USA: Obama und der Rassismus:Zwischen allen Stühlen

Lesezeit: 4 min

Was passiert, wenn ein weißer Polizist einen schwarzen Professor festnimmt? Ein Zwischenfall bringt US-Präsident Obama in die Bredouille - die Rassismusdebatte lässt ihn seit dem Wahlkampf nicht los.

I. Helmes

Brodelnde Konflikte entladen sich oft an vermeintlich kleinen Vorfällen - so derzeit in den USA: Nach der vorübergehenden Festnahme des afroamerikanischen Professors Henry Louis Gates durch den weißen Polizisten James Crowley im Bostoner Vorort Cambridge werden einmal mehr die Fronten im Rassismusdiskurs abgesteckt. Mittendrin Präsident Barack Obama - in misslicher Lage.

In schwieriger Lage: US-Präsident Barack Obama (Foto: Foto: AP)

Gleich doppelt hat sich Obama Feinde gemacht. Zuerst, als er dem Bostoner Beamten "dummes" Verhalten vorwarf und an die überproportional schlechte Behandlung von Schwarzen durch US-Ordnungskräfte erinnerte - Gates wurde vor seinem eigenen Haus festgenommen, obwohl er sich ausweisen konnte. Danach, als er erklärte, er habe den Fall unnötig "aufgebauscht", sowohl Crowley als auch Gates hätten "überreagiert".

Ein Bierchen gegen den Zorn

Ein Zickzack-Kurs mit Folgen: Polizeigewerkschaften protestierten wegen Verleumdung, US-Medien verurteilten Obamas Behörden-Kritik als voreilig und voreingenommen. "Oh noooo!" spöttelte US-Comedy-Star Jon Stewart, als er das kontroverse Statement Obamas in seiner Show zeigte. Durch sein Zurückrudern verärgert der Präsident wiederum Afroamerikaner und Bürgerrechtler, die den Vorfall in Boston als Symbol für fortdauernde Diskriminierung werten. Was kaum mit dem Versöhnungsbierchen zu bewältigen sein dürfte, das Obama Gates und Crowley mittlerweile vorgeschlagen hat.

Die Bloggerin Natalie Holder-Winfield etwa erläutert nach Obama zweiter Einlassung in der Huffington Post demonstrativ, "warum Amerika den Zorn der privilegierten schwarzen Klasse braucht". Der Soziologe Glenn C. Loury kommentiert in der New York Times, es sei "extrem deprimierend", dass der Präsident sich für einen "Freund" ins Zeug gelegt habe, wenn es doch darum gehe, dem Problem "Rasse und Polizei" mit grundlegenden Reformen beizukommen.

In den Diskussionsforen von US-Onlinemedien lassen derweil viele Leser ihren Ressentiments freien Lauf: "Nur weil ein hyperliberaler schwarzer Harvard-Prof aus ganzem Hals 'Rassismus! Rassismus!' brüllt, wird es eine Staatsaffäre", so ein Leser des Wall Street Journals: "Wäre das einem weißen Bauarbeiter passiert, wir hätten nie etwas davon gehört." Ein anderer User sieht das ähnlich: "Obama hätte viel tun können, aber seine Entscheidungen zeigen mir, dass er ziemlich rassistisch ist." Die Antwort im Forum: "Natürlich ist Obama ein Rassist. Was meinen Sie denn, warum er in die Kirche ging zu so einem wie Reverend Jeremiah Wright, der wie ein Onkel für ihn war?"

"Gott verdamme Amerika"

So sieht sich ausgerechnet Obama, der mit dem erklärten Ziel angetreten ist, die Amerikaner zu versöhnen, von vielen Seiten angefeindet und gar als Weißen-Hasser diffamiert. "Der Vorfall zeigt soziale Spaltungen, die Obama durch seine Wahl zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA zu lindern hoffte", so das Resümee des Wall Street Journal. Die Episode Gates lege nahe, "dass das Rassenproblem seine Präsidentschaft weiter überschatten wird".

Wie im vergangenen Jahr bereits seinen Wahlkampf: Auch da spielte die Frage der Hautfarbe eine größere Rolle, als Obama lieb sein konnte. Die Welt spekulierte intensiv, ob die USA bereit seien für einen schwarzen Präsidenten. Nicht zuletzt in der afroamerikanischen Gemeinde war der Pessimismus groß. Vom Last Minute Swing war die Rede, viele Weiße würden in der Wahlkabine Vorurteilen nachgeben und heimlich doch John McCain ihre Stimme schenken.

Umgekehrt bleibt dem Obama-Lager der Skandal um Jeremiah Wright in peinlicher Erinnerung, der auch nun wieder gegen den Präsidenten verwendet wird. Im Frühjahr 2008, mitten im Duell mit Hillary Clinton um die Kandidatur, kam an die Öffentlichkeit, dass Obamas Pastor Afroamerikaner unter anderem dazu aufgefordert hatte, statt der bekannten Formel "Gott segne Amerika" doch "Gott verdamme Amerika" zu sagen - als Aufschrei gegen die jahrhundertelange rassistische Unterdrückung. Die US-Regierung stecke gar hinter der Aids-Seuche, die sie gezielt in die Welt gesetzt habe, um die Schwarzen zu vernichten.

Versöhnung statt schriller Töne

Verschwörungstheorien formuliert von ausgerechnet dem Mann, der Obama jahrelang beraten hatte, über zwei Jahrzehnte sein Pastor war, seine Kinder getauft hatte. Der Aufruhr ließ nicht auf sich warten, Kandidat Obama brach schließlich öffentlich mit seinem einstigen Vertrauten und erklärte die Aussagen Wrights zur Beleidigung für sich und alle Amerikaner.

Den schrillen Tönen Wrights setzte Obama schon während des Wahlkampfs besonnene, ausgleichende Worte entgegen. Ebenfalls im Frühjahr 2008 zog der Demokrat viele Wähler mit einer Rede in Philadelphia auf seine Seite, in der er eindringlich auf die Ängste, Stereotype und Vorurteile weißer wie schwarzer Amerikaner einging und zur gemeinsamen Überwindung von sozialen Schranken aufrief.

Seither ist Obama für Anhänger weltweit zum Hoffnungsträger avanciert, nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Geschichte als Sohn einer Weißen und eines Schwarzen. Sein Balanceakt, alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen und zugleich von keiner Seite zu sehr vereinnahmt zu werden, gelang - zumindest gut genug, um die Wahl zu gewinnen.

"Du hast es selbst in der Hand"

Wenige Tage, bevor er nun die Festnahme von Henry Louis Gates zum Politikum machte, hielt Obama zur 100-Jahr-Feier der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), der bedeutendsten Bürgerrechtsorganisation in den USA, eine neue vielbeachtete Rede zur Rassendiskriminierung in den USA. Benachteiligung und Vorurteile seien für Schwarze weiter Alltag, so Obamas Diagnose.

Auch wenn sich bereits viel verbessert habe, gelte es weiter, für Gleichberechtigung zu kämpfen. Dabei komme es auf die Entschlossenheit jedes Einzelnen an, so Obama: "Niemand hat dein Schicksal vorgezeichnet, du hast es selbst in der Hand." Eine Kindheit in Armut sei keine Entschuldigung für schlechte Noten, Schuleschwänzen oder Schulabbruch. Das "destruktivste Erbe der Diskriminierung" sei die Art, "wie so viele in unserer Gemeinschaft so wenig von sich selbst erwarten".

Ob mit solchen Appellen an Selbstbewusstsein und Optimismus der Afroamerikaner oder mit eher holprigen Einlassungen zu aktuellen Ereignissen wie der Gates-Festnahme - Obama und die USA werden die Rassismus-Debatte weiterführen. Auch wenn das manchem nicht gefällt und der US-Präsident mit allem, was er sagt, irgendwo und bei irgendwem anecken wird. So schreibt ein User im Forum des Wall Street Journal zum Fall Gates schlicht: "Obama, halt den Mund."

© sueddeutsche.de/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: