USA vor den Midterms:Republikaner klagen gegen Zulassung von Briefwahlstimmen

USA: Ein Wähler in einer Wahlkabine

US-amerikanische Wahlberechtigte sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Doch die Klagen mehren sich.

(Foto: Nikos Frazier/AP)

Rechtsstreits könnten den Ausgang der Wahl am Dienstag erheblich verzögern oder gar beeinflussen. Ein weiteres Zeichen für die wachsende Polarisierung in den USA rund um das Wahlrecht.

Von Claudia Koestler, Portland

US-amerikanische Wahlberechtigte sind aufgerufen, bei den Zwischenwahlen an diesem Dienstag zu entscheiden, wer künftig die Mehrheit im Senat und dem Repräsentantenhaus haben soll. Doch die Entscheidung könnte nicht alleine von Wählerinnen und Wählern getroffen werden, sondern auch von der Justiz, wenn es nach dem Willen mancher Politiker und Aktivisten geht. Denn in diesem Jahr wurden bereits mehr Klagen von Republikanern und Demokraten eingereicht als im gesamten Jahr 2020.

Bislang sind es mindestens 157 Klagen von Parteigängern, und nach dem Wahltag werden es wahrscheinlich noch mehr sein, so Democracy Docket, eine linksgerichtete Website, die solche Fälle verfolgt. Im Jahr 2020 waren es etwa 150, darunter Dutzende gescheiterte Versuche von Republikanern, den Sieg von Präsident Joe Biden über Donald Trump zu kippen.

Die derzeit in fast drei Dutzend Bundesstaaten eingereichten Klagen werfen Fragen zu praktisch jedem Aspekt der Stimmabgabe auf, von der Bereinigung der Wählerverzeichnisse bis hin zur Auszählung von Briefwahlstimmen mit fehlenden Angaben. Andere Klagen zielen darauf ab, die Nutzung von Wahllokalen einzuschränken und privaten Gruppen zu erlauben, Menschen bei der Stimmabgabe zu überwachen. Nach der US-Verfassung kann jeder Bundesstaat seine eigenen Wahlen durchführen, so dass die rechtlichen Anfechtungen davon abhängen, wie die Gerichte die Wahlgesetze und Verfassungen der einzelnen Staaten auslegen.

Entscheidend sind die "Swing States"

Wahlentscheidend kann diese Klagewelle vor allem in den besonders umkämpften Staaten, den sogenannten "Swing States", werden. Wie die Washington Post berichtet, drängen republikanische Kandidaten und Parteivertreter in mindestens drei solcher Staaten darauf, Tausende von Briefwahlstimmen für unzulässig erklären zu lassen. In Pennsylvania hat der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates dem republikanischen Nationalkomitee bereits zugestimmt, dass Wahlbeamte keine Stimmzettel zählen dürfen, auf denen der Wahlberechtigte es versäumt hat, ein Datum auf den äußeren Umschlag zu schreiben - selbst in Fällen, in denen die Stimmzettel vor dem Wahltag eintreffen. Tausende von Stimmzetteln wurden daraufhin für ungültig erklärt - genug, um ein möglicherweise knappes Rennen zu entscheiden.

In Michigan hat Kristina Karamo, die republikanische Kandidatin für das Amt der Staatssekretärin, im vergangenen Monat den obersten Wahlbeamten in Detroit verklagt und versucht, Briefwahlstimmen, die nicht persönlich mit einem Ausweis abgegeben wurden, für ungültig erklären zu lassen, obwohl dies den staatlichen Vorschriften zuwiderläuft. Bei einer Gerichtsverhandlung wollte Karamos Anwalt kürzlich nicht sagen, warum sich die Klage gegen Detroit, eine stark demokratische, mehrheitlich schwarze Stadt, und nicht gegen den gesamten Bundesstaat richtet.

In Wisconsin wiederum haben die Republikaner ein Gerichtsurteil erwirkt, wonach Briefwahlstimmen nicht gezählt werden können, wenn die erforderliche Zeugenadresse nicht vollständig ist.

Briefwahlstimmen aufgrund von Formalitäten zu disqualifizieren mag zwar eine gewisse Grundlage in den Gesetzen des jeweiligen Bundesstaates haben. Doch nach Ansicht von anderen verstößt das gegen den im Bundesrecht verankerten Grundsatz, dass Wähler nicht wegen geringfügiger Fehler entmündigt werden dürfen.

Angeblich wählen Demokraten häufiger per Brief

Die Klagen fallen zusammen mit einem systematischen Versuch der Republikaner - angeführt vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump -, GOP-Wähler (Kurzform für "Grand Old Party", zu Deutsch "Große alte Partei") dazu zu bewegen, ihre Stimme nur am Wahltag abzugeben. Kritiker argumentieren, dass das übergeordnete Ziel darin bestehe, Republikaner und Demokraten nach der Art der Stimmabgabe zu trennen und dann mit Hilfe von Klagen Briefwahlstimmen für ungültig zu erklären, die angeblich unverhältnismäßig häufig von Demokraten abgegeben werden.

"Sie suchen nach jedem Vorteil, den sie bekommen können, und sie haben ausgerechnet, dass sie auf diese Weise mehr Sitze gewinnen können", sagt Sylvia Albert, Direktorin für Wahlen und Abstimmungen bei Common Cause, einer überparteilichen Organisation, die sich für Demokratie einsetzt. Albert glaubt, dass Rechtsstreitigkeiten über die Zulässigkeit von Briefwahlen das Potenzial haben, Ergebnisse zu verzögern und sogar zu verändern. In einigen Fällen könnten die Streitigkeiten vor dem Obersten Gerichtshof der USA enden.

Wahlrechtsgruppen haben inzwischen in manchen Bundesstaaten Kampagnen gestartet, um Wähler zu benachrichtigen, deren Stimmzettel abgelehnt worden ist, und korrigiert oder ersetzt werden muss. Nach Angaben des Pennsylvania Department of State wurden landesweit bisher mindestens 7000 solcher Stimmzettel aus verschiedenen Gründen, einschließlich eines fehlenden Datums, zurückgewiesen. Aktivisten sagen, die Zahl sei wahrscheinlich viel höher, weil viele Bezirke sich weigerten, die Informationen zu veröffentlichen.

In Philadelphia, der größten Stadt des Bundesstaates und einer Hochburg der Demokraten, wurden mehr als 2000 solcher Stimmzettel zurückgewiesen. Die Wahlbehörden haben Listen mit den Wählern ins Internet gestellt, mit der Anweisung, bis zum Wahltag ins Rathaus zu kommen, um einen Ersatzstimmzettel abzugeben.

"Es ist eine Schande"

"Diese Wahlsituation ist schrecklich", zitiert die Washington Post die 95-jährige Wählerin Jean Terrizzi, ohne ihre politische Zugehörigkeit zu nennen. "Es ist eine Schande."

Der Ausgang der Kongresswahlen am 8. November in den USA wird nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers Gregory Magarian von der Washington University in St. Louis möglicherweise deshalb erst nach mehreren Tagen oder sogar Wochen feststehen. "Daher würde es mich nicht überraschen, wenn es Wochen oder zumindest Tage dauern würde, bis einige der knappen Wahlen entschieden sind und wir das Ergebnis im Senat kennen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

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