USA: Kongresswahlen:Wunderwahlkampf für jedermann

Von "Yes, we can" zu "Everybody can": Obama gilt als Vorreiter der Online-Wahlkampagne. Vor den Kongresswahlen kopieren ihn vor allem die Tea-Party-Kandidaten mit großem Erfolg. Sie geben sich volksnah - doch in erster Linie geht es um Geld.

M. König

Marco Rubio hat einen weiteren Sprung gemacht. Vor drei Tagen hatte er 128.000 Fans bei Facebook, nun sind es knapp 130.000. Tendenz steigend. Seine beiden Hauptkonkurrenten bei der Senatswahl im US-Bundesstaat Florida kommen auf 52.000 Unterstützer - gemeinsam.

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Sarah Palin, einst Vizepräsidentschaftskandidatin an der Seite John McCains und heute Galionsfigur der Ultra-Konservativen, kommt bei Facebook auf 2,3 Millionen Unterstützter. Bei Twitter zählt sie 280.000 Follower.

(Foto: dpa, reuters, afp / grafik: sueddeutsche.de, helldobler)

Deutschen Medien wäre eine solche Statistik allenfalls eine Randnotiz wert. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst die Grenze von 50.000 Unterstützern bei Facebook übersprang, allen schwarz-gelben Querelen zum Trotz, spielte in der hiesigen Berichterstattung keine Rolle.

Aus Rubios großem Vorsprung machte der US-Onlinedienst Bloomberg hingegen eine Geschichte. In Amerika gilt die Anziehungskraft von Politikern in sozialen Netzwerken wie Facebook inzwischen als Hinweis auf den Wahlerfolg. Tatsächlich liegt Marco Rubio auch in klassischen Meinungsumfragen weit vor seinen Wettbewerbern. "Unterschätzen Sie nicht die Macht der Mund-zu-Mund-Werbung und des Weitersagens unter Freunden", wird sein Sprecher bei Bloomberg zitiert.

Rubio ist Republikaner, er wird von der Tea-Party-Bewegung unterstützt und gibt sich entsprechend erzkonservativ. Rubio ist gegen Abtreibung und Schwulenehe und für das Recht auf uneingeschränkten Waffenbesitz. Er versammelt jene Einwohner Floridas hinter sich, die Barack Obama für einen Sozialisten halten. Nie würde er zugeben, vom US-Präsidenten gelernt zu haben.

Dabei nimmt er sich an Obama ein Vorbild - wie die gesamte politische Klasse Amerikas. So sehr der Präsident im Wahlkampf auch angefeindet wird - von republikanischer wie von demokratischer Seite -, so sehr zeigt sich, dass sein Wahlkampf im Jahr 2008 stilbildend war für die amerikanische Politik.

Zwei Jahre später lässt kaum ein Politiker die Möglichkeit ungenutzt, seine Wähler im Internet zu motivieren. Nach Angaben von Bloomberg haben alle der 73 Kandidaten der großen Parteien für die Senatswahl am 2. November Facebook-Konten angelegt. 70 melden sich beim Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort. Auf 85 Prozent der Kampagnen-Websites finden sich Youtube-Videos, 43 Prozent sind mit einem Blog ausgestattet.

Noch vor zwei Jahren galten Online-Aktivitäten als Alleinstellungsmerkmal von Barack Obama. Dem Kandidaten und seinem Team war es gelungen, allein über die Kampagnen-Website 500 Millionen Dollar an Spenden einzusammeln. In einem Facebook-ähnlichen Netzwerk versammelten sich zwei Millionen Obama-Anhänger, die dazu angehalten wurden, Freunde, Bekannte und Verwandte von dem Demokraten zu überzeugen.

"Auf diese Weise wurden mehr Menschen als jemals zuvor in die tatsächliche Durchführung einer Kampagne eingebunden, sodass für einen kurzen Zeitraum das Internet tatsächlich als Gegenmittel für eine Politikverdrossenheit wirkte", analysiert der Gießener Politikwissenschaftler Christoph Bieber in seinem Buch Politik digital - Online zum Wähler. Die Republikaner hatten dem kaum etwas entgegenzusetzen - und sahen zu, wie Obama unter dem Motto "Yes, we can" ins Weiße Haus einzog.

Zwei Jahre später ist daraus "Everbody can" geworden: Online-Wahlkampf ist keine demokratische Domäne mehr. Gerade die Tea-Party-Aktivisten unter den Republikanern nutzen das Internet, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Sarah Palin, einst Vizepräsidentschaftskandidatin an der Seite John McCains und heute Galionsfigur der Ultra-Konservativen, kommt bei Facebook auf 2,3 Millionen Unterstützter. Bei Twitter zählt sie 280.000 Follower.

Die beiden Web-Dienste entsprechen ziemlich genau dem politischen Ideal der Anti-Establishment-Bewegung: Die Kandidaten geben sich volksnah, jeder kann kommentieren, mitreden, verlinken. Hinzu kommt ein praktischer Aspekt: Die Kosten für einen Social-Media-Wahlkampf sind im Vergleich zu traditionellen TV-Wahlwerbespots verschwindend gering. Politiker brauchen somit kein hohes Start-Budget mehr, um ihre Anhänger zu erreichen - und zu Spenden zu überreden.

Online-Fundraising - darum gehe es im Web in erster Linie, sagt Heather LaMarre, Kommunikationsforscherin an der University of Minnesota. Sie widerspricht dem Eindruck, es finde im Internet echte Kommunikation statt: "Es werden günstige, schnell produzierte Werbespots bei Youtube eingestellt und bei Twitter und Facebook verlinkt, um Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Greifen andere Nutzer diese Links auf, können die Spots eine virale Verbreitung erreichen, die die Reichweite eines TV-Werbespots übertrifft", so LaMarre.

Welchen Wert diese Art von Wahlkampf tatsächlich hat, wird unter LaMarres Führung derzeit in Minnesota untersucht. An Fallbeispielen mangelt es nicht.

Auf der nächsten Seite: Eine freie Radikale als Facebook-Star und ein 77-Jähriger mit Social-Media-Kompetenz - die Republikaner machen im Internet mobil.

So kämpft die Tea-Party-Kandidatin bei der Senatswahl in Nevada, Sharron Angle, mit dem Ruf, eine freie Radikale zu sein - sie will unter anderem die staatliche Rentenversicherung abschaffen und Versicherungen von der Pflicht befreien, für Krebsvorsorge zu zahlen. Bei Facebook hat es die Republikanerin dennoch zu 95.000 Fans gebracht, ihr demokratischer Konkurrent Harry Reid kommt dort nur auf 14.000 Unterstützter. Und auch in Meinungsumfragen liegt Angle knapp vor dem Demokraten, der als farblos und cholerisch gilt.

Ähnlich verhält es sich in Delaware, wo die von der Tea Party geförderte Christine O'Donnell mehr als doppelt so viele Unterstützer vorweisen kann wie ihr demokratischer Kontrahent Chris Coons. Die Republikanerin hat nachweislich in ihrem Lebenslauf geschummelt und Masturbation als Sünde bezeichnet - dennoch kam sie Coons in den Umfragen lange gefährlich nahe.

Die Social-Media-Welle macht nicht einmal vor dem 77 Jahre alten Polit-Veteran Chuck Grassley aus Iowa halt: In einem Youtube-Werbespot des republikanischen Senators raunt eine ältere Dame einer anderen zu: "Chuck Grassley hat einen ... Twitter!" Daraufhin fragt ihr Gegenüber mit betroffener Miene: "Kann er geheilt werden?" Dann ist Grassley selbst zu sehen, lachend und bester Gesundheit: "Oh, nichts Derartiges. Ich twittere, ich schreibe SMS, ich tue, was immer zu tun ist. Ich arbeite für Sie."

Die Menschen in Iowa wissen das offenbar zu schätzen: Der Republikaner Grassley wird in dem Bundestaat, der 2008 noch mehrheitlich für die Demokraten stimmte, mit hoher Wahrscheinlichkeit am 2. November seinen Sitz im Senat verteidigen.

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