hauseigentum. Sie wollen ein klassisches Heim für sich und ihre Familie, eben ein "eingeschossiges" Einfamilienhaus.
Diese Besessenheit war auch ein Auslöser für die jüngste Bankenkrise. Ich finde es erstaunlich, wie gut Ilf und Petrow die Ursachen solcher Krisen erkannt und beschrieben haben. Und zwar ohne ideologische Brille, aus einem durchaus wohlwollenden Interesse für das Land und seine Menschen heraus.
Die beiden wurden aber doch von der sowjetischen Zeitung Prawda als Korrespondenten geschickt - vermutlich mit dem Auftrag, vor allem die schlechten Seiten Amerikas zu beleuchten.
Das stimmt, vor allem zum Ende hin legen die Autoren starkes Gewicht auf die moralische und politische Bewertung des amerikanischen Lebensstils und kommen zu dem paradoxen Fazit: "Wäre Amerika sowjetisch, dann wäre es das Paradies." Ilf und Petrow steckten in dem Dilemma, in das sich jeder Autor begibt, der Auftragsarbeit verrichtet: Sie mussten Zugeständnisse machen, um das schreiben zu können, was sie schreiben wollten. Und das taten sie dann auch: Das Buch ist nämlich über weite Strecken keineswegs ideologisch. Und es macht großen Spaß, es zu lesen.
Ilf und Petrow nur zu lesen, genügte Ihnen aber nicht. Stattdessen stiegen Sie in ein Auto, ebenfalls einen Ford, und sind den beiden hinterhergefahren. Was lernt man durch das Reisen selbst, was man aus Büchern nicht erfährt?
Dass man alles physisch erlebt, spielt eine große Rolle. Das verändert die Lektüre vollkommen. Allein die Tatsache, dass man die Erschöpfung auf einer Reise spürt, verändert den Blickwinkel, relativiert ihn und nimmt vielen Dingen den Glanz. Aber bisweilen erhöht es ihn auch: Wenn man tausend Meilen durch die Wüste gefahren ist und dann eine Oase erreicht, ist das mehr als eine Filmszene. Natürlich stammen die meisten Amerikabilder in unseren Köpfen aus Filmen - aber die werden beim Reisen plötzlich ganz anders aktiviert. Eine interessante Erfahrung.
Hollywood gibt ein Versprechen und das Reisen durchs Land hält es ein?
In diesen Bildern liegt natürlich eine imperiale Verführung: Die USA verführen durch ihre Größe, ihren Service, ihr Versprechen, Träume zu erfüllen. Das funktioniert allerdings nur, solange man Geld hat. Hat man keines mehr, ist der Traum schnell vorbei.
Die USA waren lange ein Sehnsuchtsland, das nach Freiheit roch. Sind sie das noch?
Ich finde erstaunlich, wie gut die USA als Sehnsuchtsort immer noch funktionieren. Ganze Ströme von Reisenden schieben sich Jahr für Jahr durch die Nationalparks. Das ist mehr als bloß Tourismus, da reisen Menschen ihren Traumbildern hinterher. Amerika gilt weiterhin als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, bei aller Ärmlichkeit und Armut, die überall sichtbar ist. Alles ist immer eine Nummer größer -man fühlt sich als Europäer irgendwie klein und mäkelig angesichts dieser Dimensionen. Aber selbst wer Amerika nicht mag, wird seine Vorurteile vor der richtigen Kulisse schnell los.
Welche Kulisse meinen Sie?
Drei Tage am Strand in Santa Monica oder im Porsche den Sunset Boulevard entlang - da schmilzt die Kruste des Widerstands unglaublich schnell, und man vergisst seine politischen Überzeugungen. Ein klassischer Fall von Bestechung. Aber nur, solange das Wetter stimmt.
- Leser-Aufruf - Stellen Sie Felicitas Hoppe Ihre Fragen: