Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Madeleine Albright:Amerika als europäische Macht

Die frühere Außenministerin Madeleine Albright ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Die Vereinigten Staaten hielt sie für eine "unersetzliche Nation".

Von Hubert Wetzel, Washington

Manchmal braucht die Weisheit etwas Zeit, um voll ans Licht zu treten. Oder die Wahrheit. So ist das mit dem Satz, den Madeleine Albright am 8. Januar 1997 sagte. Albright war damals von US-Präsident Bill Clinton als neue Außenministerin der Vereinigten Staaten nominiert worden - die erste Frau in diesem Amt. Nun saß sie vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senats, der ihrer Berufung zustimmen sollte. Der ranghöchste Demokrat in dem Gremium war ein Mann namens Joseph Biden.

Albright hatte eine Stellungnahme vorbereitet, in der sie umriss, wie die US-Außenpolitik ihrer Ansicht nach aussehen sollte. Ziemlich am Anfang stand dieser Satz: "It is a central lesson of this century that America must remain a European power." Übersetzt: Es ist eine grundlegende Lehre dieses Jahrhunderts, dass Amerika eine europäische Macht bleiben muss.

Mit "diesem Jahrhundert" meinte Albright das 20. Jahrhundert. Und mit der "Lehre" meinte sie die Tatsache, dass zwei Mal, 1917 und 1944, amerikanische Soldaten nach Europa geschickt werden mussten, um den Kontinent vor dem Untergang zu bewahren. "Wir haben ein Interesse an der europäischen Sicherheit, weil wir die Instabilität vermeiden wollen, die dazu geführt hat, dass fünf Millionen Amerikaner den Atlantik überquert haben, um in zwei Weltkriegen zu kämpfen", sagte Albright.

Albrights Lehre umfasste aber mehr als nur militärische Sicherheit. "Wir haben ein Interesse an der europäischen Demokratie, weil es der Triumph der Freiheit war, der den Kalten Krieg beendet hat. Wir haben ein Interesse am europäischen Wohlstand, weil unser Wohlstand davon abhängt, dass wir Partner haben, die offen sind für unsere Exporte, Investitionen und Ideen." Amerika, so Albrights Überzeugung, handele im besten Eigeninteresse, nicht auf der Grundlage wolkiger Phrasen, wenn es ein geeintes, friedliches Europa fördere.

Albright wusste aus persönlicher Erfahrung, wovon sie sprach. Sie wurde im Mai 1937 als Marie Jana Korbelová in Prag geboren. Ihre Eltern waren Juden, die später zum Katholizismus konvertierten. Die Familie floh vor den deutschen Invasoren nach London, kehrte nach dem Krieg nach Prag zurück und floh in den späten Vierzigerjahren erneut, diesmal vor den Sowjets. Albright war elf Jahre alt, als sie im November 1948 auf Ellis Island im Hafen von New York ankam.

Eine vehementen Befürworterin des militärischen Eingreifens

Es folgte eine Karriere, wie sie Einwanderer damals vielleicht nur in den USA machen konnten. Albright besuchte das vornehme Wellesley College, studierte Politikwissenschaft an der renommierten Johns Hopkins Universität und promovierte an der Columbia University. Sie arbeitete für den demokratischen Präsidenten Jimmy Carter im Weißen Haus, danach für eine linksliberale Denkfabrik. Zudem lehrte sie an der Georgetown University in Washington.

Bill Clinton holte Albright dann in den Staatsdienst. Der demokratische Präsident machte sie 1993 zu seiner Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Das war die Zeit des Jugoslawien-Krieges, und Albright erlebte damals, wie UN-Blauhelme hilflos danebenstanden, als serbische Milizen in Kroatien und Bosnien Zivilisten töteten. Sie wurde zu einer vehementen Befürworterin des militärischen Eingreifens, zu dem Clinton sich schließlich entschloss, und legte sich deswegen mit etlichen mächtigen Männern in Washington an. 1997, in seiner zweiten Amtszeit, machte Clinton Albright dann zu seiner Außenministerin.

Madeleine Albright stand für ein idealistisches Verständnis von amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik. Sie glaubte daran, dass die USA die Schutzmacht von Demokratie und Freiheit in der Welt sind - die "indispensable nation", die unersetzliche Nation, um diese Werte zu bewahren. Und sie war der Ansicht, dass die wirtschaftliche, politische und militärische Macht des Landes diesem Zweck dienen müsse. So einfach war die Welt auch damals natürlich nicht. Aber immerhin gab es in Washington zu jener Zeit den Willen, in die Welt hinauszuschauen und sie zu formen, womöglich sogar besser zu machen, nicht nur profitabler.

Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, klingt Albrights Satz von der "europäischen Macht Amerika" noch ebenso wahr und weise wie vor 25 Jahren. Wieder sind Demokratie und Freiheit in Europa bedroht, dieses Mal nicht von Deutschland oder der Sowjetunion, sondern von Russland. Wieder brauchen die Europäer die Hilfe Amerikas und wieder reist - in Person jenes ehemaligen Senators Joe Biden - ein Amerikaner über den Atlantik, um die Rolle der USA in Europa als Schutzmacht zu bekräftigen.

Biden flog am Mittwochvormittag in Washington los. Nur wenige Stunden später teilte die Familie Albrights mit, dass die frühere Ministerin im Alter von 84 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben ist.

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