Süddeutsche Zeitung

USA:Mahnung aus der Mitte

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama warnt die Demokraten vor allzu revolutionären Visionen. Bei den Parteilinken, die im Moment die Deutungshoheit haben, kommt das nicht gut an.

Von Hubert Wetzel, Washington

Acht Jahre lang war Barack Obama Präsident der USA, und acht Jahre lang wurde der Demokrat von den Republikanern als linker Revoluzzer verteufelt. Insofern ist es bemerkenswert, wenn nun ausgerechet der angebliche sozialistische Gottseibeiuns seine Partei davor warnt, politisch so weit nach links zu rücken, dass sie für die Mehrheit der Bürger unwählbar wird. Mutige Zukunftsvisionen seien ja gut und schön, sagte Obama am Freitag. "Aber der Durchschnittsamerikaner ist nicht der Ansicht, dass wir das ganze System niederreißen und neu aufbauen müssen."

Das war bereits das zweite Mal binnen weniger Wochen, dass Obama sich in den Vorwahlkampf der Demokraten eingemischt hat. Zwar sagt er weder offen, welche der vielen Bewerberinnen und Bewerber, die Präsidentschaftskandidat der Demokraten werden wollen, er für untauglich hält, noch wen er unterstützt. Letzteres wird ebenfalls als Signal gewertet, denn dass Obama seinem früheren Vize Joe Biden bislang eine Wahlempfehlung vorenthält, heißt ja auch etwas.

Hinter der Kritik steckt die Sorge, dass sich der Normalbürger kopfschüttelnd abwendet

Noch klarer aber scheint zu sein, dass Obama den dezidierten Linkskurs, den die Senatorin Elizabeth Warren und der Senator Bernie Sanders propagieren, nicht für erfolgversprechend hält. Beide fordern genau das, was die meisten Wähler nach Obamas Ansicht lieber nicht wollen: eine umstürzlerische Revolution - zumindest für amerikanische Verhältnisse - statt behutsamer Reformen. Das zeigt sich vor allem bei ihren Plänen zum Umbau der Krankenversicherung. Warren und Sanders wollen eine einzige, staatlich organisierte und finanzierte Versicherung für alle Bürger. Ähnlich ehrgeizig sind viele ihrer anderen Vorschläge, von der Umwelt- und Klima- bis zur Steuer- und Verkehrspolitik.

Diese Ideen gehen weit über alles hinaus, was Obama, der vermeintliche Linksradikale, je getan oder auch nur gedacht hat. Es mag daher sein, dass der Altpräsident das Gefühl hat, Warren und Sanders zollten seinen Erfolgen zu wenig Respekt, wenn sie jetzt alles anders machen wollen. Aber hinter Obamas Kritik an allzu mutigen Visionen, welche die Bürger vielleicht eher verschrecken als anziehen, steht auch eine grundsätzliche Sorge: Wie andere moderate Demokraten fürchtet auch Obama, dass seine Partei so sehr in einer linksaktivistischen Twitter-Blase gefangen ist, in der Idealismus oft in Ignoranz und Arroganz gegenüber Andersdenkenden umschlägt, dass die Normalbürger sich kopfschüttelnd abwenden.

Ein "New York Times"-Gastautor wirft Obama vor, auf der dunklen Seite der Macht zu stehen

Vor dieser Gefahr hatte Obama die Demokraten bereits Ende Oktober öffentlich gewarnt. "Diese Vorstellung von Reinheit, und dass man politisch immer erweckt ist und all das Zeug - das solltet ihr schnell wieder vergessen", sagte er bei einer Veranstaltung mit Jugendlichen in Chicago. "Die Welt ist unübersichtlich. Es gibt Grautöne." Im Internet möglichst hämisch über Leute herzuziehen, die anderer Meinung seien, habe mit politischem Aktivismus wenig zu tun, mahnte Obama.

"Damit erreicht man keinen Wandel." Im linken Lager kam dieses Plädoyer für mehr Zurückhaltung und weniger Selbstgerechtigkeit nicht gut an. Der Tenor der Kritik lautete, der Altpräsident sei zu reich und zu träge geworden, um den neuen, revolutionären Geist in der Partei wertschätzen zu können. Ein Gastautor der New York Times warf Obama, immerhin der erste schwarze Präsident Amerikas und der erfolgreichste demokratische Politiker der vergangenen zwanzig Jahre, praktisch vor, auf die dunkle Seite der Macht gewechselt zu sein: zu den "weißen, heterosexuellen, männlichen, rechten Laberköpfen".

Aus dieser wütenden Abwehr sprach einerseits verletzter Stolz - auch Obama kann auf arrogante Art Ratschläge geben. Sie war aber auch Ausdruck eines tiefer sitzenden Unbehagens, das schon länger an linken Demokraten nagt, wenn sie an die Obama-Jahre denken. Denn Obama war - allen republikanischen Anwürfen zum Trotz - stets ein eher pragmatischer Mitte-Politiker, kein ideologischer Linker: Er hat Rettungspakete für Banken geschnürt, er hat Millionen illegale Einwanderer deportieren lassen, er hat die heimische Öl- und Gasförderung vorangetrieben, den Drohnen-Krieg ausgeweitet und wenig gegen die Waffenflut im Land unternommen. Als Obama mit diesem Kurs Wahlen gewann, war die Partei noch stolz auf ihn.

Inzwischen aber hat der linke Aktivistenflügel die Diskurshoheit bei den Demokraten erobert. Die Folge ist ein Linksruck im politischen Programm, auch wenn die Aktivisten das bestreiten: "Wir rücken die Partei nicht nach links, wir bringen sie heim", sagt die linke Ikone Alexandria Ocasio-Cortez, die Sanders unterstützt. Wie auch immer - bei all den erwähnten Themen fordert die Partei heute das Gegenteil dessen, was Obama getan hat. Selbst Obamacare, die historische Krankenversicherungsreform des Präsidenten, hält die Parteilinke mittlerweile für mutlos und halbherzig.

Kein Wunder also, dass Obama jetzt wenig von Linkauslegern wie Warren und Sanders hält. Politisch liegt er eher auf der Linie von Joe Biden und Pete Buttigieg, dem jungen, schwulen Bürgermeister aus Indiana; wobei der erst 37 Jahre alte Buttigieg doch sehr viel mehr an den energetischen, in die Zukunft schauenden Kandidaten erinnert, der Obama einmal war, als der fast 77 Jahr alte Biden. Und vielleicht hat Obamas Wort ja doch noch Gewicht: In Iowa jedenfalls, dem ersten Vorwahlstaat, sprintet Buttigieg derzeit an die Spitze der Umfragen.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2019
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