US-Grenze zu Mexiko:Zwei Seiten einer Mauer

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Machtdemonstration: Der neue Stacheldraht an der Grenze von Nogales in Arizona ist martialisch, selbst Grenzschützer halten ihn für unnötig. (Foto: Ariana Drehsler/AFP)
  • Im Süden des US-Bundesstaats Arizona führt die massiv gesicherte Grenze zu Mexiko mitten durch die Stadt Nogales.
  • Die Bewohner haben sich mit dem Stahlzaun arrangiert, Zehntausende Menschen passieren ihn täglich legal.
  • In der Stadt El Paso dagegen bahnt sich eine humanitäre Tragödie an: Die Behörden können die zahlreichen Asylsuchenden, die dort die Grenze überwinden, nur noch notdürftig versorgen können.

Von Hubert Wetzel, Nogales

Morgens um zehn Uhr geht das Tor auf, dann beginnt der kleine Grenzverkehr zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Auf der mexikanischen Seite stehen die Menschen schon seit einer Stunde in der Sonne Schlange vor dem Grenzübergang, auf der amerikanischen ist es hingegen noch ruhig. Ein Laster der Border Patrol rumpelt vorbei, der einen Anhänger mit zwei Pferden zieht. 3000 Kilometer entfernt in Washington streiten Präsident Donald Trump und die Demokraten über den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko . Erst am Freitag drohte Trump, die Grenze komplett schließen zu lassen. Hier in Nogales, einer Kleinstadt im Süden Arizonas, ist diese Mauer schon seit Jahren Realität. Und die Einwohner haben sich damit ganz gut arrangiert.

Wobei der Begriff Mauer nicht ganz zutreffend ist. Das amerikanische Nogales wird von seiner gleichnamigen Schwesterstadt im mexikanischen Bundesstaat Sonora durch einen Zaun getrennt: eine massive Konstruktion aus senkrechten Stahlröhren, die mit Beton gefüllt sind, fünf bis sieben Meter hoch. Der Zaun verläuft schnurgerade durch die Mitte der Stadt, er folgt dem Terrain über Hügel und durch Senken und endet erst etliche Meilen jenseits der Ortsgrenzen draußen in der Wüste. Ginge es nach Trump, dann würde ein großer Teil der amerikanisch-mexikanischen Grenze mit einem solchen Stahlzaun versehen werden, um illegale Einwanderer, Kriminelle, Drogenschmuggler und sonstige "Invasoren" draußen zu halten, auf die der Präsident so oft schimpft.

Die Stadt ist mittendurch geteilt. Das Hin und Her ist unbequem, aber möglich

Man kann in Nogales recht gut sehen, dass so ein Zaun das grenzübergreifende Zusammenleben zwar behindert, aber längst nicht beendet. Nogales/Arizona (etwa 20 000 Einwohner) und Nogales/Sonora (gut 300 000 Einwohner) sind eng miteinander verflochten. Sehr viele Menschen haben Familienangehörige auf beiden Seiten. Und der legale Grenzverkehr funktioniert recht reibungslos: Jeden Tag überqueren Zehntausende Menschen und Fahrzeuge in Nogales die Grenze. Allein im vorigen Dezember reisten dort nach Zählung des US-Verkehrsministeriums 296 000 Fußgänger und 308 000 Privatautos in die Vereinigten Staaten ein, dazu 28 000 Lastwagen. Mexikanische Staatsbürger brauchen für die Einreise Visa, welche die US-Behörden aber zumindest an die Bewohner des Grenzgebiets recht großzügig verteilen.

Das führt dazu, dass manche mexikanischen Familien ihre Kinder jeden Morgen über die Grenze in amerikanische Schulen schicken. Der Parkplatz der Walmart-Filiale in Nogales steht voller Autos mit mexikanischen Nummernschildern, die Ansagen drinnen werden in Spanisch gemacht. Die Mexikaner kommen, um in den USA einzukaufen oder zum Arzt zu gehen, die Amerikaner gehen nach Mexiko, um dort zu essen. Der Stahlzaun macht das Hin und Her unbequemer, verhindert es aber nicht.

Und selbst Einwohner, die wenig von Trump und seinen Mauerbauplänen halten, sind der Ansicht, dass der Zaun nötig sei. "Irgendeine Art von physischer Barriere brauchen wir", sagt ein örtlicher Geschäftsmann, der anonym bleiben möchte. "Allein schon wegen der Drogen."

Denn natürlich überquert nicht nur legale Ware die Grenze, sondern auch illegale. Im Februar fand die US-Grenzpolizei bei einer Kontrolle in Nogales in einem Lastwagen 115 Kilogramm der mörderischen Droge Fentanyl sowie 180 Kilogramm Crystal Meth - versteckt unter Gurken. Eine völlig offene Grenze wäre für die mexikanischen Drogenkartelle geradezu eine Einladung.

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Trotzdem wehren sich die Einwohner von Nogales dagegen, wenn ihre mexikanischen Nachbarn von Trump nur als Verbrecher dargestellt werden. "Es gab schon die Furcht, dass die ganze Debatte über die Mauer hier das Klima vergiftet", sagt der Geschäftsmann. Das sei zum Glück bisher nicht passiert. "Aber es ist nicht gut, so etwas über seine Nachbarn zu hören."

Im vergangenen Herbst, auf dem Höhepunkt des Kongresswahlkampfs, schickte Trump die Armee nach Nogales. Die Soldaten befestigten auf der amerikanischen Seite Stacheldrahtrollen am Grenzzaun. Seither hängt der Draht dort, garstig und glänzend - eine martialische, aber weitgehend überflüssige Machtdemonstration, wie selbst Grenzpolizisten bestätigen. "Größere Gruppen von illegalen Einwanderern hält der Zaun ohnehin ab", sagt ein Beamter, der an der Grenze Wache schiebt. "Und die jungen Männer, die trotzdem über den Zaun klettern, drücken den Stacheldraht einfach mit Stöcken zur Seite."

Dass ein Grenzzaun eben beileibe nicht alle Immigrationsprobleme löst, kann man 500 Kilometer östlich von Nogales beobachten, in der texanischen Stadt El Paso. Auch dort trennt ein Stahlzaun die USA und Mexiko. Trotzdem werden die Übergänge dort derzeit von Migranten förmlich überrannt, vor allem von Familien aus Honduras, El Salvador und Guatemala, die der Armut und Kriminalität in ihrer Heimat entkommen wollen. Die Border Patrol nahm allein am Dienstag 4100 Migranten an der Südgrenze in Gewahrsam, vermutlich werden es in diesem Monat mehr als 100 000 sein - so viele wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Und El Paso ist das Epizentrum. Da es keine Unterkünfte für so viele Menschen gibt, hält die Grenzpolizei sie unter einer Autobahnüberführung fest. Zum Teil werden die Migranten nach der Überprüfung durch die Border Patrol einfach in die USA entlassen - eine Praxis, die Trump eigentlich beenden wollte.

Doch während der Zaun in Nogales größere Migrantengruppen eher abschreckt, ist er in El Paso einer der Gründe für den derzeitigen Ansturm von Einwanderern. Das liegt daran, dass der Zaun in Nogales direkt auf der Grenzlinie steht. Um auf das Staatsterritorium der USA zu gelangen, muss man ihn daher überwinden.

In El Paso hingegen verläuft die Grenze am Rio Grande. Der Zaun aber steht aus baulichen Gründen einige Meter vom nördlichen Flussufer entfernt auf US-Gebiet. Die Migranten waten durch den Fluss und lassen sich dann auf dem schmalen Streifen zwischen Zaun und Ufer, der schon zu den Vereinigten Staaten gehört, freiwillig von der Border Patrol aufgreifen. Dann stellen sie einen Antrag auf Asyl, was ein ähnliches Verfahren wie in Deutschland in Gang setzt: Der Antrag muss von einem Gericht geprüft werden. Da die Gerichte aber völlig überfordert sind, kann das Monate oder Jahre dauern. Bis dahin dürfen sich die Asylsuchenden in den USA aufhalten - und können untertauchen. Das wissen die kriminellen Banden, die mit dem Schmuggel von Menschen in die USA viel Geld verdienen. Deswegen lotsen sie die Migranten eher nach El Paso als nach Nogales.

Die Folge: An der Südgrenze der USA gibt es tatsächlich eine Krise. Allerdings ist es keine Krise von der Art, die Präsident Trump dauernd beschwört - Verbrecherhorden, die durch eine Mauer abgewehrt werden müssen -, sondern eine humanitäre. Tausende Migranten, darunter Hunderte Kinder und Jugendliche, werden in Auffanglager gesperrt, wo sie allenfalls notdürftig versorgt werden können. Der Chef des US-Grenzschutzes, Kevin McAleenan, schickte deswegen am Mittwoch einen drastischen Appell nach Washington. Seine Behörde brauche Hilfe, sagte er, sonst werde es eine Tragödie geben.

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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