USA-Gesundheitsreform:Eine Stunde Zeit für das politische Schicksal

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Obama kämpft vor dem Kongress um die Reform der Gesundheitsversicherung - scheitert er, wäre seine Präsidentschaft irreparabel beschädigt.

Christian Wernicke, Washington

Donnerstagnacht tritt Barack Obama vor den Kongress, um seinen Plan zur Reform des Gesundheitswesen zu retten. Seinen Plan? Einhellig bemängeln linke wie rechte Kritiker, der Präsident habe sich bisher gescheut, klare Eckpunkte von "Obama-Care" zu benennen. Nun muss er nachlegen.

Eine knappe Stunde Redezeit bleibt dem Präsidenten, um Weichen zu stellen: zur Zukunft von einem Sechstel der US-Volkswirtschaft, für bislang 46 Millionen Amerikanern ohne Versicherungsschutz - und für sein politisches Schicksal. Falls die Reform scheitert, erlitte Obamas Regentschaft irreparablen Schaden.

Obama sucht Mehrheiten. Im Repräsentantenhaus hat seine eigene Partei eine satte Mehrheit. Aber mehr als 50 konservative Demokraten wollen nur eine bescheidene Billig-Reform mittragen, weshalb wiederum 60 Linksliberale drohen, dann würden sie mit Nein votieren.

Messlatte für Obamas Suche nach der Mitte

Im Senat, wo Obama 60 Stimmen braucht und also den Beistand von einigen Republikanern sucht, sondiert eine Gruppe von sechs Senatoren beider Parteien seit Wochen die Chancen für einen Kompromiss. Der Chef dieser "Sechsergang", der Demokrat Max Baucus, hat einige Ideen zu Papier gebracht - gleichsam als Messlatte für Obamas Suche nach der Mitte.

Finanzierung:

Im Kongress kursieren vier Gesetzesentwürfe, mit Reformkosten von bis zu 1,34 Billionen Dollar für einen Zeitraum von zehn Jahren. Der Baucus-Plan sieht "nur" 900 Milliarden Dollar Mehrkosten vor. Ungefähr ein Drittel davon, so die Faustregel aller Vorschläge, muss durch zusätzliche Einnahmen gedeckt werden. Obama wollte dazu reichen Mitbürgern lukrative Abschreibungen beschneiden, linke Demokraten möchten lieber eine Sondersteuer für Millionäre.

Republikaner lehnen jede Zwangsabgabe ab. Baucus Trick in der Klemme: Er will jährlich mindestens zehn Milliarden per Gebühr direkt bei den Versicherungen und den Herstellern medizinischer Geräte abkassieren.

Schutz für Unversicherte:

Zwei Drittel der 46 Millionen Amerikaner leben unter oder nur knapp über der Grenze absoluter Armut. Demokraten favorisieren einen Ausbau der Staatsversicherung für Ärmste und öffentliche Zuschüsse oder Steuernachlässe, um den Versicherungsschutz von Vier-Personen-Haushalten mit weniger als 75.000 oder gar 88.000 Dollar zu subventionieren. Je höher die Fördergrenze, desto teurer wird die Reform.

Die "Sechsergang" schlägt eine billige Grundversicherung vor, die nur im Falle schlimmster Verletzungen und chronischer Krankheiten griffe. Ein ähnlicher Schmaltarif soll auch jungen, gesunden Amerikanern helfen, sich dem geplanten Versicherungszwang zu beugen.

Staatliche Krankenkasse:

Dies ist der ideologische Kern der Debatte. 42 Millionen US-Senioren und 39 Millionen Arme erhalten zwar die Hilfe der Staatsprogramme Medicare und Medicaid - aber alle anderen Amerikaner müssen sich privat versichern. Obama und linke Demokraten wollen als Konkurrenz eine Art öffentlicher Krankenkasse etablieren, was alle Republikaner und nun auch die "Sechsergang" ablehnen.

Baucus empfiehlt die Gründung von Genossenschaften. Das verschleiert den Konflikt jedoch. Die US-Linke will dies nur, wenn auf diese Weise starke Kassen etwa wie in Deutschland entstehen können. Die Rechte fürchtet, dies würde durch die Hintertür zu einem staatlichen, ja sozialistischen Gesundheitssystem führen. Aus dem Blickfeld geraten ist derweil eine wichtige Reform, die inzwischen unstrittig ist. Demokraten wie Republikaner wollen US-Versicherungen fortan verbieten, neue Klienten mit Hinweis auf deren bereits diagnostizierte Leiden jeden Schutz zu verweigern.

© SZ vom 09.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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