Süddeutsche Zeitung

USA in der Ära Trump:Dein Land, mein Land, kein Land

Jubel hier, bittere Tränen dort und die Frage: Was heißt eigentlich "Vereinigte Staaten"? Wie Trumps Anhänger und seine Gegner die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten erleben.

Reportage von Johannes Kuhn und Beate Wild, Washington

Als Donald Trump vor dem Kapitol die Hand zur Vereidigung hebt, fängt einen Kilometer weiter nordwestlich John Lennon an zu singen. Aus den Lautsprechern auf der US Navy Memorial Plaza tönt seine Friedenshymne "Imagine". Die Demonstranten, die sich hier versammelt haben, um gegen den neuen Präsidenten zu protestieren, drehen extra laut auf. So laut, dass man nicht genau hört, was Trump seinem Volk zu sagen hat. Es dringen nur Wortfetzen herüber: "Amerika zuerst ", "Wohlstand zurückbringen", "neuer Nationalstolz".

Und während Lennon davon singt, dass er von einer friedlichen Welt träumt, können die Demonstranten ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Viele der Menschen, die sich an dem Tag der Amtseinführung versammelt haben, um ihr Missfallen an diesem neuen Präsidenten kund zu tun, heulen Rotz und Wasser. Sie liegen sich in den Armen, schmettern laut Lennons Appell an die Brüderlichkeit mit und wissen vor lauter Verzweiflung nicht, wohin mit sich. Etwas geht gerade zu Ende, nur was?

Vor dem Kapitol, dem Sitz des Parlaments, ist die Stimmung dagegen bestens. Als die Ankunft der neuen Präsidentenfamilie auf den Videoleinwänden gezeigt wird, brandet Jubel auf. Trump, das ist längst nicht nur die Donald-Show. Beifälliges Nicken und tosender Applaus, als Melania Trump in ihrem blauen Kleid auftritt. "Wie schön", ruft ein junges Mädchen begeistert.

Für die Demokraten ist der Empfang weniger herzlich. Die Rede von Chuck Schumer, Oppositionsführer im Senat, wird von Buhrufen, "Trocknet den Sumpf aus"-Rufen und "Hey-hey, Goodbye"-Gesängen begleitet. Hillary Clinton erhält eine Mischung aus fairem Applaus, lauten Buhrufen und dem bekannten Sprechchor "Sperrt sie ein". Als Bernie Sanders gezeigt wird, kichert die Menge nur.

Was ist das "echte" Amerika?

Trumps Amtseinführung ist verglichen mit denen der Obama-Jahre zwar kein Besuchermagnet: Selbst weit vorne gibt es leere Reihen, weiter hinten sind zwischen den Zuschauergruppen große Leerflächen. 250 000 Menschen sind trotzdem eine gewaltige Menge, wenn sie die Hymne singen oder einstimmiges "U-S-A, U-S-A" dröhnt. Zum Beispiel, als von draußen leise Protestgesänge zu hören sind.

An diesem Tag verdichtet sich die Frage, die schon den Wahlkampf dominierte, auf wenige Quadratkilometer: Was ist das "echte" Amerika? Hat es sich hier drinnen versammelt, wo sie Trump feiern, oder dort draußen vor den Eingängen, wo sie ihn bekämpfen wollen?

Die Lager treffen an diesem Tag häufiger aufeinander: Oft beäugen sie sich, manchmal diskutieren sie, ab und zu gibt es Wortgefechte ("Ihr Loser, die Wahl ist vorbei! Werdet endlich erwachsen" - "Wer Trump wählt, ist Faschist!"). Ein bisschen fühlt sich die Atmosphäre an wie rund um ein wichtiges Fußballspiel, wenn die Fans rivalisierender Mannschaften aufeinandertreffen. Nur dass das Spiel dieses Mal nicht 90 Minuten dauert, sondern vier Jahre. Oder noch viel länger.

Der 45. Präsident skizziert das, was er sich unter dem "echten" Amerika vorstellt, mit nationalistischem Pathos: "Wenn Amerika vereint ist, ist Amerika nicht aufzuhalten", ruft er seinen Anhängern zu. "Ob wir schwarz sind oder braun oder weiß, wir bluten alle das gleiche Blut", sagt er ("das war schön", sagt einer im Publikum zustimmend). Den lautesten Jubel erntet Trump, wenn er über "Amerika zuerst", den Schutz der Grenzen und über Gott ("am wichtigsten ist, dass er uns schützt") spricht.

Die Republikaner schwärmen später über eine Botschaft der Versöhnung. Caroline, die extra aus New York angereist ist, um ihr Idol zu feiern, sagt: "Wir brauchen wieder die Einheit. Es ist nicht gut, dass das Land so gespalten ist. Obama war zu schwach, aber jetzt haben wir ja Trump, der schafft das." Schließlich habe er es versprochen. "Die Gegner dürfen so viel protestieren, wie sie wollen", sagt Fidencio aus San Diego. "Aber sie sollen ihm doch etwas Vertrauen entgegenbringen. Ohne Vertrauen geht doch nichts voran."

Im Anti-Trump-Lager draußen vor den Feierlichkeiten folgt man dieser Bitte nicht. "Der Kerl weiß genau, wie er den Leuten Sand in die Augen streut. Er wirft mit ein paar Slogans um sich und schon glauben ihm seine Anhänger alles blind", sagt Charles. Miranda findet: "Es ist verrückt, diesen Kerl über Lautsprecher zu hören, wie er seine Lügen verbreitet." Sie glaube ihm kein einziges Wort. Um kleine Leute kümmere sich der neue Präsident gewiss nicht, ihm gehe es doch nur um die Reichen, vor allem um die reichen Weißen. Und ein anderer sagt: "Für mich hat das schon Züge von Propaganda. Hat es bei Hitler nicht genauso angefangen?"

Höchstes Vertrauen und höchstes Misstrauen

Die Demonstranten nennen unterschiedliche Gründe, warum sie gegen Trump sind: Angst um LGBT-Rechte und den Schutz von Minderheiten, seine Leugnung des Klimawandels, die Abschaffung von Obamas Gesundheitsversicherung, der Sexismus, den der neue Präsident hoffähig machen könnte. Alle eint jedoch ihr Misstrauen in den Charakter und die Fähigkeiten des neuen Präsidenten.

Unter seinen Anhängern dominiert der Wunsch nach wirtschaftlicher Stärke und einem neuen Nationalstolz. Das Vertrauen in den Präsidenten scheint endlos. Trump-Gegner reden von Widerstand, das Wort "Faschist" in Bezug auf die andere Seite fällt hin und wieder. Viele Trump-Anhänger fordern Kompromissbereitschaft, klassifizieren die Progressiven jedoch oft als "ungebildet", "dumm" oder "auf Krawall gebürstet".

Am späten Nachmittag kommt es dann wirklich zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Protestierenden aus dem Anarchisten-Milieu, während ein paar Blocks weiter Donald Trumps Limousine vor spärlich besetzten Tribünen die Paradestrecke zum Weißen Haus entlangfährt. Die Polizei setzt Gummigeschosse und Pfefferspray ein, vermeldet später 217 vorläufige Festnahmen. Für die rechten Medien wie Breitbart, Fox und Co. bietet das einen willkommenen Anlass, die Trump-Gegner als unamerikanische Randalierer darzustellen. Der erste Tag der Trump-Ära hat alle Seiten in ihren Vorurteilen bestätigt.

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